Sonntag, 12. März 2017

Gott will Diversität

Foto:Norbert Bauer
Wie es für einen Bayer 04 Leverkusen Fan ist, allein unter 1. FC Köln Fans in einer Kölner Kneipe das Lokalderby zu gucken und was das alles mit dem Turmbau zu Babel zu tun hat. Eine Predigt bei dem wunderbaren Zeitfenster-Gottesdienst in Aachen.

Zeitfenster-Aachen hat jetzt auch einen Mitschnitt von der Predigt ins Netz gestellt.

von Norbert Bauer

Ich lebe in Köln, habe aber das Glück kein Fan von 1.FC Köln
zu sein. Das ist in Köln ungewöhnlich, denn in Köln ist fast jeder glühender Anhänger des FC. Ich bin hingegen Fan von Bayer Leverkusen. Was für jemanden, der in Köln lebt, wirklich sehr ungewöhnlich ist. Das ist meine persönliche Diasporasituation und manchmal besonders spürbar, z.B. wenn ich bei Spielen vom 1. FC Köln gegen Bayer Leverkusen in Gottes Grüne Wiese gehe, einer Fußballkneipe gleich bei mir um die Ecke. Dort habe ich auch das letzte Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften gesehen. Natürlich haben alle gejubelt, als Modeste das 1:0 für den 1.FC Köln erzielte: nur ich nicht. Und alle haben sich geärgert, als Wendell kurz vor der Halbzeitpause den Ausgleich schoss: nur ich nicht. Das habe ich mir aber nicht anmerken lassen.
An diesem Abend habe ich noch mal gemerkt, wie stark ein Wir-Gefühl sein kann. Alle hatten dasselbe Ziel, alle hatten denselben Wunsch, alle sangen dieselben Lieder. Nur einer nicht.
Ohne ein Wir-Gefühl können wir nicht leben. Ich bin sicher, auch der größte Individualist freut sich ab und zu über Gemeinschaftserfahrungen.

