Montag, 28. März 2016

Lieber nicht an Gottes Stelle

Heinz Strunk, Emmanuel Carrère, Peter Esterhazy, Benedict Wells. Vier Autoren erzählen mehr von Gott als sich mancher Bischof in der Morgenandacht vorstellen kann.

 von Norbert Bauer

Mitte März hatte der Berliner Erzbischof Koch eine Woche lang im Deutschlandfunk jeden Morgen das Wort. Bei dieser Gelegenheit beschwerte er sich darüber, dass Gott heute in der Öffentlichkeit, vor allem in den Medien nicht mehr vorkommt. „Wenn in ihren zahlreichen Medien mit ihrem großen Einfluss auf das Denken und Empfinden der Menschen die Gottesrede faktisch verstummt, dann kann es nicht verwundern, dass auch im Leben vieler Zeitgenossen Gott an den Rand gedrängt wird und sie in den Glauben des Atheismus hineingeraten. Doch gerade in den Grundfragen des Lebens so manipuliert zu werden, widerspricht der Größe und Würde des Menschen.“ Nun hat man bei manch bischöflichen Worten schon den Eindruck, dass nur noch sehr klein von Gott gesprochen wird und gerade deswegen keiner mehr zuhört. Das das nicht so sein muss beweist, ein Blick in vier aktuelle Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt, bei denen Gott mehr ist als eine Hoffsümmer-Geschichte. 


Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit

Da wir wissen, dass nicht alle Leserinnen und Leser unsere Posts bis zum Ende lesen, das wichtigste zu erst: Benedict Wells „Vom Ende der Einsamkeit“ sollten Sie lesen. Ich habe es über Ostern gelesen. Gründonnerstag angefangen, Ostermontag früh zu Ende. Wie die Heilige Woche erzählt das Buch vom Leben und Tod. Jules und seine Geschwister Marty und Liz verlieren früh ihre Eltern bei einem Autounfall. Gemeinsam leben sie danach im Internat, gehen aber schon bald getrennte Wege. Marty wird erfolgreicher Unternehmer, Liz nimmt die falschen Drogen und Jules verliert den einzigen Menschen aus den Augen, der ihn wirklich versteht.
„Ich legte Pink Moon von Nick Drake auf, eines der Lieblingsalben meiner Mutter. Früher habe ich mich kaum für Musik interessiert, nun war es jedes Mal ein Glücksmoment, wenn die Nadel knisternd auf dem Vinyl aufsetzte.“ Benedict Wells Buch reiht solche Glücksmomente aneinander und setzt sie neben die anderen „Dinge, die passieren, wie sie passieren“ und die dafür sorgen, dass in diesem Roman das Leben „kein Nullsummenspiel“ ist. Der knapp dreißig jährige deutsche Autor erzählt diese Geschichte mit einer gnadenlosen Weisheit und verzichtet auf etwas, was ich ansonsten in der Literatur so liebe: Ironie. Vielleicht wurde deshalb dieses Buch bisher von den Feuilletons ignoriert. Es ist kein cooles Buch und wahrscheinlich erhält es demnächst einen "Von Elke Heidenreich empfohlen-Sticker." Sei es drum. Daher dank an dieser Stelle an Uli Ormanns und Klaus Bittner zwei Qualitätsbuchhändler, die mir ganz ohne Algorithmen unabhängig voneinander dieses Buch empfohlen haben.

Und Gott? Kommt nicht so oft vor in diesem Buch. Selbstverständlich  gibt es ein Theodizee-Gespräch. Aber auch einen Satz, der wohl das Lebensgefühl so vieler Menschen wiederspiegelt: „Ich selbst dagegen betete ein paar mal. Zwar konnte ich mit Religionen nichts anfangen, doch war ich nie ganz ungläubig gewesen.“


Heinz Strunk: Der Goldene Handschuh

"Parental advisory: explicit lyrics" ist ein Aufkleber auf Tonträgern, mit dem Eltern darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihre Kinder Musik hören, die der Kaplan normalerweise nicht im Firmunterricht einsetzen würde. „Der Goldene Handschuh“ von Heinz Strunk hätte auch so einen Aufkleber verdient, denn ich kenne bisher mehr Menschen, die die Lektüre abgebrochen haben, als die, die es zu Ende gelesen haben. Denn was in dem Buch zu lesen ist, ist beinahe unerträglich.

Heinz Strunk, der bisher mit seinen autobiographischen Büchern wie „Fleisch ist mein Gemüse“ sehr erfolgreich war, vergräbt sich dieses Mal in das Leben von Fritz Honka, dem „Frauenmörder von St. Pauli“, der seine Opfer in der 24-Stunde - Kaschemme „Der Goldene Handschuh“ aufgabelte, ermordete und zerstückelt in blauen Plastiksäcken in seiner Wohnung versteckte. Wahrlich keine schöne Geschichte. Strunk verwandelt diese wahre Begebenheit in einen bedrückend traurigen Ecce-Homo-Roman. Die Menschen bei Strunk sind durch die Peitschenhiebe des Lebens gestraft und gedemütigt und trotzdem sitzen sie immer noch mit Hoffnung am Tresen: „Sie denken eines Tages kommen Glück und Liebe Hand in Hand hier hereinspaziert, um sie rauszuholen.“ Und dann kommt Fritz Honka und zerstört auch noch den letzten Funken Hoffnung.

Die Lektüre des Buches bereitet keine Freude. Ich habe für diese 250 Seite deutlich länger gebraucht als für die 360 Seiten „Ende der Einsamkeit“ Trotzdem ist es ein gutes Buch, denn es gelingt etwas ganz besonderes: obwohl sich keine einzige sympathische Figur in dem Roman zur Idenitifikation anbietet, kann der Leser den Figuren im Roman nahe kommen, kann der Leser - trotz allem Widerstand - verstehen, warum die Menschen das tun, was sie tun. Wie Gerda, die sich größte Mühe gibt, für den Mann, der sie quält, eine leckere Suppe zu kochen. Man steht mitten in der kleinen Küche und hofft mit ihr, dass die Hühnersuppe am Ende schmecken wird.

Und Gott: kommt natürlich auch vor. An vielen Stellen, beinahe unbemerkt, wird nach Gott gerufen. Und auch der Mörder hofft auf ihn: „Meine ganze Beruhigung liegt darin, wenn ich beim lieben Gott bin, dann muss der sagen: das hast du nicht wollen“


Emmanuel Carrère: Das Reich Gottes

Und für alle, die mit Erzbischof Koch meinen, Gott würde jenseits der Morgenandacht verschwiegen ist wohl dieses Buch geschrieben. Es führte mehrere Wochen in Frankreich die Bestsellerliste an, es in Deutschland bei dem säkularen Verlag Matthes & Seitz erschienen und wurde in allen Literaturbeilagen des Frühjahrs besprochen. Und zwar mehr als nur wohlwollend. Gott schein weiterhin von Interesse zu sein. In der Buchhandlung habe ich „Das Reich Gottes“ bei den Romanen entdeckt. Dabei hätte es auch bei den Sachbüchern, oder den Autobiographien einsortiert werden können, denn Carrère bedient alle Genres. Daher ist auch verwunderlich, dass dieses Buch so viele Leser findet, denn es leistet über weitere Strecke das, was an der theologischen Fakultät unter „Einleitungswissenschaft“ gelehrt wird. Nur etwas unterhaltsamer.
Es ist auch ein Bekenntnisbuch, ein Bekenntnis darüber, dass der Autor nicht mehr glaubt. Es ist aber auch ein Bekenntnis zu seiner eigenen Fehlertoleranz „Ich schreibe dieses Buch, um mir nicht einzubilden, als Nichtmehrgläubiger mehr zu wissen, als jene, die glauben, und als ich, da ich selbst noch glaubte. Ich schreibe dieses Buch, um mir selbst nicht zu sehr recht zu geben.“
Gott kommt in diesem Buch natürlich an vielen Stellen vor.


Peter Estahazy: Die Markus-Version

Wenn ein Buch Markus-Version heißt vermutet der Theologe auch gleich, dass es um Gott gehen könnte. Und er liegt dieses Mal nicht falsch, denn Peter Esterhazys Erzähler denkt viel über Gott nach. Reden tut er nicht über Gott, denn er lässt seine Familie in dem Glauben, taubstumm zu sein. Seine Großmutter erzählt hingegen viel von Gott, aber auch die fromme Frau weiß mit Gott zu hadern. Wenn sie an ihren verstorbenen Sohn denkt, ballt sie ihre Faust und der Ich-Erzähler ist sich gewiss: „Dann wäre ich lieber nicht an Gottes Stelle.“

Die 100 Seiten sind keine fortlaufende Erzählung. Jede Seite ist ein eigenes Kapitel. Der Autor lässt auch andere zu Wort kommen, das Markus Evangelium, aber auch Wittgenstein, Borges.
Gott kommt oft vor. Aber nicht auf jeder Seite. Seite 90 besteht nur aus einem Satz. Einem Zitat von Simon Weil: „Auch ich bin anders, als zu sein ich mir einbilde. Dies wissen, das ist die Vergebung.“ Der Satz zum Jahr der Barmherzigkeit.


Françoiz Breut: Zoo
Diesen Frühjahr gibt es nicht nur gute Bücher. Sondern auch gute Musik. Aber dazu ein anderes Mal. Nur so viel: Françoiz Breut hat mit Zoo ein sehr schönes Album aufgenommen.











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