Dienstag, 17. Januar 2023

Tear Down This Law!

Bischof Bode will mit Ausgetretenen sprechen. Über ein Interview mit Offenbarungscharakter.

Von Prof. Norbert Lüdecke

Am 12. Januar veröffentlichte „Katholisch.de“ – „das Nachrichten- und Erklärportal der katholischen Kirche in Deutschland“ – ein Interview mit Franz-Josef Bode, dem Bischof von Osnabrück und stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Lange beliebt, sieht er sich derzeit unter kirchenrechtlicher Anzeige und vor Rücktrittsforderungen. Über einem Foto, dass ihn gemütlich lächelnd nur in dunklem Pullover statt in Bischofs- oder auch nur in Klerikerkleidung zeigt, wird getitelt: „Bode: Die Türen der Kirchen müssen für Ausgetretene offen bleiben“. Ein Blick auf den Nachrichten- und Erklärwert dieses Interviews lohnt sich.

So viele Kirchenaustritte und der Körperschaftsstatus ist schuld?

Bode zeigt Verständnis für die Vielen, die aus Protest ihren Kirchenaustritt erklären. Und er denkt nach, wie sie dennoch beteiligt werden können. Zu wenig werde beachtet, dass „inzwischen“ viele Ausgetretene aus der Mitte der Kirche kommen und trotz Austritts ihre Glaubens- und Kirchenbeziehung behalten wollen. Wer das zu wenig beachtet hat und auf welchen Zeitraum das „inzwischen“ zielt, bleibt offen. Auf die Frage, ob er es denn richtig finde, wenn eine Kirchengemeinde auf Plakaten Ausgetretene zu den Sakramenten einlädt, obwohl das doch rechtlich nicht möglich sei, weicht er aus: Man müsse verschiedene Wege gehen. Ob eine solche widerrechtliche Einladung dazugehört oder nicht, bleibt ebenfalls offen. Zudem – so Bode weiter – gebe es in Deutschland eine Sondersituation. Hier sei Kirche ja Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das mache die Rückkehr nach einem Austritt anders als in anderen Ländern schwierig. – Wie bitte? Der Körperschaftsstatus ist schuld an der Situation ausgetretener Katholiken?
Nein, sondern die Abschreckungsstrategie der Bischöfe

Erinnern wir uns: Bis 2012 haben die deutschen Bischöfe Katholiken, die vor dem Staat aus der Kirche austraten, jahrzehntelang pauschal unterstellt, sie wollten sich ausnahmslos von der Kirche lossagen, und sie deshalb als exkommuniziert behandelt, d. h. als innerkirchlich komplett entrechtet und von allen geistlichen Mitteln abgeschnitten. Das taten die Bischöfe bekanntermaßen, obwohl fast alle anderen Bischofskonferenzen das nicht verstanden und Fachleute die mangelnde Rechtsgrundlage sowie die falschen Tatsachenbehauptungen und Widersprüche dieser Position immer wieder kritisierten (vgl. umfassend René Löffler, Ungestraft aus der Kirche austreten?, 2007 sowie Georg Bier, Wer nicht zahlen will, muss büßen?). Die Bischöfe hielten an ihrem falschen Mantra von der Realidentität/Untrennbarkeit der katholischen Kirche in Deutschland und ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts selbst dann noch fest, als der Apostolische Stuhl dies 2006 korrigierte und deutlich machte: Der staatliche Austrittsakt kann eine Abwendung von der Kirche ausdrücken, muss es aber nicht. Das war die Mahnung, korrekt zu unterscheiden zwischen der unwiderruflichen, lebenslänglichen Gliedschaft in der katholischen Kirche als geistgewirkter Glaubens- und sichtbarer Rechtsanstalt (einmal katholisch – immer katholisch) und der jederzeit aufkündbaren Mitgliedschaft in ihrer staatlichen Organisationsform als Körperschaft. Sich von dieser Organisationsform abzukehren, bedeute nicht zwingend, jemand wolle die Gemeinschaft mit der Kirche aufgeben, indem er Papst und Bischöfen nicht mehr folgen (Schisma), eine Glaubenswahrheit leugnen (Häresie) oder gar den Glauben insgesamt ablehnen (Apostasie) will.