Auch in der Kirche ist die Sehnsucht nach Gemeinschaft besonders groß. Ich weiß das von vielen Gesprächen. Nicht umsonst feiern wir jeden Sonntag Kommunion. Manchmal aber gewinne ich den  Eindruck, Gemeinschaft sei der Markenkern von Kirche. Bei jeder zweiten Familienmesse geht es irgendwie um Gemeinschaft und wenn der Prediger bei einer komplizierten Wunderheilung nicht weiterkommt, kann er immer noch sagen, dass es Jesus um Gemeinschaft geht. Die Bischöfe wollen jetzt „Gemeinsam Kirche sein“ und bei uns im Erzbistum Köln werden jetzt „Kleine christliche Gemeinschaften“ gegründet.
Es stimmt, Kirche kann man nicht alleine sein. Die Bibel weiß davon. Jesus verspricht: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" und das Gebet, das er gelehrt hat, heißt „Vater unser“ und nicht „Mein Vater“.
Die Bibel erzählt aber auch davon, dass das „Wir“ manchmal zu groß geschrieben wird und dass das „Ich“ dann verloren geht. So z.B. in der berühmten Geschichte vom Turmbau zu Babel.
Die Erzählung zählt zur biblischen Urgeschichte, in der die großen Fragen des Menschseins beantwortet werden. Warum ist der Mensch so wie er ist?
Es sind meistens Geschichten, die davon erzählen, dass Menschen sündigen und Gott dann Konsequenzen zieht.
Wie z.B. bei der Geschichte von Adam und Eva, die davon erzählt, warum der Mensch schuldhaft handeln kann. Adam und Eva haben vom Baum der Erkenntnis gegessen, deswegen wurden sie aus dem Paradies vertrieben und müssen nun im Schweiße ihres Angesichts arbeiten.
Ähnlich wurde auch lange Zeit die Erzählung vom Turmbau interpretiert: Die Menschen haben gesündigt, sie wollten sich einen großen Namen machen und deswegen hat Gott sie auf der ganzen Erde zerstreut und ihre Sprache verwirrt.
Das Problem an dieser Interpretation ist jedoch, dass sie zweierlei außer Acht lässt. Erstens kommt bei der Turmbaugeschichte weder das Wort Sünde, noch das Wort Schuld vor. Und zweitens: die Sprachverschiedenheit wird in diesem Kapitel gar nicht „erfunden“, denn die gab es schon:„jedes Volk sprach in seiner eigenen Sprache“ (Gen 10,5) heiß es noch kurz vorher.
Die biblischen Autoren müssen eine andere Intention gehabt haben. Und die ist meines Erachtens schon im ersten Satz enthalten.
„Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte.“ (Gen 11.1)
Das klingt doch erst einmal paradiesisch. Alle Menschen sprechen dieselbe Sprache. Ein großer Menschheitstraum. Eigentlich. Vielleicht aber auch nicht. Was wäre denn, wenn alle dieselbe Sprache sprechen, oder wenn es wie es Martin Buber übersetzt, es nur „eine Mundart und einerlei Rede“ gäbe. Was würde verloren gehen, wenn sogar kein eigener Dialekt mehr gesprochen würde und alle immer dasselbe sagen. Wenn die Menschen in Köln genauso sprechen würden wie die Menschen hier in Aachen oder München, und wenn kein mehr hören würde, dass ich ursprünglich nicht aus Köln, sondern aus der Eifel stamme.
Dies ist ja nicht nur eine hypothetische Frage, dahinter steckt auch eine politische Wirklichkeit und eine Erfahrung, die viele Menschen gemacht haben und auch heute noch machen. Am Ende vieler Kriege steht oft der Befehl, dass die Besiegten die Sprache der Sieger zu sprechen haben. Und heute sitzen viele Menschen im Gefängnis, weil sie andere Dinge sagen oder schreiben als die Mächtigen.
Wenn ich die Erzählung so lese, bekommt der göttlich verordnete Baustopp eine neue Sinnspitze. „Jedes Imperium, das Einigkeit auf Uniformität reduziert, hat den Samen der Zerstreuung in sich und das Schicksal Babel vor sich.“ (Ulrich Berges) Was für Babel gilt, gilt für jede Gesellschaft, jede Gruppe, jede Firma, jede Kirche. Einigkeit kann nicht auf Kosten von Vielfalt erzeugt werden.
Deshalb steht Babel für mich für die biblische Botschaft, dass Gemeinschaft nur gelingen kann, wenn Vielfalt möglich ist. Beim Turmbau zu Babel geht es um Sprachenvielfalt. Es geht darum, dass jeder Mensch seinen eigenen Akzent, seine eigene Sprachfärbung, seine Ausdrucksmöglichkeit hat und haben darf.
Was für Sprache gilt, gilt dann auch für andere Formen des Ausdrucks: Ein Miteinander gelingt dann, wenn Menschen unterschiedlich glauben können, wenn sie unterschiedliche Meinungen haben, wenn sie ihre Liebe auf unterschiedliche Weise leben können.

Und wenn ich glaube, dass sich Gott in der Bibel zum Ausdruck bringt, dann will er mit der Erzählung sagen, dass Gemeinschaft nur in Vielfalt zu denken und zu leben ist. Modern gesprochen: Gott will Diversität. Und für jede Gesellschaft und für jede Kirche, die Vielfalt nicht zulässt, soll der Turmbau zu Babel ein mahnendes Beispiel sein.
Das heißt aber auch für mich, ich muss mich nicht zu sehr anpassen, ich muss meine Meinung nicht hinter dem Berg halten, ich muss nicht dieselben Worte wie alle anderen nutzen.
Und vielleicht gehe ich beim nächsten Spiel einfach auch mit meinem Bayer 04 Schal in Gottes Grüne Wiese. Denn ohne die Vielfalt der unterschiedlichen Mannschaften könnte auch kein Fußballspiel ausgetragen werden, sogar in Köln nicht.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen