Freitag, 13. September 2013

Der lästige Gott


Screenshot: Peter Otten
Am Tag der Bundestagswahl wird in den katholischen Gottesdiensten ein kleines Stück aus dem Buch Amos vorgelesen. Er macht mit einer eher lästigen Seite des Glaubens bekannt: Gott kann ganz schön wütend sein.

Von Peter Otten

Das Unangenehme bei Amos ist, dass er beim Leser Unbehagen verursacht. Denn er schimpft nicht eine versunkene Kaste von Kaufleuten an, die vor vielen Jahrhunderten in einem orientalischen Land die Armen ausnahmen. Er meint – wie frech! - tatsächlich uns, die wir heute Geschäfte treiben: Dinge kaufen und teuer weiterverscherbeln, auf Teufel komm raus konsumieren, uns den Wanst vollfressen. Die „Generation-Ebay, -Amazon oder -Ab-in-den-Urlaub.de“ hat bis in alle Ewigkeit in ihrer DNA eingraviert, wie geil der Geiz ist. Die Paketboten, die in ihren klapprigen Privatautos als Subunternehmer nicht nach Arbeitszeit, sondern pro ausgeliefertes Paket bezahlt werden? Egal ob sie einmal oder dreimal klingeln müssen? Phhh. Die am ersten Weihnachtstag ausliefern mussten, weil Schnee lag? Ach Gottchen. Schon die Kinder und Jugendlichen in ihren durchökonomisierten Schul- und Studierendenleben, wo es nur noch darauf ankommt, möglichst schnell zu Konsumenten, Beitrags- und Steuerzahlern geformt zu werden, alternativlos, selbstverständlich. Nicht gerne werden wir daran erinnert, dass unser 9-Cent-Brötchen das Aus für die Viertels-Bäckerei bedeutet. Ist aber so. Und nicht oft denken wir daran, dass das verwaschene Schnitzel auf meinem Teller für einen Bauern im Sudan den Tod bedeutet. Tja, auch das stimmt aber.

Doch manchmal kommen wir nicht drumherum, und dann lesen wir zum Beispiel in der „Zeit“, dass es in den letzten Jahren vor allem in Teilen Asiens ein großes Einkommenswachstum gab (nachdem zuvor in der westlichen Welt die Einkommen gestiegen waren). Damit wollten die Leute besser essen, anderes essen. Sie wollen mehr Fleisch essen. Für die Produktion von Fleisch werden große Landflächen verbraucht. Denn für ein Kilogramm Schweinefleisch müssen zwölf Kilo Getreide verfüttert werden. In vielen Ländern wird das Land knapp. Daher schauen ihre Investoren begierig auf Land in Afrika. Viele Bauern dort haben keine Landtitel und verlieren ihre Ländereien. Sie stehen dann mit nichts da.

Oder werfen wir einen Blick aufs Handy. Die hippe Ästhetik der Smartphones hat eine düstere Seite. Denn in den Kondensatoren der Taschencomputer befindet sich das seltene Erz Coltan. Ohne diesen Rohstoff keine sms, kein „Whats app“ und kein lustiges Youtube-Video. Über 50 % davon wird in der Demokratischen Republik Kongo geschürft. Vor allem Rebellengruppen kontrollieren den Abbau in primitivsten Minen und finanzieren so ihre Waffen. Beobachter erzählen von Kinderarbeit, von Mord und Vergewaltigungen. „Letztendlich“ sagt der Regisseur Frank Poulsen, „geht es nur um den Preis.“ Poulsen hat in einem Dokumentarfilm die blutige Produktion von Handys erzählt. Er weiß: Am Ende zählt nur eins: „Wenn das Mobiltelefon durch illegales Coltan billiger produziert werden kann, dann kann man günstiger als die Konkurrenz sein. Und die Käufer von Mobiltelefonen schauen auf die Preise.“

