Freitag, 25. März 2016

Wahrheit. Fragezeichen

Warum der Karfreitag eine Schutzimpfung gegen Fundamentalismus sein kann. Ein Plädoyer für Haltung, aber auch für den verpönten Relativismus.

Eine Predigt von Norbert Bauer

Auch an diesem Karfreitag denken wir an den gekreuzigten Jesus.
Ich kann aber heute nicht an diesen einen unschuldig getöteten Menschen denken, ohne auch zugleich an die zahlreichen ebenso unschuldig getöteten Menschen der letzten Tage denken. An die in Brüssel, in Instanbul, in Syrien oder auch an die in Jemen: dort wurden vor wenigen Tagen Nonnen und ihre Mitarbeiterinnen, die gemeinsam ein Behindertenheim betreuten von Dschihadisten erschossenen.
Auch diese Ereignisse bestimmen den Karfreitag 2016.

Dabei unterscheidet sich der Tod auf Golgatha in einem Punkt von den Toten in Belgien, Syrien oder Türkei.
Jesu Tod meinen wir erklären zu können. Mehr noch: Wir meinen ihn nicht nur erklären zu können, wir meinen sogar dem Sterben Jesu einen Sinn zusprechen zu können: „Er ist für unsere Sünden gestorben“ – „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben“. Der Katechismus spricht gar davon, dass es Gottes Plan war, durch den gewaltsamen Tod Jesu Heil zu schaffen.

Ich will und kann heute nicht die aktuellen Gewaltopfer im Lichte der vermeintlichen Heilswirklichkeit des Kreuzesopfers betrachten.
Ich will aber trotzdem das Geschehen von damals mit dem Geschehen von heute zusammenbringen und dabei vor allem Pilatus in den Blick nehmen.

Pilatus: „Ich finde keinen Grund ihn zu verurteilen.“

Formal verantwortlich für die Verurteilung Jesu war Pilatus, der Statthalter Roms in Jerusalem. Ein politischer Beamter. Das Johannesevangelium zeichnet ihn in der Verurteilungsszene als Getriebenen. Während Pilatus Jesus in seinem Amtssitz festhält, bleiben die Ankläger vor der Tür. Pilatus ist gezwungen ständig zwischen den Anklägern draußen und dem Angeklagten drinnen zu pendeln. Sieben mal. Dabei verliert er seine eigene Überzeugung. Obwohl er zweimal beteuert, dass er keinen Grund sieht, Jesus zu verurteilen, spricht er am Ende doch das Todesurteil. Bedrängt durch das Geschrei der Ankläger und der Angst vor dem Kaiser gibt er seine eigene Überzeugung preis.


Vor kurzem fanden in drei Bundesländern Landtagswahlen statt. Die Wahlforscher stellten bei ihrer Analyse fest, dass jeweils die Spitzenkandidaten gewonnen haben, bei denen die Wählerinnen und Wähler den Eindruck gewannen, dass sie zu ihrer Überzeugung standen. Nicht Meinungsumfragen bestimmten ihre Positionen im Wahlkampf, sondern der eigene Standpunkt. Sie änderten nicht wie Pilatus innerhalb kurzer Zeit ihre Meinung. Entscheidend für ihren politischen Erfolg war ihre Haltung.

Haltung ist auch angesichts des aktuellen Terrors gefragt. Nicht nur für die Politiker. Navid Kermani hat diese Haltung nach den Anschlägen von Paris so zu Ausdruck gebracht:
„Das ist ein Anschlag auf ein Europa, das den Menschen ungeachtet ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung Würde, Freiheit und gleiche Rechte zuspricht – auch und zumal den Muslimen. Tun wir, was den Tätern am meisten missfällt und den Opfern am meisten entspricht: Bleiben wir frei."
Es wäre für unsere Gesellschaft, für Europa die größte Niederlage, wenn die Politiker und die Bewohner sich durch die dramatischen Ereignisse wie Pilatus damals in ihrer Haltung so verwirren lassen und das aufgeben, was so wichtig ist: Freiheit und Recht.


