Foto: Georg Müller |
Von Peter Otten
Zur Pfarrei St. Agnes gehört die Kirche St. Gertrud. In den sechziger Jahren wurde sie parallel zu den Beratungen des Zweiten Vatikanischen Konzils erdacht, geplant und errichtet. Die Architektur von Gottfried Böhm war in dieser Zeit für an Neogotik und Neoromanik gewöhnte katholische Augen eine Herausforderung. Der Bau ist voller Ambivalenzen: Die schwergewichtigen Betonflächen erheben sich zu einem luftigen zeltartigen Hallendach. Die gewohnte schnelle Orientierung durch Sichtachsen fällt schwer - das Zurückgeworfenwerden auf sich selbst ist lohnend. Das Betreten der Kirche ist mitunter ein Gang in die Dunkelheit, doch schon innerhalb von Minuten oder Sekunden kann das Sonnenlicht für einen Moment auf den Fußbodenziegeln tanzen, wenn die Wolken sich auseinanderziehen.
In St. Getrud verwirklichte sich bei ihrer Entstehung eine alte Idee, die Papst Franziskus am Anfang seines Pontifikates mit dem Bild neu formulierte, an die Ränder zu gehen. Denn zur anspruchsvollen Architekturgebung kommt noch die Platzierung der Kirche mitten in eine Häuserzeile in der Krefelder Str. St. Gertrud hat als eigenständige Pfarrei keine dreißig Jahre existiert, dann wurde sie wieder mit St. Agnes zusammengeschlossen. Seit sieben Jahren etwa gibt es einen kleinen Kreis von Menschen, die unter dem Label "st. gertrud: kirche + kultur" ein Kulturprogramm etablieren, das von der Architektur und der Idee dieses Raumes an diesem Ort inspiriert ist. Zum Portfolio gehören vor allem Ausstellungen und Konzerte - darunter klassische Konzerte, aber auch experimentelle elektronische Musik - Theater, Impulsgottesdienste und seit diesem Jahr auch zwei Versuche eines Politischen Nachtgebetes.
In diesen Tagen haben wir die Jahresstatistik ausgewertet. Zu 33 Veranstaltungen kamen knapp 8000 Menschen. Am besten besucht war die eindrucksvolle Ausstellung "Ankommen und ablegen" von Rebecca Raue im Frühjahr mit etwa 4000 Besuchern. Zum Politischen Nachtgebet am Karfreitag kamen um 21 Uhr etwa 120 Menschen. Ein paar hundert zur Musik-/Videoinstallation "Apodiktische Gewissheiten" und zu einer beachtlichen Kooperation mit der Internationalen Photoszene. Und zu drei adventlichen Chorkonzerten kamen 600 Zuhörerinnen und Zuhörer in die Kirche. Keine schlechte Bilanz eines Projektes, was derzeit im Wesentlichen von vier Menschen verantwortet wird.
Zu den eindrucksvollsten Aufgaben gehören die Gespräche mit Künstlerinnen und Künstlern, die in der Kirche arbeiten wollen. Ausnahmslos waren es im ablaufenden Jahr tiefgehende, mitunter auch sehr existenzielle Gespräche. Spannend wird es immer dann, wenn das Raumerlebnis bei den Kreativen widerhallt. Sie spüren, dass wir kein Kulturbetrieb wie jeder andere sind. Sie entdecken und schätzen die ungewöhnlichen Möglichkeiten der Architektur und der Sakralität des Raumes. Es ist ein Geben und Nehmen auf Augenhöhe. Auch die Menschen der Initiative profitieren von der Inspiration der Menschen, die zu ihnen kommen. Denn sind wir mal ehrlich: Entscheidende intellektuelle Impulse gehen ja nicht mehr vorrangig von der Kirche aus. Sie passieren draußen in der Welt, in der Literatur, in der Kunst, in sozialen Bewegungen. Mit einem Teil davon in Kontakt zu sein, das bedeutet einen großen Reiz für die persönliche Entwicklung, aber auch für die einer Gruppe.
