Montag, 9. September 2024

KRIEG UND WÄSCHE - eine Verheißung


Gedanken zur Eröffnung der Multimedia-Installation „KRIEG UND WÄSCHE von Christiane Rath am 7. September 2024 in St. Gertrud

Von Peter Otten

Als ich ein Kind war, lebte meine Großtante mit Herrn Rindermann zusammen. Sie war bis zu ihrer Pensionierung Lehrerin gewesen. Und was vielleicht nur wenige wissen: Es gab eine Zeit, in der Lehrerinnen nicht heiraten durften. Nach außen diente meine Großtante Herrn Rindermann als eine Art Gesellschafterin. Herr Rindermann hatte keine Haare mehr auf dem Kopf. Und für diesen Umstand hatte er eine Erklärung, die mir, dem kleinen Jungen, gleichsam plausibel und rätselhaft erschien: Sie seien fortgeweht worden, als er bei einer Zugfahrt den Kopf aus dem Fenster gehalten habe. Herr Rindermann war Soldat im ersten Weltkrieg gewesen. In meiner Erinnerung war er der erste Mensch, der den Krieg in mein Kinderleben brachte. „Weltkrieg“, das klang bedrohlich, geheimnisvoll und unwirklich, als ich vor meinem Stück Sonntagskuchen auf dem dick gepolsterten Canapé gesessen bin.

Wann beginnt der Krieg?

Ich erinnere mich an viele weitere unschuldige Kinderbegegnungen mit dem Krieg: Ein Bombentrichter in einem Wald zwei Steinwürfe weit weg von meinem Elternhaus, in den wir Kinder mit dem Fahrrad hineinfuhren. Kyrillische Buchstaben, die russische Zwangsarbeiter in einen Brunnen geritzt hatten, den sie auf dem kleinen Bauernhof meiner Großeltern gegraben und gemauert hatten. Panzersperren aus Beton in einem Eifelwald, die wir bei einer Wanderung mit den Eltern entdeckten. Erste Ahnungen eines Kindes, dass die Welt anders sein könnte, anders war, als sie schien, wenn sie sich unschuldig in die Sonne drehte.

Wann beginnt der Krieg? Wenn zwei Menschen aufhören sich zu grüßen? Wenn ein Mensch das erste Tier erlegt? Wann endet der Frieden? Wenn Menschen aufhören miteinander zu reden? Mir scheint, als sei die Bahnstrecke, die Christiane Rath in die Kirche gelegt hat, eine Markierung dieser Momente, in denen etwas umschlägt. Gerade gestern noch war ich im Kino und habe den Film „Horizon“ gesehen. Den ersten Teil der amerikanischen Saga, in der Kevin Costner von der Besiedlung Amerikas durch weiße Einwanderer erzählt. Irgendwo mitten im Film sieht man in einer kurzen Totalen, wie sich durch die überwältigende Landschaft eine Bahnlinie zieht. Wie eine dunkle, endlose Operationsnarbe stapeln sich die Bahnschwellen in den Horizont. Sie trennen Diesseits vom Jenseits. Norden vom Süden. Eine Bahnstrecke steht für Mobilität und Eile. Aber auch für Handel und Eroberung. Aber auch für Gewalt und Krieg. Für neue Welten und die Weitung des Horizonts. Sie bringt den neugierigen Reisenden in neue
Welten. Und lässt Herrn Rindermann, den Soldaten beim Transport an die Front seine Haare verlieren.