Dabei traten nicht erst „inzwischen“, sondern schon damals viele aus ganz anderen Motiven aus der Körperschaftskirche aus und bekannten sich dennoch zur Kirche ihres Glaubens. So wurde schon am 15. September 1990 in Eschborn/Taunus der „Verein zur Umwidmung von Kirchensteuern e. V.“ unter dem Vorsitz der Theologin Magdalene Bußmann gegründet, eine Protestform, die aktuell von der Initiative „Umsteuern! Robin Sisterhood e. V.“ unter Maria Mesrian mit größerer Öffentlichkeit variiert wird. Andere traten aus, weil sie meinten, es mit ihrem in katholischer Sicht recht gebildeten Gewissen nicht vereinbaren zu können, dass ihre Kirchensteuer auch zur Beteiligung am staatlichen Schwangerenkonfliktberatungssystem verwendet wurde, obwohl Papst Johannes Paul II. am 11. Januar 1998 den Bischöfen den Ausstieg aufgetragen hatte. All diese Katholiken waren vielleicht ungehorsam, aber mit Sicherheit nicht von der Kirche abgefallen.

Die deutschen Bischöfe focht die Klarstellung aus Rom jedoch nicht an. Um Zeit zu gewinnen, gaben sie sich nicht ermahnt, sondern bestätigt – ein ebenso durchsichtiges wie vertrautes Vorgehen, das aktuell auch im Umgang mit den Äußerungen des Papstes zum Synodalen Weg zu beobachten ist. Sie brauchten dann immerhin sechs Jahre binnenhierarchischer Geheimdiplomatie, um die römische Bestätigung für ihr bis heute auch im Bistum Osnabrück geltendes Gesetz zum Kirchaustritt vom 20. September 2012 zu erhalten. Darin unterstellen sie:

„Die Erklärung des Kirchenaustritts vor der zuständigen zivilen Behörde stellt als öffentlicher Akt eine willentliche und wissentliche Distanzierung von der Kirche dar und ist eine schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft. Wer vor der zuständigen zivilen Behörde aus welchen Gründen auch immer [Hervorhebung N. L.] einen Kirchenaustritt erklärt, verstößt damit gegen die Pflicht, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren (c. 209 §1 CIC), und gegen die Pflicht, seinen finanziellen Beitrag dazu zu leisten, dass die Kirche ihre Aufgaben erfüllen kann (c. 222 §1 CIC i.V.m. c. 1263 CIC).“

Übersetzt ging dieser bis heute gültige Deal mit Rom so: Wir bedrohen vordergründig nicht mehr jeden Kirchenaustritt mindestens als Schisma mit der Exkommunikation. Stattdessen nennen wir ihn „schwere Verfehlung“, sammeln quer durch das ganze kirchliche Gesetzbuch alle möglichen Rechtsbeschränkungen, um sie dann gebündelt automatisch eintreten zu lassen, damit sich, was formal keine Exkommunikation ist, doch so anfühlt.

Und Bischof Bode? Schiebt jetzt auf den Körperschaftsstatus, was er in Wahrheit mit dem von ihm mitverantworteten Gesetz selbst verursacht hat, nämlich die pauschale Stigmatisierung und Sanktionierung von ausgetretenen Katholiken. Das Bischofsspiel ist immer dasselbe: Macht ohne Verantwortung!

Der milde Patriarch?

Und dann gibt sich derselbe Bischof zugewandt gegenüber jenen, denen er mit seinem Gesetz die sakramentale wie soziale Kirchenteilhabe fast vollständig genommen und die er so erst an den Kirchenrand gedrängt hat. Aber auch hier darf man sich vom milden Ton nicht täuschen lassen, denn in der Sache müsse „klar sein: Wenn jemand aus einer Solidargemeinschaft austritt, kann das nicht völlig folgenlos sein … Natürlich kann ich nicht ohne Weiteres jemandem, der aus der Kirche ausgetreten ist, ein Sakrament spenden. Aber vielleicht seinen Kindern.“ Das erste hat niemand bestritten, denn es geht nicht um generelle Folgenlosigkeit, sondern um die pauschale Unverhältnismäßigkeit der Extremsanktionierung. Das zweite ist die bekannte Machtformel im Ohnmachtsdialekt. Denn was der Bischof als natürlich ausgibt, ist in Wahrheit von ihm (mit)gewillkürt. Und schließlich kontrafaktisch so zu tun, als seien Kinder von Ausgetretenen von den Sakramenten eigentlich ausgeschlossen, ist eine dem allgemeinen Kirchenrecht wie auch dem eigenen Gesetz widersprechende Drohung im Sprachgewand paternal vergifteter Milde.

Erst strafen, dann fragen

Dabei kommt es Bischof Bode doch gerade auf die Formulierung an. Schließlich hätten deshalb die Bischöfe ja den ursprünglichen Standardbrief, den die Pfarrer an Ausgetretene verschicken müssen und der „nach hinten losgegangen“ sei, wieder zurückgenommen und durch Bausteine ersetzt, die je nach örtlicher Situation verwendet werden könnten. Schaut man nach, wo steht, was der Bischof hier behauptet, stellt sich schnell Anderes heraus: Die Bischofskonferenz bietet den ursprünglichen Standardbrief von 2012 immer noch an. Nur zusätzlich gibt es ein alternatives Schreiben von 2013, das aber neben variablen Bausteinen (für Einleitung und Ausklang) auch einen „festen Baustein“ enthält. In ihm wird weiter Tacheles geredet. Und zum klärenden Gespräch über die Motive wird auch dort nicht mit Blick auf mögliche Folgen eingeladen, sondern um über die motivunabhängig verfügten und bereits eingetretenen Strafen zu informieren. Gegen die Klarstellung des Apostolischen Stuhls wird den Gläubigen im „festen Baustein“ weiterhin weisgemacht, sie hätten mit ihrem Kirchenaustritt in jedem Fall entschieden die kirchliche Gemeinschaft aufgekündigt und diese „verlassen“, was – wie jeder Bischof weiß – theologisch unmöglich ist. Stattdessen behauptet der Brief, es gehe in der Sache nicht um die Kirchensteuer. Dabei wissen alle, dass es genau und nur darum geht: Wer nicht zahlt, glaubt nicht richtig, wer Sakramente will, muss zahlen. Und solange Bischöfe automatische Sanktionen vor die (vermeintlich pastorale) Kontaktaufnahme mit Ausgetretenen stellen, signalisieren sie nicht offene Ohren und Türen, sondern strafen die einen und wollen die anderen abschrecken, denselben Schritt zu gehen.

In ihren mit dem kirchlichen Arbeitsrecht gerade erneuerten „Erläuterungen zum kirchlichen Dienst“ bekräftigen die Bischöfe, Ausgetretene durchtrennten „die Verbindung zur Bekenntnisgemeinschaft“, begingen einen „Bruch mit der Glaubensgemeinschaft“. Allerdings erkennen sie nun grundsätzlich an, schwerwiegende Gründe könnten einen Kirchenaustritt rechtfertigen. Als einziges Beispiel nennen sie, dass jemand als von sexuellem Missbrauch Betroffener an der Kirche leidet (Nr. 5). Dem als Messdiener von seinem Pfarrer sexuell missbrauchten Mann, dessen Anklagen ungehört verhallten und der bei ansonsten intakter Kirchenpraxis die Kirche nur noch selbstbestimmt unterstützen will, müsste demnach nicht mehr gekündigt werden. Die bisher völlige Irrelevanz des Austritt-Motivs geben die Bischöfe damit gleichwohl nur für das Arbeitsrecht auf. Ansonsten bleibt es bei dem Konzept: Erst strafen, dann fragen.

