Samstag, 12. Dezember 2020

Wir sind keine Jakobiner

Wir sind keine Jakobiner. Wir lieben das Evangelium. Mein
Statement bei der Digitalen Domdemo am 12. Dezember.

Von Peter Otten 

Vor einigen Tagen hat mich ein Mensch aus der Agnespfarrei gefragt: Ich frag mich Wie wollt ihr eigentlich Weihnachten feiern und ein Kind in die Krippe legen, wenn man an eurem Umgang mit den Verbrechen sexueller Gewalt in der Kirche ablesen kann: Die können und wollen das Kind gar nicht schützen?

Diese Frage ist berechtigt. Ich stelle sie mir auch.

Weihnachten ist vielleicht deswegen für viele Menschen so ein Fest, das sie ganz existenziell trifft und berührt, weil das Bild vom Gotteskind in einer Futterkiste auf den Punkt bringt, was Erlösung bedeutet: Die umfassende vollständige Solidarität Gottes mit seiner Schöpfung. Vor allem mit dem Kleinen, Schwachen, Schutzlosen, Ohnmächtigen. Deswegen ist die Begegnung mit einem Kind, einem Schwachen, einem Schutzlosen, einem Ohnmächtigen die Begegnung mit dem Göttlichen selbst. Und deswegen ist die Begegnung mit einem Menschen, der von den Machthabern in der Kirche verstümmelt worden ist die Begegnung mit dem Göttlichen. Jesus hat das übrigens kapiert. Deswegen beginnen viele Heilungsgeschichten damit, dass er den Verstümmelten fragt: Was kann ich für dich tun? Die Heilung beginnt oft damit, dass der Kranke bedingungslos sagen kann, was er braucht, um gesund zu werden. Bedingungslos. Das muss doch die Haltung sein, mit der die Machthaber Patrick, Karl und all den anderen begegnen müssen! Nicht: Wir haben da ein Gutachten für euch vorbereitet. Sondern: Was braucht ihr? Ihr bekommt es. Egal was. Diese Haltung ist übrigens exakt dieses Dienen, von denen die Machthaber neuerdings immer so gerne sprechen. Was kann ich für dich tun? Und wir müssen aufdecken, wo das genau nicht passiert. Und es ist gut, dass nicht mehr nur einzelne damit beginnen, sondern endlich viele.

Der Journalist Christoph Strack twitterte gestern: „Was spricht eigentlich dagegen, dass aus dem Bundestag noch in der nächsten Woche ein Gesetzesentwurf zum Missbrauch eingebracht wird, um dem Staat komplette Akteneinsicht und verantwortung zur Aufklärung zuzuschreiben?“ Ich meine, er und Matthias Katsch haben Recht. Und wir sollten uns an unsere Abgeordneten wenden und diese Forderung unterstützen.

Legen wir also unsere Angst ab und nehmen wir Partei für die Menschen, die unsere Parteinahme ohne wenn und aber benötigen. Lassen wir es an keiner Stelle zu, dass Menschen in unserer Kirche erneut missbraucht werden. Legen wir Diskriminierung offen. Übrigens auch sexualisierendes und missbräuchliches Sprechen. Es kann doch nicht sein, dass in unserem Bistum immer noch Impulse im Internet gehalten werden können, wo ein Mann sagt: „Maria hat sich ihm ganz hingegeben.“ Sorry, aber das geht nicht mehr.

Joachim Frank schreibt heute im Stadtanzeiger: „Es war aber nicht nur der verstorbene Kardinal (Meisner). Generalvikare, Weihbischöfe, Personalchefs, Kirchenjuristen waren Mitwissende und Beteiligte, das Täter unbehelligt blieben.“ Aber auch jeder Katholik, jede Katholikin muss sich fragen: Wo habe ich etwas geahnt, erfahren, gewusst? Und wo habe ich vielleicht aus Angst nichts gesagt? Die schrecklichen Taten sind auch deswegen möglich gewesen, weil viele von uns geschwiegen haben und noch schweigen. Deswegen meine ich: Hören wir auf, Schweigekartelle aus Unwissenheit, Angst oder gutem Glauben zu schützen. Machen wir offen, was wir ahnen oder wissen. Es gibt genug Fachleuten auch außerhalb der kirchlichen Strukturen, die gerne dabei beratend helfen. Unterstützen wir uns dabei mit Rat und Tat! Niemand darf mehr schweigen. Aber auch: niemand muss mehr schweigen.

Wenn in der Agnespfarrei zum ersten Mal die Eltern der neuen Kommunionkinder zusammenkommen, dann lautet mein erster Gedanke, den ich sage: „Niemand soll in den nächsten Monaten Druck erfahren. Sie nicht. Die Kinder auch nicht. Weder innerlich noch äußerlich. Denn der Glaube soll in die Freiheit führen. Sie sollen Freiheitserfahrungen machen, und zwar ganz konkrete, die Ihr Leben lang tragen.“

Gilt das nicht für jeden Christen, jede Christin? Wir sind keine Jakobiner, keine mutwilligen gewalttätigen Zerstörer. Wir lieben und leben das Evangelium. Und deswegen haben wir keine andere Wahl: Wir wählen die Freiheit.

1 Kommentar:

  1. So habe ich es auch erlebt:
    „Joachim Frank schreibt heute im Stadtanzeiger: „Es war aber nicht nur der verstorbene Kardinal (Meisner). Generalvikare, Weihbischöfe, Personalchefs, Kirchenjuristen waren Mitwissende und Beteiligte, das Täter unbehelligt blieben.“ Aber auch jeder Katholik, jede Katholikin muss sich fragen: Wo habe ich etwas geahnt, erfahren, gewusst? Und wo habe ich vielleicht aus Angst nichts gesagt? Die schrecklichen Taten sind auch deswegen möglich gewesen, weil viele von uns geschwiegen haben und noch schweigen.“
    Danke Peter Otten für diese Initiative!

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