Mittwoch, 27. April 2022

Die Grenzen der Domestosstrategie

Am 26. April
habe ich bei der Verabschiedung der wunderbaren Regina Laudage-Kleeberg predigen dürfen. Es ging um Mk 9, 2-20. "
Und dann stehen die Menschen, die das sehen ganz verdattert rum mit ihren Domestosflaschen. Ihren verpflichtenden Elternvorkursen und ihrer Liturgiefähigkeit. Der liebe Heiland hat das Ende der Kochwäsche leider nicht abgewartet."

Von Peter Otten

Ich weiß nicht, ob sich die Älteren von euch noch an eine bestimmte Domestos-Werbung aus den 80ern erinnern: Da war ein großer aquariumsartiger Bottich mit dreckigem Wasser. Dann kippte jemand einen ordentlichen Schluck Domestos in die Brühe – und wie von Geisterhand wurde, untermalt von triumphierender Musik sämtlicher Schmutz wieder in klares Wasser verwandelt. Ich bin damals ein Kind gewesen hing ungläubig an der Glotze und hab sofort Durst bekommen und ich hätte mit großer Lust diesen Bottich ausgetrunken. Was für ein Teufelszeug, dieses Domestos! Und ich habe meine Mutter angefleht, genau dieses Teufelszeug doch mal zu kaufen. Wenn es solche sinnvollen Wunder vollbringen konnte, dann wollte ich das auch mal ausprobieren. Das schien mir doch eine total sinnvolle Angelegenheit zu sein! Und so einfach! Nie wieder Abwasser! Aber meine Mutter hatte zum Glück immer abgelehnt. Zu scharf sei das Zeug (was auch immer das bedeutete). Und dann hatte sie mir mal das Preisschild gezeigt, für so einen Quatsch, verstehste, nein, wird kein Geld ausgegeben, bist wohl verrückt.

Wenn ich als Kind in der Kirche diese Geschichte von der Verklärung gehört habe, habe ich immer an diesen Domestos-Werbespot denken müssen. In meiner Phantasie war Jesus vermutlich auf dem Berg einfach in einen Bottich gestiegen, einer der Jünger hatte mit überlegener Miene ein paar Spritzer von dem Teufelszeug auf seine Klamotten gespritzt – voila! So musste es gewesen sein. (Damals habe ich die Stelle, die erzählt, dass Jesu Gewand heller geworden sei, als es ein Bleicher vermöge, entweder nicht gehört oder nicht kapiert oder beides. Wie auch immer: Verklärung war für mich lange eine Art Domestos-Verklärung.)
Doch halt! Mitunter scheint es so zu sein, dass die Domestos-Flasche tatsächlich ein populäres Medium der Glaubensverkündigung ist. Warum komme ich darauf? Ich musste am Wochenende jedenfalls wieder an die Domestosflaschen denken, als ich ein Interview mit einer Seelsorgerin las, die von der Erstkommunionvorbereitung in ihrer Gemeinde berichtete. Sie erzählte:

„Bei unserer Kommunionvorbereitung gibt es einen verpflichtenden Elternvorkurs. Das heißt, bevor man Kinder in unserer Gemeinde anmeldet, müssen sich die Eltern mit dem Konzept vertraut machen, damit wir wissen, dass sie diesen Weg auch wirklich mit uns zusammen und ihren Kindern gehen möchten.“ Und weiter: „Die Messe ist den Kindern komplett fremd, aber auch den Eltern. Eine Liturgiefähigkeit zu erreichen, dass die Familien gerne kommen, ist schon wirklich ein Kraftakt. Wenn man nicht immer ein Event machen will, muss man schon sehr überzeugend die Symbolik erklären, weil sich vieles auch gar nicht mehr den Menschen erhellt.“

Beim Lesen fühlte ich mich von Domestosflaschen umstellt. Verpflichtender Elternvorkurs, das klingt ja schon nach Einweichen oder / und Vorwäsche. Und bei dem Wort „Liturgiefähigkeit“, da habe ich mich dann erschrocken. Denn wie mag sie erst aussehen, die LiturgieUNfähigkeit? Und wer stellt sie fest? Gibt es eine Punkteskala? Gilt, dass, wie Jürgen Becker mal gesagt hat eine vier minus im Katholizismus immer noch reicht? Gibt’s blaue Briefe? Jedenfalls klingt das sehr nach dem Bottich mit dem dreckigen Wasser. Und nach ganz viel Domestos. Nebenbei: Warum muss man Symbolik erklären? Und noch dazu überzeugend? Das wäre ja so, als müsste der Stadionsprecher beim FC jeden Samstag das FC-Lied erklären. „Jetzt singt die Kölner Mundartgruppe Höhner ein Lied, was Verbundenheit ausdrückt. Zum Zeichen dafür werden viele Viertel Kölns, aber auch Dörfer und Städte um Köln herum aufgezählt: Ehrenfeld, Raderthal, Bergisch Gladbach, Poll, Esch, Pesch und Kalk. Bitte schwenken Sie als Zeichen des Übermutes nun alle Ihre Fanschals.“Absurd.

