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Von Peter Otten
Sehr geehrter Herr Röser,
ich habe mit Interesse gelesen, dass Sie in Ihrem letzten Leitartikel auch auf meinen Text „Servicewüste“ eingegangen sind. Ich hatte ihn zunächst auf meinem blog „Theosalon“ veröffentlicht und auf Nachfrage der Redaktion einer Übernahme auf www.katholisch.de zugestimmt.
Sie haben mich missverstanden, wenn Sie den Text als Widerrede gegen die Ausführungen von Pfarrer Thomas Frings verstehen. Ich habe sehr großen Respekt vor seiner Entscheidung aufgrund von Erfahrungen, die er gemacht hat. Mir ging es lediglich darum, dem meine Erfahrungen entgegen zu stellen.
In meiner Arbeit habe ich es jede Woche mit der Not von Menschen zu tun, die einen Angehörigen verloren haben. In der Sterbestunde und danach suchen nicht wenige von ihnen Trost und Zuspruch. Sie wollen mit einem Seelsorger sprechen. Und sie wollen wissen, wie das mit der Beerdigung geht. Und es ist tatsächlich so, dass viele von ihnen sich da von der (katholischen) Kirche allein gelassen fühlen. Manche versuchen händeringend, einen Priester ans Telefon zu bekommen, verheddern sich an Zuständigkeiten, die sich nicht durchblicken können und landen auf Anrufbeantwortern. Und es stimmt wirklich: Ich kenne Fälle, die sich bis in die Ordiariate und Pressestellen durchtelefonieren, um einen Menschen zu finden, bei dem sie ihr Anliegen, ihre Not loswerden können. Ich finde, sie haben einen besseren Service, eigentlich den besten Dienst verdient, den die Kirche geben kann, finden Sie nicht? Und in diesem Zusammenhang mal auf den Service-Standard von anderen Dienstleistern hinzuweisen – was ist daran verkehrt? Warum kann man der Not von Sterbenden bzw. die ihrer Angehörigen nicht mit einem Service begegnen, wie er beispielsweise in der Telefonseelsorge seit Jahren erfolgreicher Standard ist – und zwar ökumenisch und bundesweit? Was wäre eigentlich falsch daran? Es wäre professionell und auf einem hohen Niveau. Wäre das schlimm? Ich finde, es wäre vermutlich ein Beispiel für das, was der Papst sagt, wenn er von den Rändern spricht, an die die Kirche gehen soll.
Und wer ist das denn, der am Rand steht? Sind das nicht auch die Circumstantes, von der die Apostelgeschichte spricht? Sind das nicht auch die, die in ihrem Lebensrhythmus vielleicht nicht den wöchentlichen Gottesdienstbesuch einplanen – die aber trotzdem eine Sehnsucht nach der Begegnung mit dem Transzendenten verspüren? Sind es nicht wirklich auch die, die am Rand stehen und einfach staunen wollen? Wenn ich davon geschrieben habe, dass Erwartungen vielleicht nicht immer klar sind, dann meine ich damit genau das: Denken Sie an die Perikope mit der Heilung der zehn Aussätzigen. Einer kommt zurück und bedankt sich, wie Dr. Werner Kleine in einem Diskussionsbeitrag vor ein paar Tagen dankeswerterweise aufgezeigt hat. Was mit den anderen passiert erfahren wir nicht. Und trotzdem (oder vielleicht dennoch?) haben sie das Heil erfahren: „Das ist eine bemerkenswert niedrige Quote, die Jesus da einfährt. Nur 10% der Geheilten kehren voll Dankbarkeit zu ihm zurück. Die anderen 90% ziehen einfach geheilt ihrer Wege – ohne Wort des Dankes und ohne Nachfolge. Sie bleiben aber geheilt. Der eine empfängt letztlich mehr als die neun anderen. Seine Umkehr bewirkt die volle Gemeinschaft mit Jesus. Den anderen Neun scheint nichtsdestotrotz nichts zu fehlen.“ Und weiter schreibt Kleine: "Verkünderin ist man nicht um seiner ihrer willen. Prediger ist man nicht um seiner selbst willen. Priester und Bischof ist man nie um seiner selbst willen. Alle reden vom Dienst, aber keiner will Diener sein."
Eine Erwartung, für mich nach fast zwanzig Jahren Dienstzeit klar geworden ist ist die: ich kann Nachhaltigkeit nicht nur exponentiell verstehen. Es geht nicht nur um vollere Kirchen. Es geht letztlich darum, dass Menschen mit dem Heil in Berührung kommen. Neulich habe ich ein Gespräch mit einem jungen Mann geführt, der wieder in die Kirche eintreten möchte. Am Ende des Gespräches schilderte er mir seine Not damit, vielleicht nie einen Ausbildungsplatz zu finden. Ich habe noch während des Gespräches mit einem Menschen telefoniert und ihn um Rat für ihn gefragt und auch einen Rat bekommen und konkret weiter geben können. Ob der junge Mann nun dauerhaft zu uns in St. Agnes zur Kirche kommt – ich weiß es nicht. Aber ist das der Punkt?
