Freitag, 22. März 2013

Dies ist ein heiliger Ort

Foto: Elya/www.wikipedia.de
Theater in der Kirche: Die "Rheinischen Rebellen" spielen ihr Stück über die Zehn Gebote und machen ein Gotteshaus lebendig.

Ein schwarzes Fünfeck. Darin große Sitzblöcke für die Zuschauer. Ein Raum im Kirchenraum. Zelt im Kirchenzelt. Die Seitenwände werden sich im Laufe der zweieinhalb Stunden immer wieder öffnen. Sie geben dann für die Dauer einer Szene den Blick frei auf für den einen vertrautes, andere irritierendes Kircheninterieur und rahmen es neu: Altar und Ambo, Orgel und Beichtstuhl, und immer wieder schroffe kiesige Betonwände, roter Ziegelboden. Die Zuschauer drinnen, „eine Gemeinschaft auf Zeit“, die Schauspieler drumherum. Dann geht es los. Und zuerst erzählen die jungen Schauspieler etwas von sich: „Ich glaube an Gott“, sagt da einer, „aber ich glaube nicht an irgendwelche Schriften. Der Glaube ist etwas, was einen am Leben erhält, was aber schnell in Fanatismus umschlagen kann.“ Marie ist evangelisch, „weil es im Pass drin steht“. Sie glaubt nicht an Gott, sagt sie, erst recht nicht an Religion. „Das sind zwar alles wunderschöne Geschichten. Aber letztlich Mittel zum Zweck.“  Herbert hat sich informiert. Er weiß, dass der Kirchenaustritt 30 Euro kostet. Daher stand er vor der Entscheidung: „Trete ich aus der Kirche aus oder kaufe ich mir eine neue Badehose?“ Gelächter. „Sofatexte“ nennt Regisseurin Anna Horn diese Monologe, die das Stück genauso strukturieren wie die Songs und Choreographien. „Sie sind hier auf dem Sofa entstanden, wo wir sonntags zusammensaßen und Interviews geführt haben.“ Um sich dem Thema zu nähern, es einzukreisen, ein Pack-an zu bekommen.

Die Theatergruppe „Rheinische Rebellen“  wurden im August 2008 am Kölner Schauspiel gegründet. Seitdem können sich jedes Jahr im August, zu Beginn einer neuen Spielzeit, Jugendliche zwischen 15 und 23 Jahren bei der Truppe bewerben. In diesem Jahr sind es 17. Und dann entsteht wieder ein neues Stück. Die Rheinischen Rebellen verstehen sich als ein eigenes Theater im Theater, bei dem das Prinzip gilt, dass jeder das in die Truppe einbringt, was er oder sie am besten kann: Schauspiel, Musik, Tanz, Inszenierung, Ausstattung, Dramaturgie oder Regieassistenz. Dabei erarbeiten sie sich alles selbst: Sie entwickeln Ideen und Szenen, schreiben, proben und spielen, nähen und schneidern, singen und tanzen. Klassisches „Work in Progress“. In ihren eigenen Produktionen geht es um sie selbst, ihre Wünsche, ihr Quartier, ihre Stadt, ihre Wurzeln. Da liegt das Thema Religion eigentlich auf der Hand: Denn ihr Thema ist ja auch vor allem Orientierung. Szene für Szene werden die Gebote beleuchtet,  eins nach dem anderen untersucht, auseinander genommen. Flüchtig auf Pappe gekritzelt werden sie dann hochgehalten, nacheinander. Nichts ist mehr übrig von in Stein gemeißelten Gewissheiten. Eine Frau singt „One“, einen Song von Aimée Mann in ein Mikrofon: „Die Eins ist die einsamste Zahl, viel schlimmer als die Zwei. Eins kommt raus, wenn man Zwei teilt.“ Ist ein Gott wohl einsam? Ist „ein Gott“ überhaupt eine kluge Idee? Währenddessen werden an einem anderen Fenster Gewehre verteilt. Keine anderen Götter neben mir! Und doch gibt’s sie zuhauf: Schönheit, Perfektion, Konsum.

