Montag, 11. Januar 2021

Zwischen den Jahren

Foto: Peter Otten
 Wenn es um die Vernuft herum in der Kirche einsam wird ist
es schön, einen Hund zu haben. Beitrag zum Preacher-Slam am 10. Januar in der Karl-Rahner-Akademie.

 

Von Peter Otten

„Du“, fragt mich mein Hund plötzlich unvermittelt. „Was bedeutet eigentlich „Zwischen den Jahren“?

Ich bin mit meinen Gedanken gerade woanders. Und starre jetzt doch auf den Hund, der unter dem Schreibtisch liegt.

„Was ist los?“

„Na ja, was bedeutet „Zwischen den Jahren“? Du hast doch neulich auf der Straße deinen Friseur gefragt, ob er „zwischen den Jahren“ geöffnet hat. Ich dachte bislang immer: ein Jahr geht zu Ende und ein anderes fängt an.“

Okay, Hunde sind im allgemeinen kluge Tiere. Das ist bekannt. Aber manchmal übertreiben sie einfach. Und dann schlägt ihr Verhalten ein bisschen zu sehr ins Klugscheißerische. Ich schaue unter meinen Schreibtisch, wo der Hund gewöhnlich liegt und hätte mich nicht groß gewundert, wenn er mit einer lässig auf der Hundenase balancierten Lesebrille über die Gläser hinweg mich angeschaut und dabei in der FAZ geblättert hätte.

„Zwischen den Jahren ist eine Redensart. Diese Redensart beschreibt ein Gefühl. Das Gefühl, was viele Menschen in dem Zeitraum zwischen Weihnachten und Neujahr beschleicht. Das alte Jahr ist fast aufgebraucht und liegt in den letzten Zügen. Und das neue Jahr hat noch nicht angefangen.

Der Hund schaut interessiert. Keine Lesebrille. Keine FAZ. Ich bin erleichtert.

„Und viele Menschen ziehen dann Bilanz. Sie denken nach, was so alles passiert ist. Sie blicken zurück. Freuen sich über das Schöne. Lassen das Schlimme fahren und blicken mit Zuversicht nach vorn.

Jetzt wird mich der Hund gleich fragen: Was ist deine Bilanz? Ahne ich.

„Was ist deine Bilanz?“ fragt der Hund. Sein Interesse scheint ehrlich. Er bettet sein Kinn auf die Decke als stelle er sich auf einen längeren Bericht ein.

Ich überlege und lehne mich in meinem Stuhl zurück.

„Phhh. Ein schwieriges Jahr. Es gab Corona, diffuse Ängste, krasse Entscheidungen in Politik und Gesellschaft, Einschränkungen von Freiheitsrechten in bislang nicht vorstellbarem Ausmaß. Ungewissheit und Unsicherheiten. Beschleunigung der Institutionenkrisen. Demokratie, Medien, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Kultur und Musik, sogar der Fußball steht vor dem Aus. Von der Kirche ganz zu schweigen.“

„Deine Kirche habe ich noch nie kapiert“ sagt der Hund. „Gut, ich verstehe auch nichts vom Fußball. Aber deine Kirche ist mir echt ein Rätsel.“

Will jetzt wirklich mein Hund mit mir über die Kirche diskutieren? Habe ich das richtig gehört? Wie weit sind wir gekommen? Ich seufze.

„Na los“, sage ich. „Was brennt dir auf der Pudelseele?“

„Warum dürfen bei euch eigentlich keine Frauen mitmachen?“ fragt mein Hund. „Wo man hinguckt Männer. Du bist ein Mann. Der Pfarrer ist ein Mann. Der Musiker ist ein Mann. Alles Männer. Anders in unserer Hundeschule. Jeanette ist eine Frau. Sabine ist eine Frau. Und ich bin auch eine Frau“ sagt mein Hund. „Und ich, ich markiere sogar mein Revier.“

Ich reibe mir mit Daumen und Zeigefinder durch die Augen. Der Hund hat sich aufgerichtet und schaut mich herausfordernd an.

„Naja, die Leute in der Kirche sagen, also wenigstens die Chefs: Jesus war ein Mann. Ein Mann hat all das erfunden. Und deswegen…“

„Den Staubsauger hat auch ein Mann erfunden“ bellt der Hund. „Das Bügeleisen auch. Die Waschmaschine.“

„Ja schon“ sage ich. „Und?“

„Ich sehe nicht, dass Männer beim Staubsaugen Schlange stehen.“

„Naja, das ist ja was anderes. Ich finde…“

„Der Porsche Cayenne. Die U-Bahn-Haltestelle Hansaring, das hässliche Teil. Wirecard. Heckler und Koch. Amazon. Da stecken doch Männer dahinter.“

Es ist im Allgemeinen zwar empfehlenswert, die Lage der Welt mal mit einem Hund zu besprechen. Ein Hund betrachtet die Welt mit anderen Augen. Hat seine Nase allein aufgrund seiner Größe ganz nah an den Dingen. Wenn mein Hund jetzt aber noch mit der Atombombe anfängt, dann beiße ich in den Teppich.

„Ich will nicht noch von der Atombombe anfangen.“ Sagt der Hund.

Ich beiße in den Teppich.

„Aber hätte Edward Teller mal seine Frau gefragt wäre der Welt viel Leid erspart geblieben.“

Ich frage mich, woher mein Hund das alles weiß. Ich muss mit Jeanette mal dringend über das Curriculum in der Hundeschule sprechen. Irgendetwas scheint mir dort aus dem Ruder zu laufen. Wenn jetzt in der Krise sich Hunde zu Strebern aufschwingen, dann gute Nacht.

