Dienstag, 6. September 2016

Anders verfahren

Kardinal Marx hat als Bischof von Trier einen Priester weiter im Dienst gelassen, obwohl  gegen ihnen wegen sexuellen Missbrauch ermittelt wurde.

Ein Kommentar von Norbert Bauer


Der Barmherzige Samariter 2016 weitererzählt: die Erinnerung an den Raubüberfall quält das Opfer noch Jahre. Nicht nur die Gewalttat selbst, sondern auch die abgewendeten Blicke der Vorbeilaufenden bleiben in schmerzhafter Erinnerung. Er entschließt sich Strafanzeige zu stellen. Doch die Tat ist verjährt. Als weitere Jahre später den vorbeigelaufenen Priestern unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen wird, mögen die nicht recht sagen,  wer tatsächlich alles am Tatort vorbeigelaufen ist. Als aber Aufzeichnungen belegen, dass einige den schwer Verletzten haben dort liegen sehen, lässt der Oberste von ihnen durch einen Pressesprecher verlautbaren:
„Heute wird in einem solchen Fall anders verfahren.“
Unwahrscheinliche Pointe? 2016 eher nicht. Kardinal Marx hat als Bischof von Trier einen Priester, dem sexueller Missbrauch eines Jugendlichen vorgeworfen wurde, weiterhin im Amt gelassen ohne dem Vorwurf nachzugehen.  Mit dieser Tatsache Jahre später konfrontiert, lässt er genau diesen Satz durch seine Pressestelle raushauen. „Heute wird in einem solchen Fall anderes verfahren.“ Ich überlege, ob ich diesen Satz nicht den Kindern bei der nächsten Beichtvorbereitung mit auf den Weg gebe. Es ist schon merkwürdig: Spitzenvertreter einer Institution, die großen Wert darauf legt, dass schon Kinder ihr Handeln unter den Begriffen Schuld und Sünde reflektieren und betont, dass ohne Bekenntnis keine Vergebung möglich ist, flüchten sich in subjektlose, passive Satzkonstruktionen, wenn sie sich ihrer Verantwortung stellen sollten. Und das wohl ganz bewusst. Denn sie ahnen, wenn sie sich zu ihrem Fehlverhalten bekennen würden, wenn sie sich nicht hinter Passivformulierungen verstecken würden, sondern einfach mal ich sagen,  könnte dies auch persönliche Konsequenzen nach sich ziehen.



1 Kommentar:

  1. Den Vergleich zwischen dem Umgang mit der Missbrauchskriminalität durch den Klerus und dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter empfinde ich als grundsätzlich passend. Aber nur unter der Voraussetzung, dass die Rollen angepasst werden. Der Überfallene, der hilflos, wie tot im Straßengraben liegt, steht für die vielen Missbrauchsopfer der Katholischen Kirche. Der Priester und der Schriftgelehrte, die den hilflosen Menschen zwar wahrnehmen, aber gerade deshalb schnell weiter gehen, sind so wie in der biblischen Allegorie Stellvertreter des Klerus. Was den Samariter und vor Allem die Räuber angeht, muss ich Umbesetzungen vornehmen, sonst passt das Gleichnis meiner Ansicht nach nicht. Bei den Räubern handelt es sich im realen Fall nämlich ebenfalls um Kleriker. Sie stellen, was die sexuelle Ausbeutung von Kindern durch Kirchenangehörige angeht, das Gros der Täter. Und der Samariter, der sich um den Geschädigten kümmert, symbolisiert die gesamte Gesellschaft, insbesondere staatliche Hilfesysteme.
    Die Leitlinien, auf die Kardinal Marx verweist haben übrigens noch nie dem Opferschutz gedient. In der aktuellen Version ebenso wenig wie in deren Vorläufern. Wer diese Schriftstücke ganz objektiv einer praktischen Prüfung unterzieht, wird das schnell feststellen.

    Für das, was die Kirchenführung als „Aufarbeitung“ und „Prävention“ hat die Bibel auch ein passendes Gleichnis parat. Das von den Pharisäern.

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die als Kinder und/oder Jugendliche Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

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