Wozu reden?
 
Warum und wozu meint Bischof Bode vor diesem Hintergrund, man müsse über Motivationen sprechen? Will er hier gegen Ende seines Regiments Imagepflege für günstige Nachrufe betreiben? Oder sollte ihm angesichts ausgebuchter Kirchenaustrittbehörden dämmern, welchen Bärendienst er und seine Mitbrüder der Kirche mit ihrem Anti-Austrittsgesetz erwiesen haben? Erkennt er, dass eingetreten ist, wovor damals bereits gewarnt wurde? Die Gläubigen durchschauen immer mehr: Die deutschen Bischöfe wollen nicht, wie kirchenrechtlich weltweit vorgesehen, von freiwilligen Gaben ihrer Gläubigen abhängig und auf die Überzeugungskraft ihrer Leitung angewiesen sein. Und über die eingehenden Mittel wollen sie möglichst nach Belieben verfügen – derzeit exemplarisch erlebbar im Erzbistum Köln. Die in der katholischen Kirchenanstalt geltende und für demokratisch geprägte Katholiken ohnehin sperrige Rechnung „Rechte gegen Pflichten“, d. h. gegen Wohlverhalten, wird klar durchsichtig auf eine Rechnung „Rechte gegen Geld“, also auf eine Tauschbeziehung. Und in Tauschbeziehungen können strukturelle Hierarchien von der realen Vormacht der Geldgeber unterlaufen werden. Genau dies praktizieren aktuell immer mehr Katholiken, wenn sie ihre kirchensteuerlichen und anderen Zuwendungen entziehen oder umwidmen. Um mit ihrem Geld selbstbestimmt Christliches zu bewirken (z. B. die kirchenunabhängige Beratungsstelle für Betroffene von sexueller Gewalt in der Kirche „Leuchtzeichen“), lassen sie sich nicht mehr auf die Kanäle Steuer oder Klingelbeutel festlegen, um sich danach für die Mittelverwendung in Beratungsgremien abmühen zu müssen, in denen das Bischofsmotto gilt: Rate mir, was ich will, oder ich löse dich auf. Sie sind auch nicht mehr bereit, sich in ihrem Verbandsengagement von der hierarchischen Zuweisung jener Mittel disziplinieren zu lassen, die von ihnen stammen. Was von den Bischöfen als Abschreckung gedacht war und ist, wirkt so kontraproduktivals Emanzipationsbeschleuniger.

Tear Down This Law!
 
Nach alldem erscheint fraglich, ob es einem Bischof Bode gelingen kann, im Dialog verlorenes Vertrauen wiederaufzubauen, wenn er sich einerseits pseudobescheiden als „Schaf“ ausgibt – was er seit seiner Weihe wesensmäßig nicht mehr ist –, und andererseits sein Letztentscheidungsrecht als Hirte betont. Denn – so Bode – : „Wir haben immer noch eine hierarchische Kirche“. Sicher nicht gelingen wird es jedenfalls, wenn er in Interviews dabei bleibt, Wahrheiten zu verdrehen, Verantwortung zu leugnen und zu verkehren, und unter dem Freundlichkeitsamalgam die patriarchale Positionsmacht durchscheinen lässt. Dabei wäre es für einen Bischof, der wirklich werben statt drohen will, eigentlich einfach, dem Ruf von Gläubigen zu folgen: „Excellence/Eminenz, Tear Down This Law!“

Norbert Lüdecke war bis zu seiner Emeretierung Professor für Kirchenrecht an der Universität Bonn.

2 Kommentare:

  1. Es besteht auch die Möglichkeit, abwechselnd Mitglied und Nicht-Mitglied in einer Kirche zu sein. Nötig ist ein mystisches und pantheistisches Christentum. Mehr dazu auf meiner Internetseite (bitte auf meinen Nick-Namen klicken).

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  2. Danke für die klaren Worte!

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