„Ich kann dir das auch nicht erklären“ sage ich müde. „Ich finde den ganzen Wahnsinn in der Kirche auch nicht plausibel. Die ganze Gewalt. Diskriminierung. Bürokratie. Kontrollwahn.“

„Was ist Bürokratie?“ fragt mein Hund. Ich gestehe: Ich bin erleichtert über seine Wissenslücken.

„Stell dir vor, du möchtest zum Friseur.“ Beginne ich. Täusche ich mich oder strahlt der Hund? Er mag Frau Scherzauber, seine Friseurin. „Und du müsstest einen Antrag schreiben. An deinen Züchter. Und der müsste bei dem Vorsitzenden des Zuchtverbandes nachfragen, in welchem Rahmen das erlaubt ist und welche Frisuren überhaupt in Frage kommen. Der würde ein Gutachten verlangen. Der Gutachter würde sich den Laden von Frau Scherzauber anschauen. Derweil müssten wir beide noch zum Tierarzt und eine Allergieunbedenklichkeitsbescheinigung einholen. Und dann irgendwann bekämen wir einen Termin bei Frau Scherzauber. Das ist Bürokratie.“

„Ach du liebes Lieschen.“ Der Hund kann so süß sein. „Und was ist Diskriminierung?“

„Wenn du als Pudel eine Pudelfrisur tragen müsstest. Mit Puscheln an den Füßen und ausrasierter Schnüss und so weiter. Und deine Hippiefrisur, die du gelegentlich trägst wäre verboten.“

„Verstehe. Und Kontrollwahn?“

„Wenn dein Friseurbesuch gefilmt, der Film nachher zum Züchterverband geschickt, dort von fünf Menschen angeschaut wird, die ihrerseits einen Bericht schreiben und diesen zusammen mit dem Film in deine Pudelakte legen.“

„Pudelakten? Und das gibt’s bei dir in deiner Kirche?“

„Schon.“

Schweigen.

„Hammer.“

Wenn ich jetzt noch von meinem Hund bemitleidet werde, dann ist alles vorbei.

„Du tust mir echt leid.“ Sagt der Hund. Ich fühle: Gleich ist es vorbei.

„Aber eine Kirche ohne Bürokratie, Diskriminierung und Pudelakten, ist das überhaupt möglich?“ bohrt der Hund weiter. Wenn mein Hund mir gelegentlich sagt, er möchte eine Ausbildung zum Coach machen – mich würde es nicht wundern. Das Sprechen hat er ja schon drauf.

Ich überlege einen Moment.

„Ich glaube es wäre möglich“ sage ich. „Wenn es ein bisschen so wäre: Meine Seele freut sich, weil Gott so groß ist. Mein Geist jubelt, weil Gott mein Retter ist.“

„Retter … Meinst du so was wie neulich, als du mich aus dem Rhein gezogen hast?“ fragt der Hund.

„Schon.“ Sage ich.

„Verstehe.“

„Gott schaut auf meine Niedrigkeit“ fahre ich fort.

„Ah, das kenne ich. Kleiner Pudel, großer Mensch.“

„Von nun an werden alle zu mir sagen: Wie glücklich bist du! Weil der starke Gott Großes an dir getan hat.“

„Bevor ich es vergesse“, sagt der Hund. „Es sind glaube ich keine Knochen mehr da.“

„Gott vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten“ sage ich.

„Danke übrigens, dass du mich neulich die Treppe raufgetragen hast“ sagt der Hund. „Kein Problem“, sage ich. „Gott zerstreut die Hochmütigen in alle Winde.“

„Ah, wie auf der Hundewiese, wenn all die Terrier da sind, die Blödmanner, die denken, sie sind was Besonderes.“

„So ungefähr“ sage ich. „Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und richtet die Elenden auf….“

„…wie Frau Doktor Degen?“ fragt der Hund.

„So in die Richtung“ pflichte ich bei. „Hungernde beschenkt er, Reiche kriegen nichts ab.“

„Hört sich irgendwie sozialistisch an“ sagt der Hund. Ich beschließe spontan, nicht mehr so viele Zeitungen rumliegen zu lassen.

„Und weiter?“

„Nichts weiter“, sage ich.

Schweigen.

„Also ich hab nicht viel Ahnung von Religion und Kirche. Aber mit so nem Programm könnte ich in der Hundeschule Punkte machen.“

Soweit kommts noch. Ich sehe den Hund schon auf der Kanzel stehen. In der Hundeschule. Und Willi und Krümel mit gefalteten Pfoten davor. Von wegen!

„Ich werde die Zeit zwischen den Jahren mal nutzen, um darüber nachzudenken.“ Sagt der Hund. Steht auf und trippelt aus dem Zimmer. Als zöge er sich zur Meditation zurück. Mich würde jetzt nichts mehr wundern.

„So ne Zeit zwischen den Jahren ist eigentlich eine coole Zeit. Die könnte ruhig länger dauern.“ Der Hund hat sich noch mal umgedreht.

Ich mag ihm nicht mehr widersprechen.

4 Kommentare:

  1. Neulich sah ich wie mein nachbar mit seiner Katze sprach. Ich bin gleich in die Wohnung und hab das meinem Hund erzählt. man, was haben wir beide gelacht.

    AntwortenLöschen
  2. Wie herrlich! Sehr nachhaltiger Schmunzelfaktor!
    ... sagt eine evangelisch-solidarische airedaleterrierbesitzende Pfarrerin aus Bayern ...

    AntwortenLöschen
  3. Durch die Corona-Maßnahmen sterben mehr Menschen als gerettet werden. Zum Beispiel sterben in Afrika mehr Menschen, wenn es in Europa einen wirtschaftliche Niedergang gibt. Nötig ist eine öko-konservative Politik. Mehr dazu auf meiner Internetseite (bitte auf meinen Nick-Namen klicken).

    AntwortenLöschen