Apropos Preise: Mitten in unseren Städten hat sich ein altes Gewerbe wieder etabliert: Der Arbeiterstrich. Nicht zufällig stellt er einen semantischen Zusammenhang zur Prostitution her. „Für ein paar Sandalen die Armen kaufen“ – das funktioniert auch in München oder Köln-Ehrenfeld. Die Regeln sollen einfach sein, heißt es: Einmal hupen bedeutet, ein Arbeiter wird gebraucht, zweimal Hupen signalisiert: Hier werden zwei benötigt. Dauer und Entlohnung werden mit Fingerzeig verhandelt. Dann werden Rumänen und Bulgaren plötzlich zu harten Konkurrenten und machen die Preise kaputt, wie das so ist, wenn ein Markt entsteht – und sei es ein Markt der armen Teufel: Fließen legen, Schutt wegräumen, Ausschachten für 60, nein 50, nein 40 Euro pro Tag – während die Freier in ihren Lieferwagen abwarten. Und selbst auf dem Arbeiterstrich gibt’s noch welche, die übrig bleiben, die auch nach drei, vier, fünf Stunden keiner will. Darunter auch Frauen. Kinderwagen wurden schon gesichtet. Anwohner rufen die Polizei, da sie stören. Sie pinkeln in die Beete und auf den Spielplatz. Manche übernachten sogar dort. Haben wir nichts mit zu tun: Wir melden unsere Reinigungskräfte selbstverständlich immer an (es sei denn, die wollen das selbst nicht!).

„Zu seiner Zeit“ schreibt der Theologe Thomas Ruster über Amos, „fand er die ganze Gesellschaft vom Gift und Wermut der Rechtlosigkeit erfüllt. Er sah das Elend und die Chancenlosigkeit der Armen und die Schamlosigkeit der Besitzenden, deren einziger Zweck die Kapitalvermehrung war. Und er schloss, dass Gott eine solche strukturell böse Welt nur ablehnen kann, dass sie als Ganze unter Gottes Zorn fällt. Gott ist anders als alles, d.h. er ist nicht einverstanden mit dem, was der Fall ist, er stützt auf keine Weise das Bestehende." (Thomas Ruster: „Die Austreibung des Dämonischen aus der Wirtschaft“. Mit Tora und Talmud gegen autonomisierte Funktionssysteme, Köln 2010).

Und wir Christinnen und Christen? Sind wir eine Systemgefahr in Zeiten eines wild gewordenen Raubtier-Kapitalismus? Regen wir uns darüber auf, dass die Abfälle der deutschen Hühnerindustrie nach Afrika verschleudert werden, wo sie die einheimischen Märkte kaputtmachen? Finden wir nicht auch, dass der Veggie-Day eine spinnerte Idee ist, obwohl die Idee der vegetarischen Ernährung womöglich im Schöpfungsbericht der Genesis anklingt, wie manche Exegeten meinen? Gehen wir nicht auch ins Fachgeschäft und lassen und kostenlos beraten, um den Artikel später im Internet zu kaufen („wir überlegen es uns noch mal!“)? Rennen wir etwa nicht zum Lebensmitteldiscounter, obwohl wir wissen, dass die da nicht ausbilden? „Keine ihrer Taten werde ich jemals vergessen“, zitiert Amos den Schwur Gottes. „Wegen ihrem Stolz.“ Wegen unserer Ignoranz. Weil es uns einfach egal ist. Aber Gott ist anders als wir. „Macht mit mir eine Revolution“, sagte der Papst den Jugendlichen beim Weltjugendtag in Rio de Janeiro. Und der Kontext seiner Rede ließ ahnen: er meinte nicht die feine eher metaphorische „Revolution der Liebe“. Sondern die konkrete Veränderung, den Umsturz der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Strukturen, die aus Menschen Material machen. Es darf uns nicht egal sein. Gott ist es doch auch nicht egal. Das Wort „egal“ kommt in seinem Wortschatz nicht vor. Und wer das nicht kapiert, der muss sich vom lieben Gott halt hin und wieder mal anschreien lassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen