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Von Peter Otten
Mt 2, 1-2; 9-11.
1 Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, siehe, da kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem 2 und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen. (…) Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen. 10 Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. 11 Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar
Ich habe heute noch mal einen Teil der Weihnachtsgeschichte mitgebracht. Nach unserem Gespräch, was bei mir noch lange nachgeklungen hat, kam sie mir in den Sinn, als ich an der Veedelskrippe stand, die vor der Agneskirche aufgebaut ist. Sehr wahrscheinlich ist nichts an der Weihnachtsgeschichte historisch. Und dennoch ist sie für Christinnen und Christen so wichtig geworden, dass sie jedes Jahr millionenfach erzählt und gesungen wird. Warum? Und warum habe ich sie ausgerechnet heute mitgebracht? Weil die Menschen, die sie damals aufgeschrieben haben, etwas von ihrer Erfahrung festhalten wollten, die sie mit Gott gemacht haben. Weil sie davon überzeugt waren, diese Erfahrung ist wichtig. Und sie ist womöglich auch wichtig für die Menschen, die heute Mittag hier zum Friedhof gekommen sind, um sich von B. zu verabschieden und die Urne mit ihrer Asche zu ihrem Grab zu begleiten.
Die Frage, auf die es keine Antwort gibt
B. war ein lebenslustiger Mensch. Ein Mensch mit Jeföhl, wie man in Köln sagt. Ein emotionaler Mensch. Wozu zweifelsohne auch gehört: Ein Mensch mit Mitgefühl und Empathie. Sie hatte ein Gefühl für Solidarität, wenn sie gefordert war. Sie hatte einen Sinn für Gerechtigkeit, sie konnte das, was in ihren Augen ungerecht war benennen, gleich ob die Ungerechtigkeit sie selbst oder andere Menschen betraf. Die größte Ungerechtigkeit, das war für sie wohl ihre Krankheit. Die sie nicht geschont hat. Und von der sie wohl schnell geahnt hat, dass sie sie überwältigen würde. Und in deren Schatten die Fragen angeschlichen kommen. Die Frage nach dem „Warum?“ Die Frage danach, was das soll. Die Frage: „Warum ich?“ Die Frage, auf die es ehrlicherweise keine Antwort gibt.
Verwandlung
B. war ein heimatverbundener Mensch. Sie liebte Köln und das Rheinland, die kölsche Musik. Davon hören wir ja bei der Feier heute auch. Sie mochte den Karneval, sie hat gerne mit anderen Menschen gesungen und die kölschen Lieder gehört. Ich habe darüber nachgedacht, warum. Mir geht es ja nicht anders, wenn ich das Leed vum Veedel singe. Vielleicht, weil beim Singen Verwandlung passiert. Weil in dem Moment alles Schwere abfällt. Weil in diesem Moment Menschen, die abseits stehen, die sich womöglich nicht mal kennen, sich unterhaken und in der Musik wiegen. Weil sich auf einmal eine Gemeinschaft bildet. Weil Menschen merken, es ist zusammen schöner als allein. Weil der gemeinsame Tanz, das gemeinsame Singen und Feiern verbindet, erhebt, tröstet. Der Karneval ist vielleicht deswegen im Unterbewusstsein von vielen Kölnerinnen und Kölnern so tief verankert, weil er die Antwort auf eine Sehnsucht von uns Menschen versucht: Nämlich endlich irgendwo anzukommen. Einen Ort und eine Heimat zu haben. Endlich irgendwo sein zu können, wo die Mühsal und die Last und die Anstrengung, ja auch Zerbrechlichkeit und Krankheit abfallen. Für viele ist Karneval vielleicht wie ein Gruß aus dem Himmel. Ein Vorgeschmack auf das, wonach Menschen sich sehnen und was sich im Leben schon ankündigt, wenn Menschen Augenblicke erleben, von denen sie sagen: Augenblick, verweile doch. In unserem Gespräch habe ich verstanden, dass B. auch so ein Mensch gewesen ist. Und bei aller Flüchtigkeit, die es in ihrem Leben auch gegeben hat war die Sehnsucht nach einem Ort, der Heimat sein kann etwas, was ihrem Leben auch eine Richtung gegeben hat.