Transformationen


Im Archiv von St. Agnes gibt es dieses Foto. Es ist auf der

Krefelder Straße aufgenommen. Der Fotograf steht vielleicht in Höhe der heutigen Fußgängerampel. Rechts hinten gähnende Leere, wo einmal Häuser gestanden haben. Vor dem Loch eine Gruppe von Kindern. Erstkommunionkinder von St. Agnes, 1947 steht auf dem Foto. Die Mädchen in strahlend weißen Kleidern. Sie wirken wie ein Fremdkörper inmitten der zerstörten Straße. Und doch transformieren sie diesen Ort, hauchen dem Trümmerfeld Leben ein. Kleine Botinnen und Boten der Hoffnung wider alle Hoffnung. In den sechziger Jahren wurde in dieses Loch die Kirche gebaut, in der wir jetzt stehen. Es ist nicht nur irgendeine Kirche. Gottfried Böhm hat sie gebaut. Und ihm war klar, dass eine Kirche nach dem Krieg nicht mehr so gebaut werden kann wie vor dem Krieg. Das Entsetzen, das Geschrei, die Klage, das Gebell der Bomben, Zerstörung und Höllenbrand, Angst und tränenlose Verzweiflung – all das speichert dieser Bau. Deswegen haben sich viele Menschen in den sechziger Jahren auch so schwer getan mit seiner Architektur, die so gar nichts von dem zu haben schien, was die Menschen in ihrer Erinnerung mit sich herumtrugen: Die Herrlichkeit des Himmels, die Verheißung des Paradieses, von dem die romanischen Kirchen Kölns und vor allem der geliebte Dom in schweigender Pracht jubilierendes Zeugnis gegeben hatten. Aber Böhm wusste, dass es unredlich gewesen wäre, dieser Höllenerfahrung des Krieges auszuweichen. Und so hat er diese Kirche entworfen, die beides miteinander verbindet: Den tröstenden Himmel, der in der gefalteten Decke freilich erschlossen werden will. So etwas wie die stabilisierende symmetrische Ordnung der Gotik, an die Menschen sich entlanghangeln können, die in dieser Kirche auch zu finden ist, wenn man den Raum meditiert. Das tröstliche Licht, das auch diese Kirche zu einem ehrlichen Abbild des Himmels macht. Höhle und Zelt. Schwere und Leichtigkeit. Dunkelheit und Licht. Diese Kirche ist ein Ort der Transformation. 

Der siebte Tag der Schöpfung

Die Kommunionkinder geben Zeugnis davon, dass ein Ort nicht so bleiben muss, wie er ist. Kommunion, Sakrament bedeutet in der Theologie ja auch so etwas wie Transformation. Aufscheinen von Gottes Gnade in die Tristesse dessen, was ist. Christiane Raths Intervention mit der weißen Wäsche wirkt nun wie ein Echo dieses Gedankens, den eine Gruppe von Kindern vor 80 Jahren mit ihren weißen Kleidern unbewusst schon an diesen Unort getragen haben. Als ich die Wäschestücke gesehen habe, habe ich daran denken müssen, wie ich als Kind mit meiner Mutter zu Hause Wäsche aufgehängt habe. Unterwäsche, Stofftaschentücher, Handtücher, Hosen und Hemden. Ich erinnere mich an den Duft der frisch gewaschenen Wäschestücke. Frisch gewaschene Wäsche duftet ja wie eine Verheißung. Nach Unschuld und Neuanfang. Frisch gewaschene Wäsche ist wie der siebte Tag der Schöpfung. Ein Stapel frisch gewaschener Wäsche ist wie der Ruhetag nach sechs Tagen Arbeit. Und das Walken, Wringen und Schrubben hat sich in das die Makellosigkeit und Frische der sauberen Wäsche transformiert. Und vielleicht haben Sie das ja auch gemacht, was ich als Kind gemacht und genossen habe: Ich bin als Kind langsam durch die hängende Wäsche gegangen, mit geschlossenen Augen, hab die noch feuchte Wäsche auf meinem Gesicht gespürt und dieses Gefühl sehr genossen. „Siehe, ich mache alles neu!“ sagt die Offenbarung, das letzte Buch in der Bibel und meint genau das. Frisch gewaschene Wäsche ist eine Verheißung ohne Worte. Erzählt vom Geborenwerden mitten im Grauen. Verheißung meint: es muss nicht so bleiben wie es ist. Und irgendwann hing an der Wäscheleine meiner Mutter auch die Soldatenkleidung meiner Brüder. Und mischte sich mit den weißen Bettlaken. Und teilten sich den gemeinsamen Duft.

