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Von Peter Otten
Bruder Stephan scheibt zu seinem Werk:
„Violett: Sehnsucht nach Nähe, die nicht greifbar ist. Hingabe und Annahme von dem, was einmalig ist.“
Ich habe lange darüber nachgedacht, was das heute bedeuten könnte. Nach dem Lied „Passiert“ von Pohlmann war es mir auf einmal klar. Pohlmann singt über eine klassische Geschichte, die jeden Tag tausendfach, ja: passiert. Eine Beziehung, eine Liebe ist zerbrochen. Es ist passiert. Passivisch ausgedrückt. Es ist passiert beschreibt ja auf der Rückseite auch das Lähmende, die Ratlosigkeit derjenigen, denen dies ... passiert.
Und jetzt ist es passiert, hätte ich nicht gedacht.
Da ist sie, die Sehnsucht nach Nähe, die nicht greifbar ist in dem Sinne, dass sie besitzbar, einverleibbar, besetzbar, beherrschbar wäre. Die Sehnsucht nach Nähe bleibt immer auch eine Sehnsucht. Nähe und Distanz sind ja so etwas wie Zwillinge. Die Nähe ist prekär, zerbrechlich. Menschen merken das jeden Tag: Da sind Krankheit und Leid, Streit, vor allem aber der Tod.
Hingabe und Annahme von dem, was einmalig ist.
Hingabe, ein furchtbar altmodisches Wort: „Rückhaltloses Sichhingeben für/an jemanden, etwas“ sagt der Duden. Und als Beispiel: „bedingungslose Hingabe an Gott, an die Arbeit". Aber auch eine Liebesgeschichte hat neben allem überbordend Euphorischen ja auch etwas von Bedingungslosigkeit, Rückhaltlosigkeit. Zwei Menschen vertrauen sich einander an. Hingabe und Annahme. Zwei Menschen geben hin und nehmen an. Doch dann passiert es, wie Pohlmann feststellt, fast schon nachrichtenmäßig. Und das, was die Liebe - die Hingabe und die Annahme - ausgemacht hat, das kann Pohlmann nur noch aus der Erinnerung beschreiben:
Doch ich kann mich immer noch nicht ohne dich im Spiegel sehen.
Hingabe und Annahme von dem, was einmalig ist. Für mich sind das die Einfräsungen, die Einkerbungen in dem Bild, die von Ferne betrachtet fast wie rätselhafte Tätowierungen wirken. Die Vertiefungen, die die Farbe nicht einfärben. Die Spuren in dem Violett, sie wirken fast golden, obwohl in ihnen lediglich das Holz des Untergrundes sichtbar wird.
Die Spuren auf diesem Triptychon gehen in die Tiefe. Sie sind nicht nur aufgemalt, sondern sie gehen wirklich in die Tiefe. Wer die Spuren anfasst, kann sie auch spüren, fast wie Narben auf dem Holz. Für mich ist das ein Ausdruck dafür, wofür der Karsamstag steht: für die Tiefe. „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“ heißt es im Glaubensbekenntnis. Dieser Satz beschreibt etwas Existenzielles. Der, der am Kreuz starb, ist in die Tiefe des Dunkels hinabgestiegen. In das Reich, in die Wirklichkeit und die Wirkmächtigkeit des Todes.
Warum ist dieser Gedanke bedeutsam?
Weil die Tiefe eben auch eine existenzielle Wirklichkeit im Leben des Menschen ist. Wer hat eine solche bedrängende Tiefe nicht auch schon mal durchlebt, durchlitten, von der Pohlmann in seinem Lied singt:
„Doch bis der letzte Streit tief in der Nacht verheilt ist / Bleibst du stumm und hältst mich so in meinem Schmerz gefangen“
Tief zerstrittenes Schweigen als Blockadenullpunkt am Ende einer Liebe.
„Wir hatten mehr Stolz als Verstand und waren bereit uns zu verlieren.“
Oder auch: Das Ende einer Freundschaft. Die Ohnmacht angesichts einer schweren nicht heilbaren Krankheit. Das innere Gefängnis einer Depression.
Der Karsamstag ist der Moment, als es passiert ist. Der Karsamstag steht für all die Karsamstagmomente in unserem Leben, wo es passiert ist. In denen eine kaum auszuhaltende stille Tiefe der Endpunkt von allem ist. In denen das Glück nur noch eine Erinnerung ist. Und jetzt wo der Mond sich selber frisst, frag ich mich wo du bist.
Und jetzt ist es passiert, hätte ich nicht gedacht
Doch jetzt ist es passiert.
Im Triptychon scheinen die Linien golden. Osterhoffnung. Die Tiefe scheint kein Endpunkt, sondern Reflexionspunkt für das Lichtes. Mal sehen: Vielleicht erreicht es dich.
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