Wir sind Sterndeuter
Womit wir bei dem Stück aus der Weihnachtsgeschichte sind, die ich mitgebracht habe. Als ich über die Beerdigung heute nachgedacht habe und an der Veedelskrippe stand, da sind mir die Sterndeuter plötzlich sehr nahe gekommen. Und ich habe gedacht: Irgendwie sind alle Menschen in gewisser Weise Sterndeuterinnen und Sterndeuter. Wir müssen die Zeichen deuten, die uns das Leben entgegenhält. All die großen und kleinen Sternchen und Sterne. Die prächtigen Kometen. Die dünnen schwachen Lichter. Aber auch die schwarze Nacht, in der gar kein Licht zu sehen ist. Wir sind nicht in der komfortablen Situation der Sterndeuter in der Geschichte, dass da ein Stern ist, immer zu sehen, der uns die Richtung gibt. Unsere Suche ist anstrengender als für die in der Geschichte. Verwirrender. Zermürbender. Enttäuschender. Und auch unsere Gewänder sind oft nicht besonders prächtig. Und dann erst unsere Geschenke. An Gold, Weihrauch und Myrrhe ist bei uns oft nicht zu denken.
Warum ist die Weihnachtsgeschichte immer noch wichtig? Weil ich finde, dass sie heute, an diesem schwierigen Tag Trost spenden kann. Bei uns vor der Agneskirche haben Menschen aus dem Viertel aus Ton Figuren gemacht. Wir haben Tonklumpen rausgestellt. Und die Menschen haben sie verwandelt. Es gibt sie alle: Schafe und Hunde und Katzen. Astronauten, Kinder, Babys, Familien, heilige Familien. Aber auch Sterndeuter, Könige und Königinnen.
Einmal möchte ich ankommen
Und eine Königin habe ich heute mitgebracht. Keine Ahnung, wer sie gemacht hat. Sie steht stellvertretend für das, was die Weihnachtsgeschichte so aufregend macht: Die Weihnachtsgeschichte achtet das Unvollkommene, macht Platz für das Zerbrechliche, das Verachtete, Kleine, Unvollkommene. Ein Tonklumpen kann eine Sterndeuterin, eine Königin sein. Ist das nicht großartig? Ich sehe diese Königin, diese zerbrechliche Sterndeuterin dort an der Krippe stehen. Und ich sehe auf einmal mich, dich, und auch B. Ich sehe meine Unvollkommenheit, meine Traurigkeit und meine Zerbrechlichkeit, meine Fehler und meine verschattete Schönheit – und ich sehe deine Traurigkeit und Zerbrechlichkeit. Und die von B. Und ich bin auf einmal froh und erleichert, weil sie alle einen Platz in der Weihnachtsgeschichte haben. Und ich sehe meine eigene Sehnsucht, deine Sehnsucht, die Sehnsucht von B. – irgendwann und irgendwo doch mal anzukommen. Ein Teil einer Gemeinschaft zu sein. Mit dem Sehnen und Suchen an ein Ende zu kommen. Dass das, was in unserem leben manchmal wie ein Gruß aus der Himmelsküche aufscheint Realität werden möge.
Dass sich Sehnsucht in Heimat verwandelt
Ich wünsche B., dass sie jetzt wie die Sterndeuterin
ankommen kann. Ich wünsche ihr, dass sie das, was sie mitbringt ablegt. Und
dass der, den Christinnen und Christen den Lebendigen nennen und den sie
Weihnachten in der Krippe anschauen, dass der alles, was sie mitbringt und sie
selbst auch in die Arme nimmt. Ich wünsche es B., ich wünsche es aber auch euch
und mir selbst. Den Trost von Weihnachten. Dass das rätselhafte Sehnen und
Suchen ein Ende findet. Dass sich die Sehnsucht in Heimat verwandelt. Dass Hoffnung ist,
selbst da, wo sie schwerfällt. Das ist der Trost an diesem Tag. Es ist der Trost von Weihnachten.
In diesem Jahr kommt Christus wieder. Aber nicht ein persönlicher Christus, sondern das Christus-Prinzip. Dies äußert sich materiell z. B. in einer Rekord-Wärme. Und geistig-seelisch darin, dass viele Menschen bedeutungsschwere luzide Träume haben. Mehr dazu auf meiner Internetseite (bitte auf meinen Nick-Namen klicken).
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