Inszenierungen

Davon erzählt das Foto, was Christiane Rath im Fotoalbum

Foto
ihrer Familie gefunden hat. Die Rückseite eine Postkarte, die ein nicht näher bezeichneter Conrad an seinen Bruder Heinrich geschrieben hat. Es zeigt die Inszenierung einer Hochzeit in einem Schützengraben, vermutlich 1917, vermutlich in der Ukraine. Inszenierung deshalb, weil nicht zu klären ist, ob es sich um eine richtige Hochzeit handelt oder um die Nacherzählung einer Hochzeit. Das Spiel einer Hochzeit womöglich. Die Braut in dem mit Rüschenkragen und Rüschenärmeln besetzten Kleid mit dem verwegenen eleganten Hut sieht sehr männlich aus. Der Bräutigam mit zerbeultem Zylinder und einer riesigen weißen Blume im Knopfloch hat eine Zigarette zwischen den Fingern. Im Hintergrund sehen wir einen schiefen Spiegel, eine Stange dient zum Trocknen eines kleinen Lappens. Im Vordergrund das gerahmte Gemälde eines hübschen Mädchens. Ein Mann mit einem Akkordeon macht Musik. Auf einem Brett ist ein Name aufgeschrieben. Villa – und dann? Eine ironische Brechung dieses Unortes? Auch diese Inszenierung – ob sie nun die Inszenierung einer realen Hochzeit oder ein Spiel ist – erzählt von einer Transformation. Das Grauen darf nicht das letzte Wort haben – und es beginnt in der Inszenierung, die ja eine Inszenierung von Verbindung und Liebe ist, bereits seinen Schrecken zu verlieren.

Eine Installation der Hoffnung

So ist Krieg und Wäsche vor allem auch eine Installation der Hoffnung. Weil sie von diesem Moment erzählt, in dem etwas nicht so bleiben soll, wie es ist. Krieg und Wäsche ignoriert nicht die Düsternis. Aber sie lotet die Möglichkeit aus, dass in der Düsternis paradoxerweise die Stunde der Hoffnung schlägt. Darüber denkt die französische Philosophin Corine Pelluchon nach. Sie unterscheidet zwischen Optimismus und Hoffnung. Der Optimismus ignoriert die gewaltige Kraft der Verzweiflung und suggeriert, es gibt immer eine Lösung für alle Probleme, bemerkt sie. Dagegen identifiziert sie die Hoffnung eher als eine existentielle Haltung, die mitten in der Verzweiflung entsteht. Der Hoffende hat in den Abgrund geschaut: „Hoffnung ist die Reaktion auf Verzweiflung, und wir werden sehen, dass sie ein Sprung kraft des Absurden ist: ein Akt, der nicht das Ergebnis reiflicher Überlegung ist, (…) ein Wagnis oder etwas, das sich wie die Gnade ereignet, von der die Christen sprechen.“

Hoffnung entsteht, wenn Menschen sich in der Düsternis zusammentun und gemeinsam nach Anzeichen von Licht Ausschau halten, so die Philosophin. „Was ich weiß, ist, dass wir eine Nacht erleben. Wir haben derzeit viele Probleme, erleben Kriege, Entmenschlichung und erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber unseren Mitmenschen, den Tieren, der Klimakrise. Ich glaube also nicht, dass wir am Ende dieser Nacht sind. Wir müssen die Dunkelheit ernst nehmen, ohne dabei zu denken, dass sie niemals enden wird. Denn ja, auch in der tiefsten Nacht gibt es ein Licht. Wir müssen lernen, es wahrzunehmen.“ 

Dem Kind wird alles möglich sein

Womit wir bei dem Film wären. Er zeigt einen endlos lang

erscheinenden Zug, den Christiane Rath in Kanada gefilmt hat. Was mag in den Container sein? Legosteine und Badeenten? Fußballschuhe und Trillerpfeifen? Schweinehälften und Barbecue-Grills? Gewehre und Uniformen? Saatgut und Blumenzwiebeln? Saubere duftende Wäsche? Alles ist möglich. Es hängt davon ab, wofür unser Herz schlägt. Davon hängt ab, womit wir die Züge dieser Welt befüllen. Daran erinnert der Soundtrack des kleinen Films. Er transformiert sich vom Rattern der Wagons in den Herzschlag eines noch ungeborenen Kindes. Sein Herzschlag ist eine Verheißung. Diesem Kind wird alles möglich sein.

Liebe Christiane, danke für deine fantastische Installation. Danke, dass du da bist. Du hast uns damit ein großes Geschenk gemacht.

Fotos: 1 Christiane Rath  / 2+3 (Repros) Peter Otten / 4 Peter Otten

1 Kommentar:

  1. In Deutschland muss eine sozial-konservative Politik etabliert werden. Die Waffenlieferungen an die Ukraine müssen allmählich verringert werden. Mehr dazu auf meiner Internetseite (bitte auf meinen Nick-Namen klicken).

    AntwortenLöschen