Montag, 22. August 2016

„Was du auch machst - mach es nicht selbst“

Foto: Sebastian Linnerz / www.sebastianlinnerz.de
Stundenlang haben Menschen auf Einlass in den Kölner Dom gewartet. Und das um Mitternacht. Vielleicht auch deshalb, weil Kirche das war, was sie viel zu selten ist: höflich.
 

Von Norbert Bauer

„Was du auch machst - mach es nicht selbst“ ist eine der schönsten und klügsten Textzeilen von Tocotronic. Die Rockband aus Hamburg richtet sich mit ihrem Song vor allem gegen eine selbstgerechte Heimwerkerromantik. Es könnte aber ein Motto-Lied für die Kirche sein, die sich angesichts leerer Kirchenbänke und Priesterseminare mal wieder fragt, wie ihre Zukunft aussehen könnte. Die katholische Kirche in Deutschland wählt bei aller Unterschiedlichkeit folgenden Weg: Identitätsstärkung in kleinen Gemeinschaften bei gleichzeitiger Entprofessionalisierung. Wie schön, dass am Wochenende im Kölner Dom genau das Gegenteil passierte. Drei Nächte lang hat die Licht-und-Klang-Installation „silentMod“ tausende Menschen motiviert, stundenlang vor dem Dom auf den Einlass zu warten und sich anschließend mit großer Andacht der Inszenierung auszusetzen. 



Solche Events zeigen etwas, was man auch bei Kunstausstellungen, Konzerten und Lesungen beobachten kann: die Kirchen sind dann voll, wenn Menschen nicht befürchten müssen, mit frommen Sprüchen missioniert zu werden. Vielleicht war das auch die wichtigste Entscheidung der Verantwortlichen: nicht auch noch mit einem Impulswort oder Bibelzitat eine Message rüberbringen zu wollen. Die Musik, das Licht und der Duft waren nicht nur Verpackung für das Eigentliche, sondern selbst schon Botschaft. Die drei Nächte im Dom waren wohl auch deswegen ein Erfolg, weil Profis den Auftrag hatten, sich mit ihren Talenten und Ideen dem Haus Gottes stellen zu dürfen und damit etwas bieten konnten, was Kirche selbst nicht kann. Was nach Dienstleistungsmentalität klingt ist in Wirklichkeit eine Grunddimension des Glaubens: davon überzeugt zu sein, dass das Entscheidende nicht durch eigene Leistung und Anstrengung produziert werden kann. Ein wirklich entlastender Gedanke, auch für mich als Pastoralprofi: die Welt, der Andere ist nicht darauf angewiesen, dass wir sie / ihn als Kirche beglücken. Die Kirche aber ist von ihrem Grundgedanken auf den Anderen angewiesen. Sowohl auf Gott, den Anderen als auch auf die, die sich nicht als getaufte und gefirmte Christen verstehen.


Vielleicht ist genau da zur gamescom im Kölner Dom gelungen. Indem anderen der Raum überlassen wurde, konnte der Andere für viele erfahrbar werden. Dies ist kein Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit, sondern Ausdruck von Schöpfungstheologie: „Die Anerkennung des Anderen, die als Zurücknahme seiner selbst ist selber alles andere als defensiv; sie ist vielmehr ein gebender, Leben ermöglichender, ja schöpferischer Akt“ (Knut Wenzel). Indem die verfasste Kirche ihren Kirchen auch anderen überlässt, gelingt ihr ein nicht zu unterschätzender Dienst an der Gesellschaft. Sie öffnet Räume der gegenseitigen Anerkennung. Knut Wenzel kramt für diesen Gedanken den schönen altmodischen Begriff der Höflichkeit aus. „Der Höfliche lässt dem Anderen den Vortritt, der tritt zurück und gibt ihm Raum; er vollzieht darin einen fundamentalen Akt der Anerkennung des Anderen.“ Daher war silentMod viel mehr als nur das sakrale Begleitprogramm zur Gamescom, sondern Ausdruck eines oft vernachlässigten Selbstverständnisses. Und eine notwendige Perspektive für kirchliche Zukunftsszenarien: „Was du auch machst – mach es nicht selbst.“

Lit: Knut Wenzel, Gott in der Stadt. Zu einer Theologie der Sekularität, in: Michael Sievernich/Knut Wenzel (Hg.), Aufbruch in Urbanität, Freiburg 2013, 330-389, hier: 354f.

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