Montag, 30. Januar 2012

Die weiteren Aussichten: Ganz okay

Foto: Peter Otten
Der Hessische Rundfunk hat anlässlich der 1000. Ausgabe der Sendung "Horizonte"  beim Zentrum für kirchliche Sozialforschung der Katholischen Hochschule in Freiburg eine Umfrage in Auftrag gegeben. "Was glauben die Hessen?" - das hat das Institut unter der Leitung des Religionssoziologen Prof. Michael N. Ebertz versucht herauszufinden. Einer Kirche, die sich als Kulturträgerin verstünde und die darin liegenden Herausforderungen anähme, würde immer noch viel zugetraut.
Zwei Kernthesen lassen sich aus den Daten herauslesen: Die Kirchen werden als Institutionen akzeptiert oder sogar wertgeschätzt, insofern sie nicht bevormunden oder dogmatisieren. Und: Mit einem Gott als Person, der sich zudem noch in Jesus Christus offenbart, können die wenigsten noch etwas anfangen - Christen übrigens auch nicht. "Ein Christentum ohne Christen ist bereits Realität in den hessischen Kirchen" - so Ebertz.

Zunächst einmal gibts viel Bemerkenswertes und auch Positives: Zwei Drittel der Befragten glauben an die Wirksamkeit von Gebeten. Fast die Hälfte betet täglich oder wöchentlich. Zudem ist die intellektuelle Beschäftigung mit dem Glauben für sehr viele Menschen von Bedeutung: Lediglich ein knappes Viertel denkt nie über religiöse Themen nach. Fast drei Viertel glauben daran, "dass es hinter oder über unserem normalen Leben ein Geheimnis gibt". Zwei Drittel glauben daran, "dass es Gott gibt". Das mag aus religiös offizieller Sicht zu wenig sein, wie es in der Studie heißt. Denn die Transzendenzvorstellungen bzw. Gottesbilder bewegen sich zum Teil in großem Abstand zur kirchlichen Lehre. Damit werde aber zumindest eine allgemeine religiöse Basis bzw. Ansprechbarkeit signalisiert, heißt es in der Studie dazu zu Recht.

Auffällig ist auch eine hohe grundsätzliche Akzeptanz der Kirchen. Etwa drei Viertel der Befragten finden es gut, dass es sie gibt - darunter auch mehrheitlich Muslime und religiös Nicht-Organisierte. Das findet Michael Ebertz angesichts der Missbrauchsskandale "überraschend".  Insgesamt gilt: Kirche ist ok. oder wird sogar wertgeschätzt, insofern sie das "offene Geheimnis" - also ob es Gott oder eine andere transzendentale Wirklichkeit gibt -  nicht dogmatisch schließt und die "Autozentrik der Lebenssinngebung" respektiert. Dahinter steckt offensichtlich eine große Institutionsskepsis - zumindest dann, wenn diese als bevormundend oder belehrend erlebt wird. „Ich stehe zur Kirche, aber sie muss sich auch ändern“ – diese Aussage machen sich 85 Prozent der Protestanten und sogar 89 Prozent der Katholiken ganz oder teilweise zu eigen. Die protestantische Kirche hat hier keinerlei institutionellen Vorteil.

Erste Reaktionen machen nachdenklich. Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung beispielsweise meinte, die Kirche müsse stärker über ihre Inhalte und ihre Sprache nachdenken sowie ihre Ansichten mitunter "aggressiver" in die gesellschaftliche Debatte einbringen. Man bleibt angesichts der Studie skeptisch, ob zuwenig Aggressivität tatsächlich das entscheidende Problem der Kirchen ist. Der Bischof von Limburg Franz-Peter Tebartz-van Elst ist dagegen der Meinung, die Kirchenmitglieder sollten "missionarischer" werden, mit persönlichen Zeugnissen für den christlichen Glauben werben und die persönliche Beziehung zu Jesus Christus wieder in den Mittelpunkt ihres Lebens rücken. Das klingt nach Innerlichkeit und Privatisierung.

Die Studie zeigt allerdings auch, dass sich die Kirchen offensichtlich immer noch einer hohen Wertschätzung als Kulturträgerinnen erfreuen. Kirche sorgt für Kultur. Daran erinnern sich die Menschen, und das erwarten viele auch immer noch von ihr - zu Recht. Das ist keine ehrenrührige Aufgabe, im Gegenteil. Ebertz nennt zum Beispiel die Erwartung an die Kirchen, eine Antwort auf die Frage der Beschleunigung und Ökonomisierung der Gesellschaft zu finden. Und vor Ort könnten Kirchengemeinden wichtige integrative und aktivierende Aufgaben auch für das zivilgesellschaftliche Miteinander übernehmen. Gerade dieser Aspekt wird zukünftig angesichts einer anhaltenden Krise der Institutionen eher noch an Bedeutung gewinnen. Für Ralf Miggelbrink jedenfalls liegt der Auftrag der Kirche darin, ein Ort der Sinnstiftung zu sein. In diesem Raum teilen Christen ihre Erfahrungsschätze: Hier "bewahrt die Kirche solche Protokolle der menschlichen Erfahrung Gottes, die sie als beispielhaft erkennt und deshalb als Muster angesehen werden können, mit deren Hilfe eigene Erfahrungen als Glaubenserfahrungen verstehbar werden (43)," schreibt er in seinem neuen Buch. Es gehe Christen darum, Gottes Willen für die Menschen und die Welt dadurch zu verwirklichen, dass sie die Lebensmöglichkeit jedes Menschen nach Kräften beförderten. Einer Kirche, die derart auf Augenhöhe agiert, wird von den Menschen durch die Bank immer noch viel zugetraut. Auch das sagt die Studie. Eigentlich keine schlechten Aussichten.

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