Mittwoch, 23. Januar 2013

Spiritulalisierung des Verbrechens

Foto: Peter Otten
Die Täter "nutzen die psychische Wirkung von Riten aus. Die Ergriffenheit von Kindern bei Symbolhandlungen wie Beichte oder Gebet, was dazu führte, dass die Schutzmechanismen der Kinder gesenkt waren", sagte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann in der vergangenen Woche bei der Vorstellung des Abschlussberichtes der bischöflichen Telefonhotline  für Betroffene sexuellen Missbrauchs. "Sie täuschten den Kindern vor, die Delikte seien Ausdruck bleibender Verbundenheit mit Christus oder der Auserwähltheit von Gott." Eine besonders perfide Spiritualisierung des Verbrechens sei das gewesen, die ihn erschüttert habe, so Ackermann weiter: "Das ist noch einmal ein besonderer Schrecken der Erkenntnis dieses Berichts. Was ist das für eine Perfidie zu sagen, das entspricht der Liebe Christ und des Evangeliums, was ich dir da antue." Grenzverletzungen, Missbräuche, Gewalt - um eines höheren Wertes willen gerechtfertigt - so lautete die unbegreifliche Begründung der Täter in vielen Fällen. Und mal ehrlich: Wer sinngemäß sagt, jemand, der verpetze oder - sagen wir es ruhig: jemanden verrate - sei lediglich dem Bischof bei der Heilssorge behilflich (und tue damit ein gutes Werk, so darf man den Gedanken zu Ende interpretieren) - spiritualisiert derjenigie nicht auch in bedenklicher Weise die Denunziation? Der Satz der Bistumssprecherin, Denunziation habe im Erzbistum Köln keinen Platz klingt nun auf diesem Hintergrund entgültig entsetztlich naiv. Das Hinterbringen von Informationen hat also offensichtlich nicht nur einen festen Platz, sondern ist sogar ausdrücklich erwünscht, ja, ist Teil des Heilsplanes. Und dass dies in gewissen Fällen sogar auch weiterhin heimlich geschehen kann, zeigt ein Blick in die Beschwerdeordnung. Ob gar anonyme Beschwerden zugelassen werden, ist Sache des Ortsbischofs.

Die alles zeigt, dass ein wesentlicher Teil der Aufarbeitung und der Reflektion innerhalb der katholischen Kirche schnellstens angepackt werden muss: Die Übergriffigkeit, das Grenzverletzende, das im theologsichen, im (amts)kirchichen Sprechen verborgen sein kann und das nach folgender Systematik geschieht: Weil ich im Auftrag Gottes/im Geist Gottes/mit der Autorität des Evangeliums/in persona Christi spreche, weiß ich, was gut für dich ist. Es ist wichtig, sich dieser Gefahr bewusst zu sein. Der Kern des Glaubens ist und bleibt Vertrauen. Das aber kann nur geschenkt, niemals aber erzwungen (Missbrauch) oder verordnet (Verrat) werden. An dieser Stelle sei nochmals auf die eindrucksvolle Bibelarbeit von Jutta Lehnert auf dem Katholikentag von unten im letzten Jahr verwiesen: Bei Missbrauch, Gewalt und Übergriffigkeit durch Mitarbeiter der Kirche steht der religiöse Kern eines jeden Menschen auf dem Spiel. Er wird verletzt, im Zweifelsfall zerstört. Das ist und bleibt der unvermeidliche Preis solchen Handelns.

Im Übrigen zeigt der Fall des abgewiesenen Vergewaltigungsopfers in Kölner Krankenhäusern ein zweites: Es gibt Situationen im Leben, da beinhalten alle möglichen Entscheidungen sittliches Vergehen. Da lädt man in jedem Fall Schuld auf sich. Der Kölner Pfarrer Franz Meurer bringt es in einem Interview auf den Punkt: "Das ganze Leben besteht doch aus Dilemmata. Es geht darum, aus schlechten Handlungen das am wenigsten Schlechte rauszuholen, und aus guten Handlungen das Beste." Und: "Mir tun aber auch die beiden Ärztinnen leid. Die Arbeit in einem Krankenhaus ist nicht einfach. Die Mediziner arbeiten im Schichtdienst, sie haben Stress." So scheint es doch vor allem eine wichtige christliche Tugend zu sein, die Menschen am Ende einer Entscheidungskette nicht im Stich zu lassen - und ihnen beizustehen und sich nicht mit "Missverständnissen" herauszureden. Die Ärztin war sicher nicht zu dumm oder unverständig, mit Sicherheit aber müde und unsicher. Mir fällt das Bild der Jünger ein, die sich nach der Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane davonmachen. Von ihnen ist danach lange nicht mehr die Rede. Eine Frau und der Lieblingsjünger bleiben allein unter dem Kreuz zurück, schweigend, betend vielleicht. Glaubensfestigkeit wird sich wohl nie in lauter Rechthaberei erweisen. Sondern im Aushalten. In der leisen Solidarität.

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