Dienstag, 9. Februar 2021

Woelki-Gate oder Kurien-Gate?

Schon seit 2001 und nicht erst seit 2020 waren Ortsbischöfe verpflichtet, Verdachtsfälle sexuellen Missbrauchs durch Kleriker unabhängig vom Ergebnis der Voruntersuchung nach Rom zu melden. Es nun anders darzustellen entlarvt die angeblich so konsequente Missbrauchsbekämpfung durch Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus als Mythos und Fake.

Von Norbert Lüdecke

Laut Medienberichten hat die Bischofskongregation das Vorgehen des Erzbischofs von Köln, einen erwiesenen Fall von Missbrauch nicht der Glaubenskongregation zu melden, für kirchenrechtskonform erklärt. Es sei vielleicht unklug gewesen, eine Rechtspflicht zur Meldung gebe es aber erst seit 2020.

Moment - wie lautet noch mal das Mantra der römischen Missbrauchsbekämpfung? Der Heilige Stuhl sei auch der Kirche in Deutschland immer weit voraus gewesen. Auf Betreiben von Kardinal Ratzinger hat Papst Johannes Paul II. mit Sondernormen aus dem Jahre 2001 hart durchgegriffen: Weil die Bischöfe in der Verfolgung dieser Taten versagten, entzog er ihnen die strafgerichtliche Zuständigkeit dafür und stellte ihr Handeln unter die vorgängige Kontrolle der Glaubenskongregation. Dazu verfügte er u. a., die Diözesanbischöfe müssten, sooft sie „wenigstens eine wahrscheinliche Kenntnis“ von einer solchen Tat haben, „dies der Kongregation für die Glaubenslehre mitteilen, sobald die Vorerhebung durchgeführt wurde“ (Art 13, 2001). Auf der Grundlage dieser Meldung würde die Kongregation dann über das weitere Vorgehen entscheiden. Das war unzweideutiger Klartext: Jedem auch nur wahrscheinlichem Verdacht ist durch eine Voruntersuchung nachzugehen, anschließend ist zu melden, unabhängig vom Ergebnis. Punkt. Aus. Ende. Und das war auch gut so – denn nur so konnte eine Kontrolle der bislang säumigen oder fahrlässigen Bischöfe funktionieren.

Entsprechend hielt die Neufassung der Normen 2010 daran fest (jetzt Art. 16). Dass die deutschen Bischöfe sich in ihren Leitlinien von 2002, 2010 und 2013 sowie in der neugefassten „Ordnung“ von 2019 der Kontrolle dadurch zu entziehen versuchten (wobei schon allein das Ansinnen entlarvend ist), dass sie gegen den Wortlaut der Norm nur dann Meldebedarf sehen, falls die Voruntersuchung den Verdacht bestätigte, war Kirchenrechtlern durchaus aufgefallen. Aber da die Leitlinien ohnehin nur Absprachen ohne Rechtsbindung für den einzelnen Diözesanbischof waren, ging man davon aus, der Apostolische Stuhl werde seine Kontrollabsicht schon durchsetzen. Die Grundnorm war ja eindeutig.

Und sie wurde 2020 eigens bekräftigt durch ein Vademecum, eine Handreichung der Glaubenskongregation. Das sei – so der Präfekt Kardinal Ladaria – kein „normativer Text. Kein Gesetz wird erlassen, keine neue Vorschrift herausgegeben“. Der genaue Ablauf der richtigen praktischen Vorgehensweise wird übersichtlich beschrieben, nämlich: Außer der Beichte ist jeder Verdachtsquelle und sei sie auch anonym oder auf den ersten Blick unglaubwürdig nachzugehen. Unwahrscheinlich sei ein Verdacht und damit eine Voruntersuchung verzichtbar z.B., wenn der Täter kein Kleriker war, das Opfer nicht minderjährig oder der Beschuldigte allgemein bekannt nicht am Tatort. Nur in solchen oder ganz ähnlichen Fällen könne eine Voruntersuchung unterlassen werden. Aber selbst dann sei eine Dokumentation und eine Begründungsnotiz anzufertigen und aufzubewahren. Und zusätzlich wird auch dann noch eine Meldung an die Kongregation empfohlen. In allen anderen Fällen ist ausnahmslos zu melden, ggf. bei Zweifeln bei der Kongregation nachzufragen.

Und jetzt soll diese ausdrücklich nicht normative Handreichung erst 2020 eine Rechtspflicht zur Meldung eingeführt haben? Und zwar auch, wenn es – wie im Kölner Fall – nicht die Spur eines Zweifels am Tatverdacht und sogar der Tat selbst gibt? Wenn das tatsächlich das Rechtsverständnis und die Handlungsmaxime der Kongregation bis 2020 war, ist damit die angeblich so konsequente Missbrauchsbekämpfung durch Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus als Mythos und Fake entlarvt. Dann wurde Kontrolle vorgegaukelt, aber nicht praktiziert. Bischöfen, deren Versagen feststand, hat der Apostolische Stuhl dann nicht nur weiterhin die Einschätzung überlassen, ob ein Verdacht wahrscheinlich ist und überhaupt eine Ermittlung erfordert, sondern er hat sich auch nicht dafür interessiert, ob sorgfältig ermittelt wurde, denn von einem negativen Ergebnis meinte er ja nichts wissen zu müssen. Damit wäre der Gesamtzweck der päpstlichen Sondernormen unterlaufen, und das Prinzip Kirchenschutz vor Kinderschutz hinterhältig weitergeführt und im konkreten Fall die kirchliche Ständejustiz für das Prinzip Kardinalsschutz vor Kinderschutz genutzt worden. Skandalös? Nein, katholisch.

Wo sind eigentlich jetzt diejenigen TheologInnen, die gegen den kodikarischen Befund meinen, es gebe in einer konzilsgemäßen Auslegung des Kirchenrechts so etwas wie Menschenrechte in der Kirche? Welchen effektiven Weg weisen sie hier gegen eine kirchliche Autorität, deren Entscheidungen nicht auf der Kraft der Argumente beruhen, sondern allein auf ihrem Willen? Wer jetzt immer noch meint, es ergebe irgendeinen Sinn, sich auf dem Synodalen Weg für Gewaltenteilung, Rechtsbindung und Transparenz einzusetzen, hat nichts verstanden. Und wer glaubt, nun sei das Vertrauen in Kardinal Woelki wiederhergestellt und eine fruchtbare Pastoral im Erzbistum Köln wieder möglich, sollte sich auch die weitere Entwicklung der Kirchenaustrittszahlen genau anschauen.

Norbert Lüdecke ist Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.

5 Kommentare:

  1. Norbert Lüdecke verweist auf die Funktion der "Missbrauchsleitlinien", die die DBK und die DOK veröffentlicht haben. Führt man Fallsimulationen durch, stellt sich die Frage, wem diese Vereinbarungen nützen und wem sie schaden. In dieser Stellungnahme https://spiegelstelle.de/beitrag?id=43 geht es auch um die Leitlnien in der Version von 2013 - es wäre zu prüfen, was sich in der aktuellen Version verändert hat und inwieweit die Verantwortung und das Risiko von den Opfern und deren HelferInnen auf die HierarchInnen verlagert wurde - oder zu welchem Zweck steht man an der Spitze eines Bistums oder eines Ordens?

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

    AntwortenLöschen
  2. Großartige Beurteilung, Herr Lüdecke. Lediglich zum letzten Absatz eine Frage: jene angesprochenen TheologInnen werfen doch der Kurie insb. Daer CDocFid vor, in der Rechtsauslegung das II. Vatikanum zu ignorieren. Auf welcher Ebene sehen sie das Problem grundgelegt: in den Konzilstexten, in der "Umsetzung" im CIC, in der kurialen Interpretation des CIC oder in einem einzigartigen Rechtsbruch durch die CDocFid?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Können Sie noch Ihren Namen nennen? Einfach in den Kommentar schreiben. Anonyme Kommentare werden grundsätzlich nicht beachtet. Danke!

      Löschen
    2. Der Einwand ist mehr als gerechtfertigt, Herr Otten. Andreas Hund, aus dem fernen Süden. Habe bei Anuth gelernt, und an dem Punkt verstehe ich tatsächlich beide nicht so recht, sie scheinen da aber sehr ähnlich zu denken.

      Löschen
  3. Man darf wegen dem Kindesmissbrauch nicht die ganze Kirche verurteilen. Wichtig ist, dass die Kirche weniger Geld ausgibt. Und dass der Theismus durch den Pantheismus ersetzt wird. Mehr dazu auf meiner Internetseite (bitte auf meinen Nick-Namen klicken).

    AntwortenLöschen