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Von Peter Otten
Es gibt einen Song des englischen Popsängers Morrissey mit dem Titel: „There´s a light that never goes out.“ Darin beschreibt er folgende Situation: Er sitzt mit einer Frau in einem Auto und fährt mit ihr durch die Nacht.
"Geh heut Nacht mit mir aus,
dorthin, wo es Musik gibt und wo Leute sind,
die jung und lebendig sind.
In deinem Auto fahren.
Ich will nie, nie mehr nach Hause gehen,
weil ich keins mehr habe."
Morrissey erzählt eine Variante einer oft erzählten Geschichte in der Popkultur: Er möchte dieser Frau seine Liebe gestehen - natürlich beseelt von der Hoffnung, dass sie ihn auch lieben möge. Und als sie mit dem Auto durch eine lange Unterführung fahren, glaubt er, seine Chance sei gekommen. Aber bevor er seinen Mund aufmachen kann, ergreift ihn eine "seltsame Angst", und er kann nicht mehr fragen. Dann kommt der Satz: "There is a light that never goes out."
Vielleicht der stille Ausdruck einer Hoffnung darauf, dass die Fahrt durch die Nacht irgendwann auch für ihn endet. Dass seine vermaledeite Angst irgendwann verschwindet, dass seinen Mund aufmacht und diese Sehnsucht nach Liebe irgendwann und irgendwo endlich einen Resonanzraum findet. Das Lied allerdings lässt offen, ob es so kommt. Es endet mit einem Mantra:
"There´s a light that never goes out."
Was aber wäre, wenn Morrissey immer noch durch eine Unterführung führe, immer weiter, immer weiter und diese Sehnsucht unerfüllt bliebe? Was wäre dann?
Und die Welt ist voll von Morrisseys, von Menschen, die durch die Unterführungen ihres Lebens unterwegs sind, auf der Suche nach einem Resonanzraum für ihre Suche nach Liebe, nach Anerkennung, nach Heimat. Die aber nirgends so einen Raum finden, sondern die mit Morrissey singen: "Ich will nie, nie mehr nach Hause, weil ich kein Zuhause mehr habe." Keine Antwort, kein Echo, nie und nirgends, an keinem Tag, in keiner Stunde. Wäre es nicht verständlich, wenn diese Menschen sagen würden: Mein Leben ist umsonst? Und hab ich nicht tatsächlich schon einen Menschen getroffen, der neben mir stehend genau dies gesagt hat: Ich habe das Gefühl, ich lebe umsonst? Und habe ich nicht tatsächlich schon Menschen gekannt, die schlicht niemanden hatten und die im Augenblick ihres Sterbens bereits vergessen waren? Keine Erinnern an sie, nirgends, nie?
Wir haben gerade den Schluss des Johannesevangeliums gehört. Es ist die Geschichte eines Scheiternden. Und am Anfang dieses Evangeliums, in den ersten Zeilen klingt die Essenz dieser Geschichte - in einer sehr melancholischen Weise - bereits an. Es heißt dort:
„Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort.
In ihm (also im Wort) war das Leben,
und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis,
und die Finsternis hat´s nicht ergriffen.“
Kein Resonanzraum, nirgends.
Heute begreifen wir, was am Anfang des Evangeliums bereits anklingt: Es die Geschichte von Jesus, der - um im Bild von Morrissey zu bleiben - selber die Erfahrung macht, in der Unterführung zu fahren. Kein Resonnazraum, nirgends. „Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat´s nicht ergriffen.“ Das ist das Stehen am Abgrund. Es war umsonst.
Das ist Karfreitag. In der Unterführung zu fahren. Am Abgrund zu stehen. Zu sehen, was es bedeutet: es ist umsonst.
Gonsalv Mainberger, ein Dominikaner, hat in seiner Karfreitagspredigt von 1957 gesagt: „Viele Menschen sind heute niemand mehr. Das ist ihr Umsonst. Wenn einer als Niemand hat leben müssen, es im Voraus weiß und zu diesem Unsinn seines Niemandseins schuldlos und unbeteiligt verdammt ist, ein Leben lang, der hat ein Kreuz.“ Heute ist der Tag all dieser Niemande dieser Welt: die im Meer ertrinken, die durch Bomben zerrissen werden. All die Niemande, die jeden Tag spüren: Ich lebe umsonst. Wenn ich sterbe, dann bin ich vergessen.
Und der, zu dem wir Gottessohn sagen ist existenziell bis an diesen Punkt gegangen. „Und die Finsternis hat´s nicht ergriffen.“ Abgrund, Leere, Schweigen, Stille. Das gähnenden Nichts des Umsonst. Und das hat er ausgehalten.
Das ist Karfreitag. Sich dem Un-Sinn, dem Umsonst ausliefern und es nicht vorschnell wegerklären. Wie wollte man auch einem Kind, das tot am Strand liegt den Sinn dessen erklären, dass es tot am Strand liegt?
Heute in der Liturgie ist dieser Un-Sinn eindringlich zu spüren: abgeräumte Altäre, leere Tabernakel, spärlicher Gesang, Stille und Schweigen. Es ist zum Greifen nah, dicht, bedrückend, fast nicht auszuhalten. Es ist keine schöne, erhabene Liturgie. Aber Sie haben sich trotzdem versammelt. Das ist gut.
Karfeitag ist der Tag der Niemande. Jetzt ist die Stunde der Niemande. Es ist die Stunde, in der die Christen auf nichts anderes blicken als auf alle abgründigen Momente des Umsonst, des Un-Sinns – in ihrem eigenen Leben und im Leben all der anderen Menschen - und diesen Blick gemeinsam auszuhalten versuchen. „Und die Finsternis hat´s nicht ergriffen.“ Mainberger sagte in seiner Predigt: „Der Nullpunkt der Jesusbiographie ist erreicht.“ Und damit ist der Nullpunkt der Welt erreicht. Wir schauen heute auf diesen Nullpunkt im Namen all der Niemande, im Namen all derer, die angesichts dieser Leere zerbrechen und die keine Hoffnung, keinen Sinn, nur Un-Sinn sehen.
Es ist an Gott, diese Leere zu füllen. Jesus hat sich dieser Leere anvertraut. Das nennen wir Glauben: an das Leben, an die Auferstehung. Womöglich ist da ein Licht, das niemals verlöscht. Womöglich hat die Endlosfahrt durch die Unterführung ein Ende. Das ist eine andere Geschichte. Aber heute ist, auch wenn es schwer fällt, erstmal Karfreitag.
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