Pilatus: „Was ist Wahrheit?“

Pilatus fragt Jesu. Was ist Wahrheit? Jesus lässt die Frage unbeantwortet. Das Fragezeichen hinter dem Wort Wahrheit bleibt. Vielleicht ist dieses Fragezeichen heute besonders wichtig. Vielleicht ist es wichtig, weil es einen Schutz bietet, die eigene Wahrheit absolut zu setzen. Ich bin davon überzeugt, dass wir innere Haltung und Überzeugungen brauchen. Ich sehe aber auch wie gefährlich es sein kann, wenn Wahrheiten nicht hinterfragt werden. Die Attentäter von Brüssel waren gewiss auch von ihrer Wahrheit überzeugt.

Wer den Wahrheitsbegriff in Frage stellt, setzt sich leicht dem Verdacht des Relativismus aus. Wenn nichts mehr wahr ist, ist ja alles gleichgültig, heißt es oft, gerade auch aus kirchlichen Kreisen. Dabei müssten gerade wir Christen wissen, dass wir Wahrheit immer nur relativ formulieren können. Jesu sagt im Johannesevangelium zu Pilatus: „Ich bin in Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen.“ Er legt Zeugnis für Gott ab. Gott ist für uns die Wahrheit. Damit wir nicht leichtfertig behaupten zu wissen, wie und wer Gott genau ist, hat die Kirche schon sehr früh einen Sicherheitscode eingebaut. Beim 4. Laterankonzil im 13. JH wurde ein Satz verabschiedet, der jeder Äußerung über Gott eine Fehlertoleranz zumutet.

„Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, daß zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre."
Mit anderen Worten. Sobald wir von Gott reden, müssen wir damit rechnen, dass wir daneben liegen. Hinter jeder Aussage von Gott müssen wir eigentlich ein Fragezeichen setzen. Das würde uns auch davor bewahren, genau zu wissen was Gottes Wille ist. Das würde vor allem Terroristen davor zurückschrecken zu lassen, im Namen Gottes Menschen in die Luft zu sprengen.
In diesem Frühjahr ist ein großartiges Buch erschienen, geschrieben von Emmanuel Carrère,  einem französischen Intellektuellen. Als erwachsener Mensch fing er an, an Gott zu glauben. Nach drei Jahren verlor er den Glauben wieder. Nachdem er sich eingestand, wieder Agnostiker zu sein, schrieb er „Das Reich Gottes“. Auf über 500 Seiten zeichnet er mit großer Faszination anhand von Lukas und Paulus die Anfänge des Christentums nach. In der Mitte des Buches legt er ein Bekenntnis darüber ab, warum er als Agnostiker so ein dickes Buch über den christlichen Glauben schreibt:

„Ich schreibe dieses Buch, um mir nicht einzubilden, als Nichtmehrgläubiger mehr zu wissen, als jene, die glauben, und als ich, da ich selbst noch glaubte. Ich schreibe dieses Buch, um mir selbst nicht zu sehr recht zu geben.“

Sich selbst nicht zu sehr recht geben: Wäre dieser Satz nicht eine wunderbare Schutzimpfung gegen jede Form von Ideologie und Fundamentalismus.

„Was ist Wahrheit?“ fragt Pilatus. Die Suche nach Wahrheit können wir nicht aufgeben. Aber wenn wir meinen, sie gefunden zu haben, sollten wir das Fragezeichen nicht vergessen. Denn letztendlich ist Gott für uns Wahrheit. Und diese Wahrheit können wir nie ganz fassen.


Pilatus: "Seht das ist der Mensch!"


Kurz bevor Jesus gekreuzigt wurde, ließ Pilatus Jesus auspeitschen. Er führte ihn dann von drinnen nach draußen und präsentierte ihn den Anklägern mit den Worten: seht das ist der Mensch. Gleich bei der Kreuzverehrung werde ich vor dem Kreuz stehen und auf diesen Menschen schauen. Ich werde in ihm aber auch die vielen Menschen sehen, die in den letzten Tage an den unterschiedlichsten Orten der Welt durch Terror ums Leben gekommen sind. Und ich werde mich auch vor diesen Menschen verbeugen, an diesem Karfreitag 2016.



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