Montag, 23. September 2013

In der zweiten Reihe

Foto: Thomas Max Müller / pixelio.de
Die Grundhaltung des Papstes könnte man so zusammenfassen: "Verkündet das Evangelium, wenn nötig auch mit Worten." Sein Programm, wie Franziskus es in seinem Interview mit Antonio Spadaro darlegt, zeigt eine große Symphatie für die Welt als Offenbarungsort des Evangeliums. Das ist kein neuer, aber tatsächlich ein großer Wurf, der das Christentum für weite Teile der Menschen wieder interessant machen könnte. Denn er katapultiert die Kirche in den Zeiten der Globalisierung mitten auf die Bühne. Wer Gott finden will, muss an die Grenzen der Welt gehen und - ganz wichtig! - dort aushalten. Wenn das aber so ist, sind Perspektivveränderungen in der Theologie, in der Struktur und im Regelwerk der Kirche keine Petitesse, sondern dringend und unvermeidlich.

Von Peter Otten

Das Wichtigste zuerst: Die Welt und nur sie ist der Offenbarungsort des Evangeliums. Und weil sie das ist, gerät für den Papst die Gegenwart in den Fokus: "Der – sagen wir – ‚konkrete Gott‘ ist heute“. (...) Gott kommt im Heute entgegen.“ Das wirft ein schönes Licht auf die Formatierung der Kirche: "Wir dürfen die Universalkirche nicht auf ein schützendes Nest unserer Mittelmäßigkeit reduzieren“. Das ist milieusensible Pastoral sowie Inklusion in einen Satz gepackt.
Und das ist aus einem anderen Grunde nicht minder aufregend: Der Papst zeigt große Sympathie für die Äußerungen der Gegenwartskultur, in denen sich die Welt ausdrückt und über sich nachdenkt - und die Kirche kann sogar davon lernen, ja mehr noch: Sie hat die Verpflichtung dazu: "Auch die Formen, die Wahrheit auszudrücken, können verschieden sein. Und das ist sogar nötig, um die evangelische Botschaft in ihrer unveränderlichen Bedeutung weiterzugeben.“ Daraus folgt für ihn: "Das Denken der Kirche muss wieder Genialität gewinnen und muss immer besser begreifen, wie der Mensch sich heute versteht, um so ihre eigene Lehre besser zu entwickeln und zu vertiefen.“ Die Kirche taugt nicht zur Abgrenzung von der Welt, sondern sie hat - folgt man der Argumentation des Papstes - eine synthetische Rolle: In der Welt Gott zu finden, an der Rändern der Welt sich selbst und daraus ihre Aufgabe zu formulieren - aber sich andererseits der Welt und ihren hyperkapitalistischen und ausbeuterischen Gesetzmäßigkeiten nicht anzupassen, sondern Widerstand zu leisten. Das beschreibt der Papst mit dem Bild, an die Grenzen der Welt zu gehen und die Grenzen auszuhalten - nicht sie in ein (kirchliches) Versuchslabor mitzunehmen und in ihrem Sinne zu domestizieren.

Dennoch wird in seinen Worten ein Phänomen deutlich, dem auch Franziskus nicht entgeht und dem zunehmend viele Katholiken unterliegen: der katholische Doublebind. Sein Slogan lautet: Eigentlich sind die nicht so streng. Oder anders gesagt: Die Liebe Gottes steht über dem bösen Kirchenrecht. "Im Handeln der Kirche geht es zuerst darum, jeden Menschen aus der Perspektive der Liebe Gottes anzuschauen und sei dieser Mensch noch so weit weg von einem Leben nach kirchlichen Normen", deutet Reiner Bucher die Aussagen des Papstes. Und Alois Glück, der Präsident des ZDK glaubt, der Papst setze "gewissermaßen in der Tradition von Jesus nicht das Gesetz und die Regel an die erste Stelle, sondern die Zuwendung zu den Menschen und die Liebe Gottes zu den Menschen." Das mag eine urjesuanische Haltung sein. „Gott begleitet die Menschen durch das Leben" sagt der Papst auch mit dem Blick auf homosexuelle Menschen, "und wir müssen sie begleiten und ausgehen von ihrer Situation. Wir müssen sie mit Bamherzigkeit begleiten“. Dahinter steckt ein altes katholisches Prinzip: Die Sünde hassen und den Sünder lieben. Doch die Frage ist, ob dieses Perspektive in den Fragen der Sexualmoral und Scheidung überhaupt geboten ist. Denn was ist, wenn der Homosexuelle seine Beziehung partout einfach nicht als Sünde erfährt, sondern - sagen wir - als Ausdruck der Liebe Gottes? Was wäre, wenn geschiedene Menschen die Geschichte ihrer Trennung womöglich zwar als schmerzvollen Teil ihrer Biographie betrachten - aber eben nicht als grundsätzlich schwer sündhaft, sondern letztlich sogar als segensreich? Die Erzieherin, die in diesen Tagen in Bergisch Gladbach ihren Job verliert, wird sich, salopp gesagt, von der päpstlichen Barmherzigkeitsgeste nichts kaufen können. Der Pastoralreferent, der jahrelang eine Doppelleben führt, weil er  mit seiner geschiedenen Partnerin nicht öffenlich auftreten darf auch nichts. Eine Kirche, die hier auch strukturell nicht weitergeht sondern in der Barmherzigkeitsgeste verbleibt, behält etwas Zynisches. Ob es so bleiben wird? Die traditionelle Definition der Rolle der Frau durch den Papst im Sinne einer katholisch verstandenen Gleichheit ("Maria ist wichtiger als die Bischöfe") und der damit verbundene bestätigte faktische Ausschluss vom katholischen Lehr- und Leitungsamt für Frauen ("Die Frau wird in der katholischen Kirche gelobt, aber nicht geweiht!") sowie die letztliche Bestätigung der traditionellen Sexualmoral lässt genügend Raum für Skepsis. Eine Ware ist ja nicht deswegen ausverkauft, weil man sie im Schaufenster aus der ersten Reihe in die zweite Reihe stellt.