Übrigens habe ich in meinem Text auch nicht wie Sie schreiben „bezweifelt, dass das von Frings gezeichnete Bild die Gemeindesituation trifft“. Ich spreche über Frings überhaupt nur ganz am Rande an einer Stelle. Ich habe mich an dieser Stelle auf den Hirtenbrief von Kardinal Woelki bezogen, der das aktuelle Bild der Kirche als eine „von Hauptberuflichen (…) versorgte“ Kirche beschreibt und sie überwinden möchte. Dieses Bild habe ich für mich persönlich und die Arbeitssituationen, in denen ich gearbeitet habe angezweifelt. In allen Kontexten, in denen ich bislang gearbeitet habe habe ich ganz überwiegend partizipative Gruppen und Initiativen erlebt, die sich weitgehend selbst organisiert haben und die das Bild, sie würden hauptamtlich versorgt vehement ablehnen würden. Und das ist nicht erst seit den Willkommensinitiativen so. Und ich habe mich selbst nie als einen Versorger empfunden, sondern als jemanden, der aufgrund einer qualifizierten Ausbildung und mit bischöflichem Auftrag möglichst professionell arbeitet.
Und auch im nächsten Punkt haben Sie mich nicht verstanden: ich „befürchte“ keineswegs, dass die Not, Gemeinden mit Seelsorgern zu „versorgen“ (Anführungsstriche stammen von Ihnen, das ist nicht, wie der Leser glauben könnte ein Zitat aus meinem Text) am Ende dazu führt, mehr ehrenamtlich den Gemeindemitgliedern aufzubürden, somit das Charismatische dem Professionellen vorzuziehen. Davon ist in meinem Text wenigstens überhaupt nicht die Rede. Eine Kirche ohne Volontäre mit ihren vielen Begabungen und Fähigkeiten ist im Übrigen nicht denkbar. Eine Kirche ohne professionelle Fachlichkeit, ohne Leitung aber auch nicht. Sie unterschlagen hier, dass ich mich auf den Diskussionsbeitrag von Herbert Haslinger beziehe, den er bereits in der Herderkorrespondenz 5/2015 vorgelegt hat. Dort wendet er sich mit einigem Recht gegen die verengende Darstellung, ein guter Christ sei derjenige, der durch Mitarbeit zur Lebendigkeit der Kirche beitrage: „Genau hier passiert die fatale Umkippung von Zweck und Mittel: Die Kirche macht sich selbst zum Zweck und die Menschen zu ihren Instrumenten." Das in der Tat sieht Haslinger richtig. In der pastoralen Arbeit geht es darum, den Beginn der guten Botschaft vom anbrechenden Reich Gottes zu erzählen. Und die darin enthaltene Zuwendung Gottes ist „gratuité“ – also mit keiner Bedingung verbunden. Auch nicht mit der Bedingung, sich institutionell zu engagieren. Denn in einer solchen Haltung läge in der Tat die verheerende Gefahr der Selbstreferentialität der Kirche.
Sie stellen die Frage: „Werden auf diese Weise (also mehr Charisma, weniger Professionelle, Ergänzung von mir) womöglich sogar die hauptamtlichen Berufe nicht ordinierter Theologen geringer bewertet, zurückgedrängt?“ Diese Frage müssen andere entscheiden. Norbert Bauer hat neulich in einem Beitrag hier jedenfalls auf die Chance hingewiesen, die ein verweltlichter Beruf wie der des Pastoralreferenten für die Kirche hat. Ich würde sagen: Kirche braucht in Zukunft auf jeden Fall gute Leitung und die damit verbundene (universitäre) Fachlichkeit– und das bedeutet unter anderem auch gut ausgebildete und motivierte Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten. Übrigens auch Frauen in allen Bereichen.
Sie weisen selbst darauf hin, dass im Englischen „Gottesdienst“ mit „service“ übersetzt wird. Ich finde den Begriff großartig. Kaum ein anderer beschriebt das, was in einem Gottesdienst gefeiert wird kompakter: „Gemeinschaftliche Erinnerung an die bedingungslose Selbsthingabe Gottes“ – eben service. In der Tat ist der Mitfeiernde ein König, nicht zuletzt ist die Salbung in der Taufe ein Hinweis auf die Königswürde des Christen. Heißt es nicht bei Paulus: „Es gibt nicht mehr Juden noch Griechen, nicht mehr Sklaven noch Freie, nicht mehr männlich noch weiblich; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus“? Sie schreiben: „Ohne die Schwerkraft dieses Zentrums (der Eucharistie, Ergänzung von mir) ist aller service „nichts“. Diesen Anspruch sollte man nicht klein und kleiner machen, nicht zur minimalistischen Wellness für gewisse Stunden verkümmern lassen.“ Abgesehen davon, dass ich gerne wüsste, was Sie mit dem Begriff „minimalistisches Wellness“ meinen: wenn die Eucharistie diese Bedeutung wirklich hat, müssen wir nicht dann dazu kommen, sie möglichst oft zu feiern und damit aufhören, sie zum exklusiven Gut zu erklären? Wo die Eucharistie nur die Chiffre von Macht ist, wird man mit Service in der Tat wenig anfangen können.
Herzlich,
Peter Otten
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