Screenshot: Peter Otten |
Den Kopf heben. Das Licht sehen. Herausgezogen werden. Angenommen sein. Das ist Weihnachten: Es geht, geht auf, geht auf, geht aufwärts. Weil Gott hinab kommt. Gedanken zu "Glück auf" von Joris.
Von Peter Otten
Wer im Ruhrgebiet aufgewachsen ist, dem ist dieses Lied womöglich viel vertrauter als Menschen, die im flachen gemütlichen Rheinland zu Hause sind. Denn Joris malt das Bild eines Kumpels unter Tage bei einem Wettersturz.
Gibt kein Licht her, untertage
Schwerer Staub versperrt die Sicht
Nur den dunklen Schacht vor Augen
Zerfällt dein letztes bisschen Glauben.“
Ich denke an Lengede. Schwarz-Weiß-Bilder, die ich nur aus dem Fernseher kenne. Tagelanges Bangen nach einem Grubenunglück. Verängstigte Familien am Krater. Ich kenne Menschen aus dem Ruhrgebiet. Sie erzählen von ihren Eltern, den Vätern und Großvätern im Pütt. Jeden Tag ein Abstieg ins Loch mit ungewissem Ausgang. Ein rauhes schmutziges Leben. Pusschlag aus Stahl.
Natürlich führt das Bild vom Wettersturz, das Bild vom verunglückten eingeschlossenen Bergmann in das eigene Innere, in die Verschüttungen des eigenen Selbst. Die eigene dunkle Eisigkeit:
„Hast deine Träume laut gelebt
Doch aus falscher Perspektive
Fühlt sich Fallen an wie Fliegen
Und was du anfasst, es vergeht
Du bist so tief im Berg verborgen
Ich hoffe du hörst es
Hoffe du hörst mich.“
In diese Eisigkeit erschallt vielleicht die Gruß- und Beschwörungsformel des Ruhrgebiets. "Glück auf". Er bedeutet: „Ich wünsche dir Glück! Tu einen neuen Gang auf“. Finde einen Weg! Denn beim Abbau von Rohstoffen ließ sich früher nur schwer vorhersagen, ob die Arbeit der Bergleute überhaupt zu einem Lohn führen würde. Oder am Schluss all die Maloche nicht doch ohne zählbaren Erfolg bleiben würde. Und: Mit diesem Gruß wurde auch der Wunsch für ein gesundes Ausfahren aus dem Bergwerk nach der Schicht verbunden.
Grad alles ohne Ausweg scheint
Es geht, geht aufwärts
Glück auf. So lange es dunkel bleibt
Werd ich an deiner Seite sein
Es geht, geht aufwärts.“
Dies ist keine Autosuggestion. Sondern „Glück auf“ spricht ein anderer in meine Eisigkeit, in die Abwesenheit und Tonlosigkeit der Welt hinein. Seine Worte: wie ein unsichtbares Band. Ein verlässliches Kabel nach draußen.
Das ist das Geheimnis von Weihnachten: Früher residierten die Götter auf dem Olymp. Entrückt, fern von allem, weit weg, völlig getrennt von der Welt. Eine göttliche Prominentensiedlung. Weihnachten feiern die Menschen jedes Jahr aufs Neue, dass die Plätze getauscht werden:
Werd ich suchen nach dir
Solange du mich brauchst
Geb ich nicht auf
Auch wenn du es vielleicht nie hören wirst
Sag ichs dir immer wieder.“
All die Stollen in der Welt: die Verhärtungen, die Gewalt, Machtmissbrauch in Staat, Wirtschaft und Kirche, Krankheit und Leid, die mit Händen zu greifende Unerlöstheit der Schöpfung, die Unzufriedenheit mit mir selbst – all das wird vor Gott keinen Bestand haben. Denn Gott tauscht den Platz. Indem Jesus in der Futterkiste zur Welt kommt betritt Gott all die Stollen in der Welt. Die Stollen in meiner Seele. Er betritt all das Unterirdische, für das Menschen keine Worte mehr finden. Sogar den Tod. Und Gott erhebt die Schöpfung, die Welt, den Menschen in den himmlischen Olymp hinauf.
Das ist Erlösung: Die Schaufel aus der Hand legen können. Den Kopf heben. Das Licht sehen. Herausgezogen werden. Angenommen sein. Das ist Weihnachten: Es geht, geht auf, geht auf, geht aufwärts. Weil Gott hinab kommt. Glück auf.
Eine theistische Religion ist lebensfeindlich. Das wahre Christentum ist pantheistisch. Die christliche Mystik muss gefördert werden. Mehr dazu auf meiner Internetseite (bitte auf meinen Nick-Namen klicken).
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