Es muss also noch etwas dazu kommen, um den katholischen Doublebind aufzulösen. Dazu hat der Papst auch etwas gesagt: "Es gibt zweitrangige kirchliche Normen und Vorschriften, die früher einmal effizient waren, die aber jetzt ihren Wert und ihre Bedeutung verloren haben." Was meint er damit? "Die Sicht der Kirche als Monolith, der ohne jeden Abstrich verteidigt werden muss, ist ein Irrtum." Welche Abstriche sind das? Und: "Die Exegeten und die Theologen helfen der Kirche, im eigenen Urteil zu wachsen." Und sogar das: "Auch die anderen Wissenschaften und ihre Entwicklung helfen der Kirche bei diesem Wachstum des Verständnisses." Wenn das so stimmt - und wenn Gott also wirklich grundsätzlich im Heute begegnet, wie der Papst sagt, ist potentiell jeder Mensch mit seinem Leben und seiner Geschichte ein Prophet der Liebe Gottes: auch jemand, der eine neue Beziehung lebt, auch jemand, der homosexuell ist. Dann aber brauchen sie nicht Barmherzigkeit. Sondern die Kirche selbst müsste sich endlich glücklich schätzen, von ihnen etwas zu lernen.

3 Kommentare:

  1. Danke für dieses ausgezeichnete Statement! Ich denke, dass es in diesen Fragen ähnlich verlaufen kann, wie Benedikt es in seiner Weihnachtsansprache 2005 am Beispiel der Religionsfreiheit durchexerziert hat. Es gab einen Bruch in der Lehre der Kirche, weil sie erkannt hat, dass die ursprüngliche Offenbarung verdunkelt wurde. Diese Erkenntnisprozesse können auch in anderen Bereichen stattfinden. Barmherzigkeit allerdings haben wohl alle Menschen nötig, bis hin zum Papst, wie er selbst betont... Das ist kein Makel...

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  2. Mir geht es doch nur darum zu fragen, ob Barmherzigkeit tatsächlich die grundsätzliche Kategorie ist, mit der die Kirche nach einer Scheidung Wiederverheirateten und Homosexuellen begegnen sollte. Wer sollte ihnen gegenüber barmherzig sein und vor allem: warum? Das wichtige (!!!) prinzip der Barmherzigkeit ist immer das Privilleg des Einzelnen, kann aber durchaus nicht evangeliumsgemäße Strukturen verdecken. Klaus Lüdicke hat dies vor zwei Jahren auch schon mal in einem Aufsatz in der herderkorrespondenz versucht. Dort findet sich auch ein Zitat des damaligen Kardinals Ratzinger aus dem Jahre 1998: „Wenn früher bei der Darlegung der Wahrheit vielleicht gelegentlich die Liebe zu wenig aufleuchtete, so ist heute die Gefahr groß, im Namen der Liebe die Wahrheit zu verschweigen oder zu kompromittieren." Das sei all denen gesagt, die den Eindruck erwecken, der neue Papst werde und wolle rechtliche Regelungen oder grundsätzliche Lehre im Namen der Liebe relativieren, gemäß der kölschen Haltung, der liebe Gott sei doch nicht so. Das aber bestimmt in der katholischen Kirche bis auf weiteres immer noch das Lehramt.

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