Es geht nicht um Kollegenschelte. Die Angelegenheit ist tatsächlich schwierig. Denn: Mit der Verklärung ist es so eine Sache. Und deswegen mag ich die Geschichte, die wir gerade gehört haben so sehr. Sie erzählt eben nicht davon, wie Verklärung passiert. Im Gegenteil. Sie sagt, wie es auf keinen Fall passiert. Nämlich mit Bleichen und Waschen und Domestos. Die Geschichte erzählt nur davon, dass Verklärung passiert. Vier Menschen steigen auf einen Berg. Und dann passiert die Verwandlung einfach.

Und dann stehen die Menschen, die das sehen ganz verdattert rum mit ihren Domestosflaschen. Ihren verpflichtenden Elternvorkursen und ihrer Liturgiefähigkeit. Der liebe Heiland hat das Ende der Kochwäsche leider nicht abgewartet. Diese Szene mit den drei Kerlen, die auf Jesus starren ist so köstlich. Man möchte gerne dabei gewesen sein. Und mitten in der Verdatterung kommt der Anführer, der immer ganz vorn am Waschzuber steht auf die Idee, auf die Funktionäre in der Kirche immer kommen: Lasst uns was bauen. Eine Hütte, ein Häuschen, ein Kapellchen, ein Kirchlein, einen Dom. Ein neues Pfarrzentrum. Einen Elternvorkus. Ein Konzept. Eine Arbeitsgruppe. Einen Kurs zur Liturgiebefähigung. Am besten als Hybrid für die Verängstigten. Ein schönes Schränkchen, in den wir den blitzblanken Heiland reintun.

Denn wir alle sind ja ein bisschen Anführer, ein bisschen Petrus oder Petra am Waschzuber. Wir wissen nicht nur, was für die Menschen am besten ist. Wir wissen sogar, was für den Heiland himself am besten ist. Und nicht nur für den. Für Elija und Moses auch. Und alle anderen noch dazu.

Es kann doch nicht sein, dass Verklärung einfach so passiert. Dass sich die Herrlichkeit des Herrn einfach so ergibt. Das wäre ja unerhört! Wo kämen wir denn da hin! Es braucht doch unsere Hinweisschilder und Merksätze und Arbeitsmappen.

Doch, es passiert aber so.

Ich begleite gerade einen Menschen, der ist ungefähr so alt wie ich und der hat vor einem Jahr seine Mutter verloren. Innerhalb von zehn Wochen ist sie gestorben. Und er konnte während ihrer Erkrankung aus Gründen nicht bei ihr sein und hat auch ihr Sterben nicht begleitet. In den letzten Jahren hatte sich ihre Beziehung noch mal sehr veredelt. Sie war sehr tief und vertraut geworden. Und nun saß er da neben mir in der Agneskirche, ein großer Haufen Elend, denn er fühlt keine Verbindung zu seiner toten Mutter. Er hätte gern eine. Und versteht nicht, warum es nicht so ist. Und das macht ihm eine Angst. Hat er sie nicht genug geliebt? Hat er etwas falsch gemacht? Warum spürt er nicht, dass es ihr gut geht? Geht es ihr vielleicht nicht gut?

Da ist er wieder, der Bottich. Oder um im Bild der Geschichte zu bleiben: Die große Wolke. Und ich, ganz Seelsorger, ich bin auf der Suche nach der Domestosflasche, denn ich möchte ja, spritz, spritz, dass sich die dunkle Wolke klärt. Und bevor ich mich das zweite Mal mit ihm treffe rufe ich einen Kollegen an, der Trauerkurse bei uns organisiert. Was kann ich ihm raten? Was kann ich ihm sagen? Um im Bild zu bleiben: Wie kann ich ihn trauerfähig machen? Wie kann ich die Herrlichkeit des Herrn aus der Wolke kitzeln?

Der Kollege sagt: Sag ihm, es ist ok, wie er sich fühlt. Sein Gefühl ist in Ordnung.

Da habe ich kapiert, dass ich mit der Domestosflasche nicht weit komme. Und als ich mit dem traurigen ängstlichen Mann durch den Park gehe und wir uns auf eine Bank setzen, da sage ich ihm, nachdem er wieder von seiner Leere und seiner Angst gesprochen hat: „Es ist ok, wie Sie sich fühlen. Ihr Gefühl ist in Ordnung. Bekämpfen Sie es nicht. Akzeptieren Sie, dass es gerade zu Ihnen gehört.“ „Sie meinen, Zeit heilt alle Wunden, finde dich ab, so was?“ „Nein“, sage ich „das gerade nicht. Abfinden ist zynisch. Aber hören Sie auf, gegen das Gefühl zu kämpfen. Es zu bekämpfen. Ihr Gefühl hat einen Sinn, auch wenn Sie nicht dahinter kommen.“ „Das fällt mir schwer“ sagt er. „Vielleicht können Sie das Gefühl ansprechen“ sage ich. „Vielleicht können Sie sagen: Angst, Leere, ihr seid da. Und das ist in Ordnung. Ich finde euch zwar Scheiße, aber ich werde euch nicht bekämpfen. Das muss ich nicht mehr. Ich weiß, ihr werdet euch irgendwann verwandeln. Wenn die Zeit reif ist.“

Dann sind wir auseinander gegangen. Im Mai werden wir uns wieder treffen. Ich bin gespannt, was er erzählen wird. Ob die Zeit langsam reift oder noch nicht. Der Beginn von Verklärung.

Warum erzähle ich das? Weil die Geschichte, die wir heute gehört haben sagt: Verwandlung passiert. Die Herrlichkeit des Herrn zeigt sich und hat es lang getan. Da kannst du nichts dran machen. Und erst recht nichts dagegen. Sie zeigt sich, auch ohne neues Pfarrheim und erst recht ohne verpflichtenden Elternvorkurs. Wir in der Kirche sind doch kein Waschsalon. Wir Seelsorger keine Domestos-VertreterInnen. Wir können die Herrlichkeit des Herrn nicht herbeierklären, herbeidozieren, herbeiproben, herbeikonzeptionieren und auch nicht durch Vor- oder Nachkurse herbeiunterrichten. Was nicht heißt, wir müssen die Hände in den Schoß legen und nichts tun. Wir müssen schon losgehen, wir müssen sehen, mit wem wir unterwegs sind, wir müssen damit rechnen, dass es einen steilen Berg hoch geht.

Aber vor allem: Wir dürfen damit rechnen, dass Verwandlung und Verklärung geschehen. Und zwar vor unseren Augen. Einfach so. Wir müssen das Urteilen sein lassen. Du brauchst einen Vorkurs. Weil… ja weil? Ja, warum eigentlich? Warum eigentlich? Etwa, weil du nicht bist wie alle anderen? Aber hat nicht der olle Klaus Hoffmann, den vermutlich niemand außer mir kennt mal gesungen: Weil du nicht bist wie alle anderen liebe ich dich? Wenn das stimmt - wo ist denn dann das Problem?

Bei der Probe für die Erstkommunion am Sonntag habe ich gefragt, welches Kind die Lesung lesen möchte. Gemeldet haben sich 14. Ich habe sie runterhandeln können auf zehn, habe den vier Kindern, die übrig geblieben sind gesagt, bitte denkt euch eine Fürbitte aus! Fanden sie gut. Dann habe ich den Text in fünf Teile geteilt. Für jedes Kind einen Satz. Und dann haben wir die Lesung einfach zwei Mal gelesen. Zuerst die ersten fünf. Dann die zweiten Fünf. Und schon haben alle in der Kirche kapiert, was Kommunion bedeutet. Teilen, bis alle etwas haben. Und wenns die Bibel ist.

Wir reden viel über Entrepreneurs oder wie das heißt, Kirche neu denken, dies und das. Auch hier heute Abend in Essen sind viele versammelt, schätze ich, die sich darüber die Köpfe zerbrechen. Ich persönlich glaube ja, wir brauchen weniger Domestos in der Kirche. Weniger Proben, weniger Exerzieren, weniger Apologetik. Weniger Behaupten. Weniger Beurteilen. Weniger Schnappatmung. Weniger Projektion der eigenen Erinnerungen, vor allem das. Heute Morgen fiel mir beim Vorbereiten zufällig der Text „To Ramona“ von Bob Dylan in die Hände. Dylan schreibt:

„Ich habe dich oft sagen hören,
 
Du wärst besser als niemand
Und niemand wäre besser als du
Wenn du das wirklich glaubst
Weißt du auch, du hast
Nichts zu gewinnen und zu verlieren
Dein Kummer stammt von fixen Ideen und Mächten und Freunden
Die dir etwas weißmachen, dich in Schubladen sortieren
Und dir das Gefühl geben 
Du müsstest genauso sein wie sie.“

Warum sind wir in der Kirche allzu oft die Menschen, die den anderen Kummer machen? Warum erscheinen wir zu oft als die besserwissenden Sonderlinge mit den fixen Ideen und Mächten? Geht’s echt nur über den verpflichtenden Vorkurs zur Verklärung? Was für einen Sinn hätte das? Wie wäre es mit mehr Offenheit. Mehr Hinsehen. Mehr Freundlichkeit. Mehr Vertrauen. Mehr Interesse. Mehr Gelassenheit. Einatmen und Ausatmen? Und dann auf den Berg steigen. Denn ich hab eine gute Nachricht für dich: Die Herrlichkeit des Herrn ist schon da. Ständig. Immer. Macht dir da mal keine Sorgen.

3 Kommentare:

  1. Eine ganz wunderbare Predigt! Bei der Verklärungserzählung muss ich immer an meine Studienzeit in einem deutschen Konvikt denken und einen „running gag“: ein beleibter und dem „Diesseitigen“ sehr zugewandter Mitstudent hatte seine eigene Version. „Lass uns drei Hütten bauen. Eine für mich. Und zwei Verpflegungshütten.“

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  2. Darf verraten werden, warum Regina Laudage-Kleeberg sich vom Arbeitgeber Bistum Essen verabschiedet hat?

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    1. Sie hat den Job gewechselt. Ich vermute, wie Menschen das hin und wieder so machen, wenn sie denken, es ist Zeit für etwas anderes.

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