Von 1962 bis 1965 wurde die Kirche St. Gertrud von Gottfried Böhm gebaut, mitten in eine Häuserzeile in der Krefelder Straße im Kölner Agnesviertel. Parallel zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Ein Bau der Gegensätze: Der schwere dunkle Beton faltet sich in der Höhe zu einer lichten Zeltdecke auf. Modernität in einer Zeit großer Veränderungen, aber auch enttäuschter Hoffnungen. Nur sechzehn Jahre bestand St. Gertrud als selbständige Pfarrei, dann wurde sie wieder mit St. Agnes, inzwischen mit zwei weiteren Pfarreien zusammengelegt. Heute finden nur noch manchmal Gottesdienste in der Kirche statt. Trotzdem fordert die Architektur die Gemeinde und das Viertel heraus, nach wie vor. Und so entstand die Idee von „sankt gertrud: kirche+kultur“.  „Darunter verstehen wir ein weit gefasstes kulturelles Netzwerk“, sagt Kurt Koddenberg, der von Seiten der Gemeinde das Projekt leitet. „Gemeinsam mit verschiedenen Akteuren und Institutionen soll sich die Kirche zu einem Ort entwickeln, an dem Menschen existenzielle Fragestellungen aufgreifen und sich künstlerisch mit ihnen auseinandersetzen.“ Wie geschaffen für das Projekt der Rheinischen Rebellen: „Mich hat interessiert, was junge Menschen heute glauben. Und ob so etwas wie die zehn Gebote für sie noch eine Rolle spielen“ sagt Anna Horn, die Regisseurin.

Das tun sie, aber anders. Hier werden keine Katechismuszeilen deklamiert. Nachrichten werden vorgelesen: In China, beim Handyzulieferer Foxcom, springen Mitarbeiter vor Erschöpfung aus dem Fenster. In Bangladesch verbrennen Mitarbeiter in einer Textilfabrik. „Für mein iphone, für meine Turnschuhe – ist das unterlassene Hilfeleistung?“  Du sollst doch nicht stehlen. Einer zieht ratternd einen Schlagstock an der Kirchenwand entlang. Im Dunkeln werden Menschen an Hundeleinen geführt. Szenen, die an Menschenhandel und Folterkeller erinnern. Im vernebelten Kircheneingang bedrängt jemand eine Frau. Du sollst nicht töten. Nach bildenden Künstlern und Musikern haben nun also junge Theaterschauspieler diesen „Resonanzraum St. Gertrud“ entdeckt. An den Wochenenden traf man sich, um zu diskutieren, zu reden, das Stück zu erarbeiten. Oft stundenlang, bis in die Nacht hinein. Es sei ein Prozess gewesen, die Gebote zu durchleuchten, erzählen sie nach dem Spiel. Anstrengend, aufregend sei es gewesen, vor allem eine Auseinandersetzung mit sich selber. „Eindrücklich war es“, erzählt Miriam, „wenn man früher kam, und es war noch still, und da war man selber allein mit diesem Raum. Das hatte was Befreiendes. Und der Körper wirkt verletzlich“ sagt sie auch, „vor dieser Betonwand. Man muss aufpassen, es ist immer noch ein heiliger Ort, nicht irgendein Ort. Es ist ein besonderer Ort von Gemeinschaft. Wo etwas gewachsen ist.“

Nämlich eine wuchtige Collage aus Monologen, Gesprächen, Gesang und Tanz, voll jungem Sturm und Drang, rau und intensiv, provokant und ungeschützt, aber auch berührend, anklagend und mitunter voller grimmigem Witz. Sie endet, als sich zwei Schauspieler auf zwei Sitzblöcken gegenüber stehen. Zwischen ihnen eine dunkle Untiefe. Assoziationen an den Durchzug durchs Rote Meer. Glaube bedeutet wohl Vertrauen, auch in ein Gegenüber. Dann reicht man sich die Hände.

Die nächsten Aufführungen sind am 30. und 31. März um 19:30 in St. Gertrud, Krefelder Str. 45. Das Stück ist auch erschienen in Publik-Forum 6/2013

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