Was wäre in St. Gertrud nun zu tun? Zweifellos wäre es eine sinnvolle Idee, dort zu investieren. Vor allem in finanzielle und personelle Resourcen. Meiner Beobachtung nach destillieren sich aus den Erfahrungen dort nach sieben Jahren Teile eines neuen/andere Berufsbildes heraus: Hier werden Menschen gebraucht, die Lust haben, kulturtheologisch oder / und kulturpastoral in einer Schnittstelle zwischen Kunst und Sakralität zu arbeiten, und zwar - und das ist das Herausfordernde und Interessante daran - als Agenten zwischen der Sinnsucher-Welt intellektuell-kreative Labore und dem, was die katholische Religion als Schatz bereithält. Das aber, was ich hier in wenigen Strichen nur skizziere, würde Fachkenntnisse und wissenschaftliche Durchdringung - kurz: eine systematische Erschließung eines neuen Berufsfeldes bedeuten.
Betrachtet man die Situation an Fachhochschulen und Universitäten, so kann man feststellen, dass dort ständig neue Berufsbilder und Studiengänge entwickelt werden. Offensichtlich eine Reaktion darauf, dass sich die (Arbeits-)Welten verändern. Allein in der Kirche meinen wir, wie ich sehe, mit den Berufsbildern des Priesters, des Diakons sowie des/der Pastoral- und GemeindereferentIn auszukommen. Zwar bestünden innerhalb der Qualifizierung und Beschreibung dieser Berufsbilder bereits unglaubliche Chancen, entschlösse man sich zu einer differenzierten Betrachtung: ein Priester in Köln-Höhenberg/Vingst arbeitet unter völlig anderen Voraussetzungen als einer in Quadrath-Ichendorf. Klar ist jedenfalls: für viele pastorale Bereiche braucht es nach wie vor und zukünftig in einer Weise, wie sie sich erst jetzt abzuzeichnen beginnt Professionalität. Und damit auch den Mut, in Hauptberuflichkeit, in Fachewissen zu investieren, in neue, in differenzierte Berufsbilder. Es braucht ein Bekenntnis: Pastoral braucht solide Fachlichkeit. Das konsequent ausbuchstabiert würde meiner Ansicht nach übrigens die Attraktivität einer Tätigkeit im pastoralen Feld enorm steigern. Leider fehlt es an diesem Bekenntnis, wenn sich beispielsweise im Erzbistum Köln Signale verstärken, dass Projektstellen in Gemeinden und vor allem auch in (Jugend)-Verbänden zukünftig wegfallen. Das Ehrenamt soll "es" richten. Das aber ist zu wenig. Aufbruch in eine Kirche der Zukunft meint eben auch: Aufbruch in neue Berufsfelder, Aufbruch in neue Fachlichkeit. Und übrigens auch Entscheidung für unternehmerisches Risiko.
Mir geht es nicht darum, Ehrenamtlichkeit gegen Hauptamtlichkeit auszuspielen, im Gegenteil. Doch Freiwilligkeit hat eben auch Grenzen, nicht nur in Blick auf zeitliche und fachliche Resourcen. Übrigens sind Ehrenamtliche inzwischen eine begehrte "Ware". Und auch die Kirche muss das wissen, wenn sie sich auf diesen inzwischen umkämpften Markt begibt. Ist sie aber darauf vorbereitet? Allein ein Blick auf die beeindruckende Organisation der Telefonseelsorge reicht doch, um das, was mir gestern noch ein befreundeter ehemaliger Priester sagte zu stützen: "Je mehr Ehrenamtlichkeit, desto mehr Hauptamtlichkeit." Je differenzierter, desto professioneller, fachlicher. Manchmal hat man den Eindruck, es sei in Kirchenkreisen inzwischen peinlich, von pastoraler Arbeit als von dem zu sprechen, was es in erster Linie auch ist: Arbeit. Aber das ist es nun mal. Ist das denn schlimm? Bei dem in dieser Zeit in Kirchenkreisen viel strapazierten Gleichnis vom Sämann gibt es schließlich auch einen, der den Sack mit dem Samen auf die Schulter packt und losgeht.
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