Donnerstag, 6. April 2017

Das Heilige und die Gier


Screenshot: Peter Otten
Heute musste ich einen kurzen Text zum Thema "Gier" schreiben. Und weil nächste Woche Bob Dylan in Düsseldorf aufspielt (Vorfreude verspüren) dachte ich: Vielleicht das Nützliche (Text schreiben) mit dem Angenehmen (Bob Dylan lauschen) verbinden? Und schaute bei Dylan nach. Und fand seine Trostbotschaft: Im Angesicht der Gier bleibt das Heilige immer das, was es ist.

Von Peter Otten


Heute habe ich mich ein bisschen auf das Bob-Dylan-Konzert vorbereitet, das kommende Woche in Düsseldorf stattfindet. Im Internet verlor ich mich in einer Aufnahme eines Dylan-Konzertes, das er vergangenes Jahr in Tokio gab. Und ich muss sagen, es berührt mich immer wieder, wenn Dylan aus dem dunklen Hinterland ins Bühnenlicht tapst, die Beine leicht auseinanderstellt wie ein Trompeter, der festen Stand sucht fürs Anblasen. Aber Dylan spitzt bekanntermaßen nicht die Lippen, sondern knarrzt und tremolot Silben und Sätze ins Mikrofon, und wenn die Stimme in die Höhe klettert kann es sein, dass sie kurz wie ein Eiskratzer klingt, den man mit bläulich gefrorenen Fingern wintertags über die zugefrorene Windschutzscheibe führt. Das kann man manieriert oder gleich überflüssig finden. Mir egal. Jens-Christian Rabe schrieb denn auch versöhnlich und hellsichtig in seiner "Naja"-Rezension von Dylans neuem Album „Triplicate“ in der Süddeutschen Zeitung, Dylan-Songs ließen sich aber auch durch fast nichts so zielsicher ruinieren wie eine zu gute Stimme. Gibt es ein andächtigeres Kompliment? Eine liebenswertere Verbeugung vor einer kauzigen Besessenheit? (Für viele ist Bob Dylan halt nichts weiter als dies: ein kauziger alter arroganter Mann, wie viele Kommentare zu seiner für viele unverständlichen Umgang mit dem Literatur-Nobelpreis zeigen). Niemand knarrzt den Dylan so wie der Dylan.

Jedenfalls stieß ich beim Stöbern auf das Lied „Blind Willie McTell“. Hier ein Übersetzungsversuch von mir:



Blind Willie McTell 
(von Bob Dylan, eigene Übersetzung)

Sah den Pfeil am Türpfosten

Der sagte: “Dieses Land ist verdammt 
Auf dem ganzen Weg von New Orleans 
Nach Jerusalem“ 
Ich reiste durch Ost-Texas 
Wo viele Märtyrer fielen 
Und ich weiß, niemand singt den Blues 
Wie Blind Willie McTell 

Ich hörte diesen Schrei der Eule, sie sang 
Als sie die Zelte abbrachen 
Die Sterne über den öden Bäumen 
Ich war ihr einziges Publikum 
Diese kohlenfarbenen Zigeunermädchen 
Können ihre Federn schön aufspreizen 
Aber niemand singt den Blues 
Wie Blind Willie McTell 

Seh´ sie große Platanen verbrennen 
Hör das Knacken der Äste 
Rieche die süßen Magnolienblüten 
Seh´ geisterhafte Sklavenschiffe 
Ich kann diese Völker stöhnen hören 
Hör´ die Glocke des Bestatters 
Niemand singt den Blues 
Wie Blind Willie McTell  

Da ist eine Frau am Fluss 
Mit einem jungen hübschen Mann 
Gekleidet wie ein Kavalier 
Geschmuggelter Whiskey in der Hand 
Eine Truppe von Sträflingen auf dem Highway 
Ich kann hören, wie diese Rebellen stöhnen 
Und ich weiß: Niemand singt den Blues 
Wie Blind Willie McTell 

Ok, Gott ist in Seinem Himmel 
Und wir alle wollen, was Seins ist 
Aber Gewalt, Gier und korrupte Saat 
Scheint alles zu sein, was es gibt 
Ich starre aus dem Fenster 
Vom St. James-Hotel 
Und ich weiß: Niemand singt den Blues 
Wie Blind Willie McTell

Dylan schrieb das Lied 1983 als Verbeugung vor dem amerikanischen Blusmusiker William Samuel McTell, der in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts lebte und unter anderem unter dem Pseudonym Blind Willie McTell veröffentlichte. Zweifelsohne ist es als eine Verbeugung vor diesem Mann geschrieben, der tatsächlich blind war und - schenkt man den Angaben des Wikipedia-Textes Glauben -  das Notenlesen mit Hilfe der Braille-Blindenschrift erlernte. In fünf Strophen erzählt Dylan kurze Geschichten: er zeigt auf nicht näher bezeichnete Märtyrer, die in einem Land, was verdammt ist fielen. Er beschreibt die spröde Schönheit einer Gruppe von Zigeunermädchen, die in einem Wald ihre Zelte abbrechen. Er sieht Menschen, die Bäume verbrennen, der Grund bleibt verborgen. Er sieht Geisterschiffe, auf denen Sklaven schreien, nachdem er eine Zeile vorher die Süße von Magnolienblüten beschreibt. Ein Liebespaar am Fluss. Eine Gruppe Sträflinge, die auf einem Highway schuften. Und stets schneidet Dylan diese wie zufällig zusammengestellten Miniaturen mit der Erkenntnis: „Aber niemand singt den Blues wie Blind Willie McTell.“ Der Blues, gesungen von diesem Musiker (und wer im Internet nach seinen Songs sucht, findet eine erstaunlich jugendlich klingende klare, selbstbewusste Stimme) scheint Dylan mal Trost zu sein, mal ein Ausdruck der Relativierung allzu aufbrausender Gefühle. In jedem Fall entzieht er den Blues der allgemeinen Verfügung. Punkt.

Womit ich endlich beim Thema angekommen bin: der Gier. Eigentlich, so philosophiert Dylan am Schluss, möchten die Menschen allesamt, was Gottes ist (Allmacht, Güte, Barmherzigkeit, so buchstabiert mein inneres Auge automatisch). So geht die Sehnsucht. Real aber, so Dylan, ist das Gegenteil: Gewalt, Gier und korrupte Saat. „Und ich weiß: Niemand singt den Blues so wie Blind Willie McTell“. Das ist Dylans hingefledderte Trostbotschaft: Es gibt immer etwas, das sich allgemeiner Verfügung entzieht. Nichts kann es einholen, korrumpieren, vernichten, niemand kann sich ihm einfach bemächtigen. Kopieren. Stehlen. Keine Gewalt, keine Gier, keine korrupte Saat. Man könnte es "das Heilige" nennen. Für Dylan ist es die Musik – hier der glockenhelle Blues eines längst verstorbenen Schwarzen. (Für mich ist es eben der tapsende Nasengesang von Dylan himself.) Deshalb übrigens musste wohl auch Dylan alle bürgerlichen Erwartungen im Hinblick auf die geziemende Annahme des Literaturnobelpreises ignorieren. Im Angesicht des Heiligen enden Gewalt und Gier. Das Heilige bleibt immer das, was es ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen