Sonntag, 10. November 2024

Mehr Simone wagen

Screenshot: Peter Otten
"Keine Kartoffeln schälen, aber die Weltlage analysieren. Sieht man ja an Sylt, wohin das führt." Ein schlecht gelaunter Jesus war neulich beim 100. Zeitfenster-Gottesdienst in Aachen dabei. Er zeigt sich WG-erfahren und gibt einen guten Rat: Wir sollten mehr Simone wagen.

Von Peter Otten

Ach du Sch***e. Seid ihr auch wieder da? Gabs heut nix bei Netflix? Oder hat es der Lieferando Fahrer wieder verkackt? Weil der die Süßkartoffeln nicht dabei hatte und das Thai-Curry vom Asiaten schon wieder sch***ekalt war? "Kann der nicht einfach ein bisschen schneller radfahren? habt ihr geflucht. Ist das denn zu viel verlangt?"

Und dann habt ihr gedacht: Ey, gehen wir zum Zeitfenster, vielleicht können wir da eine eine Ingwer-Limo abgreifen. Oder wenigstens ein Wegbier. 

Lieferando ... ey, echt jetzt?

Gut, dass ihr Luschen damals nicht beim Brotwunder dabei wart. Das wär ja ein Desaster geworden! 5000 Menschen, langer Tag, es wird dunkel, alle hundemüde und nichts zu essen.

Ihr so: Ach du Kacke! Die Leute haben Hunger.

Ich so: Und jetzt?

Ihr so: Sollen wir was bestellen?

Ich so: Wo denn?

Ihr so: Wir haben noch fünf Gutscheine von Lieferando und zwei Speisekarten von Domino-Pizza.

Ich so: Ach du Sch***e …

Ihr so: Ach nee, geht ja nicht, hier gibt’s kein Netz...

Mittwoch, 9. Oktober 2024

Nur als Stempel spüre ich mich noch

Kirche im Modus des Stempelns: Eine Kirche, die die überschäumende Zuwendung Gottes in der Welt nicht mehr darstellen kann oder will - mit anderen Worten: nicht sakramental greifbar macht - ist vor allem eins: unglaubwürdig. 

Von Peter Otten

Gestern schickte mir eine bestürzte Mutter den Anmeldezettel zur Erstkommunion ihres Kindes in einer westdeutschen Gemeinde. Am Schluss des Dokuments unterschreibt sie, dass sie über die "verbindlichen Elemente der Erstkommunion informiert worden" sei. Insbesondere auf die Teilnahme an den Messfeiern und Wortgottesdiensten sei hingewiesen worden. "Die Erinnerungen an die Gottesdienste werden in einem Stempelheft der Kinder gesammelt. Darüber hinaus ist uns bewusst, dass nur dann eine ausreichende Vorbereitung auf die Erstkommunion erfolgt ist, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind." Beim Lesen kam mir für einen Moment mit einer Spur Ironie in den Sinn, es könne nur wirklich kein Zufall sein, dass ich gerade vor wenigen Minuten einen Kaufvertrag für einen neuen Geschirrspüler unterschrieben hatte.

Mittwoch, 2. Oktober 2024

Dass auch im großen Schrecken die Liebe wartet

Das genau ist ja der Weg Jesu, von dem im Evangelium die Rede ist: Hände halten, Wäsche waschen, Tränen trocknen, Umarmen, Zuhören. Einen anderen Weg gibt es nicht, um Vertrauen zu säen in den Schrecken, der größer nicht sein kann. Vor ein paar Tagen ist eine junge Frau aus der Pfarrei gestorben. Der Text ist die gekürzte und sprachlich leicht angepasste Fassung der Ansprache bei ihrer Trauerfeier. Alle Namen sind geändert.

Von Peter Otten

Denn der Schrecken ist in Ihr Leben getreten. Was für ein Wahnsinn. Nicht erklärbar und schon gar nicht entschuldbar. Und Ihre Fragen, die Sie und viele anderen, die heute hier sind auch Gott entgegen schleudern – warum hat er sie mir weg genommen? – auch sie hatten in den letzten Tagen und heute ihren Platz. Luzies Tod macht keinen Sinn. Er ist schrecklich, einfach nur abgrundtief schlimm. Franz hat stellvertretend für viele diesen Schmerz im Psalm ausgesprochen. Und der Schmerz wird noch lange weitergehen. Und sein Echo wird viele von denen, die heute hier sind noch lange begleiten.


Es ist noch nicht lange her, da haben wir in der Agneskirche Erstkommunion gefeiert. Nach jeder Gruppenstunde habt ihr Kinder ein Brot genommen, habt es geteilt und zwar so lange geteilt, bis alle Kinder etwas hatten. Das ist der Sinn der Kommunion. Keiner soll leer ausgehen. Jeden Sonntag in der Eucharistiefeier passiert ja dasselbe. Seit dem ersten Tag von Luzies Krankheit haben viele von denen, die heute hier sind geteilt. Zeit, Energie, Essen, Taschentücher, Stille, Umarmungen, Schweigen, Gebete, Kerzen, Hände und vor allem viel, viel Pragmatisches. Ihr habt auf Lara und ihren Vater aufgepasst. Ihr habt Lasten abgenommen, Wäsche gewaschen, seid einkaufen gegangen, habt Exel-Tabellen ausgefüllt. Ihr habt - mit Joseph Beuys gesprochen - eine Wärmeskulptur gebildet. Das hat nicht verhindert, dass Luzie kränker und kränker wurde. Das hat den Tod nicht abgehalten. Es hat aber etwas anderes gebracht: Trost, Wärme, Zusammenhalt, Gemeinschaft, Solidarität. Der Tod hat die Liebe in der Wärmeskulptur nicht töten können. Er hat gewütet und verletzt und hat ein schlimmes Werk getan. Aber er hat die Liebe nicht töten können. Ich bin voller Respekt dafür, was ihr in den letzten Wochen und Monaten geleistet habt. Nämlich das, was wir mit Lara und vielen von euch und vielen anderen sonntags auch gefeiert haben: Kommunion.

Montag, 9. September 2024

KRIEG UND WÄSCHE - eine Verheißung


Gedanken zur Eröffnung der Multimedia-Installation „KRIEG UND WÄSCHE von Christiane Rath am 7. September 2024 in St. Gertrud

Von Peter Otten

Als ich ein Kind war, lebte meine Großtante mit Herrn Rindermann zusammen. Sie war bis zu ihrer Pensionierung Lehrerin gewesen. Und was vielleicht nur wenige wissen: Es gab eine Zeit, in der Lehrerinnen nicht heiraten durften. Nach außen diente meine Großtante Herrn Rindermann als eine Art Gesellschafterin. Herr Rindermann hatte keine Haare mehr auf dem Kopf. Und für diesen Umstand hatte er eine Erklärung, die mir, dem kleinen Jungen, gleichsam plausibel und rätselhaft erschien: Sie seien fortgeweht worden, als er bei einer Zugfahrt den Kopf aus dem Fenster gehalten habe. Herr Rindermann war Soldat im ersten Weltkrieg gewesen. In meiner Erinnerung war er der erste Mensch, der den Krieg in mein Kinderleben brachte. „Weltkrieg“, das klang bedrohlich, geheimnisvoll und unwirklich, als ich vor meinem Stück Sonntagskuchen auf dem dick gepolsterten Canapé gesessen bin.

Mittwoch, 12. Juni 2024

Losverfahren für mehr Beteiligung? Eine Einordnung

Foto: brit berlin / pixelio.de
Losverfahren sind „organisierter Zufall. Sie hängen maßgeblich
von Entscheidungen im Vorfeld ab.
Wenn das Erzbistum Köln nun mit stärkerer Beteiligung wirbt, bleibt die Frage, um wessen Beteiligung es hier eigentlich geht.

Von Jonas Maria Hoff

Das Erzbistum Köln stellt seinen Diözesanpastoralrat neu auf und greift dazu auf ein ungewöhnliches Entscheidungs- und Auswahlformat zurück: das Losverfahren. Dabei hat sich das Erzbistum – der eigenen Pressemitteilung zufolge – von Bürgerräten inspirieren lassen, die in verschiedenen Demokratien zu Beratungszwecken eingesetzt werden. Auch in Deutschland hat es jüngst einen solchen Bürgerrat zum Thema Ernährung gegeben. In diesem Gremium haben ausgeloste Büger:innen zu grundlegenden Fragen der Ernährung beraten und Handlungsempfehlungen für den Deutschen Bundestag beschlossen. Das Erzbistum Köln übernimmt nun nicht nur den Los-Mechanismus, sondern auch die zentrale politische Begründung für Losverfahren. Es gehe um „stärkere Beteiligung“.

Mittwoch, 27. März 2024

Die Banalität des Heils

Screenshot: Peter Otten
Wir dürfen gerade in der Kirche der Banalität des Bösen nicht die Banalität des Heils entgegensetzen. Denn Gott und mit ihm alles, was lebt können verschwinden. Gedanken zum Karfreitag.

Von Peter Otten

Ein Häftling im KZ Auschwitz hat Hedwig Höß ein Wäschebündel gebracht. Die Wäschestücke werden auf einem Tisch ausgebreitet. Die Bediensteten, allesamt ebenfalls Häftlinge greifen schweigend zu. Ein Pelzmantel wird in ihr Ankleidezimmer getragen. Hedwig Höß, die Frau des Lagerkommandanten des KZ Auschwitz, schlüpft hinein. Die Kamera beobachtet, wie sie sich ein wenig ungelenk vor dem Spiegel hin- und herdreht. In der Tasche findet sie einen Lippenstift. Später wird sie sich mit diesem Lippenstift ihre Lippen färben; die Farbe später wieder mit einem Taschentuch abwischen. Den Pelzmantel wird sie einer ihrer namenlosen Bediensteten in die Hand drücken. Sie möge ihn reinigen und einen losen Saum wieder richten, wirft sie ihr im Vorbeigehen zu. 

Eine Szene aus dem Film „The Zone Of Interest“ des britischen Regisseurs Jonathan Glazer. Vor ein paar Wochen ist er mit fünf Oscars ausgezeichnet worden.

Freitag, 9. Februar 2024

Nie widder is hück!

Foto: Larissa Neubauer
Im Karnevalsgottesdienst in der Kölner Agneskirche hat das Hänneschen aus dem Hänneschentheater gepredigt. Dabei erinnerte es an Fanny Meyer. Die Puppenspielerin wurde in Auschwitz ermordet, weil ihr Vater Jude war. "Denn mer wulle üch doran erinnere, wat passeet wenn mir nit all zesamme stonn. Denn: Nie widder is hück!"

Von Uli Kievernagel
 

Jetzt musste das Hänneschen erst 222 Jahre alt werden, um es erste Mal in einer Kirche predigen zu dürfen. Der Ludwig Sebus, der durfte das schon, da war gerade erst mal 97 Jahre alt.  

In däm Text uss d´r Bibel evens jing et daröm, dat man sich nit sorjen sull un et esu mache sull wie die Vögel im Himmel – da janzen Dach eröm fleje un jood es. Ävver kann man dat hück noch mache? Müssen wir uns nicht Sorgen darum machen, wat um uns eröm passeet? Dä Fastelvoend verleitet natürlich dazu, nur dä Spaß zu sin. Kumm loss mer fiere, jet suffe und dann luure, op mer met dä Schüss jet danze kann. Dat is och jood esu. Doch trotz aller Spaß an d´r Freud müssen wir immer noch aufpassen, wat um uns eröm passeet! Opjepass: Wenn wir dat hück nit dun, dann kann unser geliebter, bunter Karneval schnell braun werden. Denn: Nie widder is hück! Gerade heute, gerade jetzt, zeigt sich, dass wir für unsere Lebensart einstehen müssen. Do treffen sich echt fiese Strippenzieher in Hinterzimmern, öm ze plane, wie man Minsche footbring, de dänne nit jefalle. Et jitt vill ze vill Minsche, die han verjesse - oder die wulle et nie mieh wisse - wat schon ens he bei uns passeet is. Ävver mer dürfte et nie verjesse: Ejal wohin de luurst, dä Schuhß ess fruchtbar noch, uss däm die Nazibrut russkroch. Wir müssen jetzt, wo die letzten Zeitzeugen verschwinden, die Erinnerung wachhalten. Denn: Nie widder is hück!