Mittwoch, 23. März 2016

Wir sind doch keine Partei



Foto: Peter Otten

Wachsende Kirche, missionarische Gemeinde – wer erfindet so was? In der Bibel steht es nicht.

Ein Gastbeitrag von Franz Scharfenberg

Zur Diskussion um den Brief von Pfarrer Thomas Frings und die Stellungnahme von Peter Otten möchte ich ein wenig beitragen. Schon mal vorab: Um meinen Kollegen Thomas Frings tut es mir sehr leid. Schade bei so viel Schönem in unserem Beruf.
 
Peter Otten macht immerhin klar, dass von den Mitgliedern einer Pfarrei nicht erwartet werden darf, dass sie zu 100% bewusste, aktive Glaubende seien. Sie gehen aus einer Pfarrei hervor, weil nun mal jeder in einer Pfarrei von der Taufe an dokumentiert wird. 


Ich bin meiner Familie, meinem Heimatpfarrer, meinen Lehrern und Spiritualen von Herzen dankbar, dass sie mir immer wieder reinen Wein eingeschenkt haben: Macht euch nichts vor mit Religionsunterricht und all den Aktionen. Macht euch nichts vor mit den Festen und Feiern. Die Menschen nehmen das mit. Dass sie hin und wieder austreten, besagt nichts über ihren Glauben. Es ist sowieso ein typisch deutsches Kuriosum in der Weltkirche: Die Taufe selber bleibt ja, also auch die Zugehörigkeit zum Leib Christi, zum geistlichen Bauwerk – wie soll man also diesen organisatorischen Coup geistlich angemessen bewerten? Man kann ihn nur ignorieren. Auch auf die Folgen machte man uns aufmerksam: Das ist menschlich nicht leicht zu verkraften, Scheitern und Resignieren gehört zum persönlichen Gefährdungspotential. Das hat man uns ins Gesicht gesagt, mehrfach und immer wieder! Danke für diese Ehrlichkeit. All die pastoralen Konzepte, die wir in die Hand bekamen, rangen mir nur ein müdes Lächeln ab. Wachsende Kirche, missionarische Gemeinde – wer erfindet so was? In der Bibel steht es nicht. „Fürchte dich nicht, du kleine Herde“ sagt Jesus und lässt die Leute reihenweise laufen: den reichen Jüngling, der nicht verkaufen will, den Prediger, der ihm nicht nachfolgen will, die eigenen Leute, die nach der Brotrede sagen, sie sei hart. „Wollt auch ihr gehen?“ So muss man Mission machen, alles andere wäre Rattenfängerei. 
Caritas ist beispielsweise zunächst einfach Wohlfahrtspflege: So ist sie erfunden und so muss sie betrieben werden. Hier kann man doch nicht die ideologischen Prämissen vor die menschlichen setzen.



Die Servicekirche, wie Peter Otten es nennt, schaut den Realitäten ins Gesicht. Sie nimmt den Menschen für voll: in ihr sind die Menschen nicht Objekt meiner Mission, meiner Predigt, meiner Versorgungsmentalität, meines Rettersyndroms und meiner Führung. Menschen sind Subjekte, und sie sind sehr verschieden. Eine große Zahl beschränkt sich auf einen gewissen Mindeststandard im Service: Sie empfangen die Grundsakramente, bleiben in der Kirche und lassen sich nie blicken. Gut so. Sie sind erwachsen. Sie wissen, was sie tun. Zu gegebener Zeit kommt der eine oder andere aus dieser Klientel, sehr zu meiner Verwunderung oft mit einem überzeugenden Glauben, zum Beispiel mit Ideen zu einer Festgestaltung, die gesucht und gut überlegt sind und die ich so einem früher verächtlich als „abständig“ verschrienen nicht zugetraut hätte. Dann brauchen sie gar nicht so sehr meinen Service sondern „servieren“ mir selber. Alle Achtung. Die machen mir Freude. Einige, nicht alle. Aber man sollte sie nicht gleich verachten und aus dem Blick verlieren


Und dieser Grundservice ist nun mal nötig. Auch ich wurde als Kind getauft, zur Erstkommunion geführt und „abgefirmt“. Das wars. Dass es irgendwann „Zoom“ gemacht hat, daran haben viele eine Aktie. Mein Bruder in demselben sozialen Umfeld entschied sich anders. Gut so. Wir verstehen uns, er ist ein wundervoller Mensch. Er soll auch über mich als Mensch nicht klagen können. Und alle müssen zunächst durch den Service. 

Ich habe nie auf das Abnehmen geachtet. Es war von vornherein klar, dass wir weniger würden, hier im Osten. Aber in der Pfarrei allein wäre ich nie „selig“ geworden. Schon meine Pfarrer der Kaplanszeit meinten, zu einem gewissen Teil müsse man über den Tellerrand schauen. Da sind die 90% Nichtchristen. Für sie ist die Kategorialseelsorge ganz wichtig: Krankenhaus, Notfallseelsorge, Militär, Polizei. Sie wird gerne und dankbar angenommen. Wir sollen ein Segen für die anderen sein. So steht es schon in Gen 12. Die Pfarrei sorgt für sich selber - diese „Vielen“ können nicht für sich sorgen, sie warten auf uns. Das ist Mission: nicht Zugewinn an Eintritten – wir sind doch keine Partei! Sondern Berührung mit Gottes Segen, wo er nötig ist. Die Gemeinde sollte uns dafür den Rücken frei halten. Stattdessen wollen die Bischöfe das weitgehend runterfahren. Ein Pfarrer muss in der Pfarrei verbraten werden.
 
Ich wollte geistlich gefördert und gefordert werden. Also suchte ich mir eine geistliche Gemeinschaft. Sie sollte mich „halten“, nicht das Presbyterium, wie manche irrigerweise meinten, auch nicht die Pfarrei, von der behauptet wurde, ich sei mit ihr „verheiratet“. Dazu tue ich noch einiges im meinem Leben, was hoffentlich eine Altersresignation verhindert. Ich erlebte doch schon vor vierzig Jahren resignierte Pfarrer. Nein, so wollte ich nicht werden! Es war nicht bitter, sie anzuhören, ihre Resignation zu akzeptieren. Sie waren nun mal so. Nein, es war bitter, ihnen nicht widersprechen zu können. Sie hatten gute Argumente, sehr gute, die besten. Aber sie hatten nicht Recht. Deshalb widerspreche ich auch nicht meinem Kollegen Thomas Frings. Ich lege meine Ausführungen neben seine. Mögen andere urteilen.

Franz Scharfenberg ist Pfarrer in der katholischen Pfarrgemeinde St. Gertrud in Leipzig - Engeldorf. Seine Zuschrift geben wir hier in gekürzter Form wieder. 

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