Kardinal Müller sreenshot Norbert Bauer |
Von Norbert Bauer
A. nervte. Er war der Schüler in unserer Klasse, der die Lehrer immer an ihre Pflichten erinnerte. Wollte ein Lehrer mal fünf Minuten früher den Unterricht beschließen, wies A. auf die Aufsichtspflicht hin. Hofften alle anderen, dass die Lehrerin die Überprüfung der Hausaufgaben vergessen könnte, wedelte A. mit seinem akribisch ausgefüllten Arbeitsblatt. A. hatte nicht viele Freunde, er wurde auch nie zum Klassensprecher gewählt, noch nicht einmal zum Wart der Klassenkasse. Neben ihm sitzen wollte auch niemand, außer bei Klassenarbeiten, denn wir konnten uns sicher sein, dass wir bei ihm immer die korrekten Lösungen abschreiben konnten. Was aus A. geworden ist weiß ich nicht. Wenn er katholisch gewesen wäre, hätte er sicherlich gute Chancen gehabt, Präfekt der Glaubenskongregation zu werden, denn sehe und höre ich Gerhard Ludwig Müller, dann denke ich an A. Seine Klassenkameraden verdrehten gewiss auch die Augen, wenn Gerhard Ludwig sich kurz vor der Pause noch einmal meldete. Wahrscheinlich wurde er nie zum Klassensprecher gewählt, aber als er groß war, wurde er zum Präfekt der Glaubenskongregation ernannt. Vielleicht hätten ihn sogar die Kardinalskollegen dazu gewählt, nur damit sie den Job nicht machen müssen. Denn die Rolle des „Bad Cop“ spielt Kardinal Müller hervorragend und bietet nicht nur dem Papst genügend Raum, den „Good Guy“zu spielen. Wie jetzt am Wochenende. Kardinal Müller besuchte seine Heimatstadt Mainz, und die dortige Allgemeine Zeitung freute sich, mit ihm ein Gespräch führen zu können. Und Müller sagte das, was er immer sagt, z.B. zum Thema „wiederverheiratete Geschiedene“: nein, sie können nicht zur Kommunion zugelassen werden; ja, sie gehören weiterhin zur Katholischen Kirche. Er meint wohl, dies als oberster Glaubenshüter immer wieder betonen zu müssen, vielleicht gerade auch deshalb, weil Kardinal Kasper und Kardinal Marx es etwas softer formulieren und dafür vom Papst auch noch gelobt werden. Was Kardinal Müller da treibt, mag Bestandteil eines innerkirchlichen Rollenspiels sein, aber wenn er betont, dass die Katholiken, die nicht zur Kommunion zugelassen werden, nicht Katholiken 2. Klasse sind, ist das so ähnlich, als würde ein Bayer Leverkusen-Fan einen FC-Fan besänftigen: ihr müsst nicht aufsteigen, auch die 2. Liga ist Bundesliga.
Natürlich äußert er sich auch zu seinem Mitbruder Bischof Tebartz-van Elst. Und das ist dann wirklich nicht mehr lustig, dokumentieren seine Worte mal wieder, welche Vorstellungen ein katholischer Kardinal von Meinungsfreiheit hat: „Wenn ich sehe, dass das hineinreicht bis in Darstellungen in Rosenmontagsumzügen – das ist Missbrauch der Fastnacht“ – so kommentiert er die Tatsache, dass Tebartz-van Elst in Düsseldorf und Mainz als Prunkbischof mitrollte. Demnächst müssen die Festkomitees im Bundeskanzleramt, im Bischöflichen Haus und beim FC Bayern nachfragen, ob es genehm sei, über Angela Merkel, Bischof Tebartz und Uli Hoeneß im Karneval Witze zu machen. Schon mal darüber nachgedacht, Herr Kardinal, dass es im Karneval genau darum geht: sich über die Mächtigen lustig zu machen? Und da ein Kardinal gerne auch aus der Tradition heraus denkt, muss ein historischer Vergleich her, ohne den ein deutscher Kardinal wohl nicht auszukommen scheint. „Das haben wir leider schon mal in anderen Epochen gehabt, dass Bevölkerungsgruppen im Kabarett menschenunwürdig behandelt wurden.“ Bitte mal in die Geschichtsbücher schauen, Herr Kardinal Müller: Die Kabarettisten waren nicht die Handlanger der Mächtigen, sondern die Opfer. Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten verlöschten auf den politisch ambitionierten Kabarettbühnen die Lichter. Bei den wenigen Kabarettisten, die noch weiter machen durften, protokollierten die Gestapo ähnlich wie bei systemkritischen Priestern jedes kritische Wort, und so manche kabarettistische Karriere endete im KZ.
Der mächtige Kardinal schlüpft aber gerne in die Opferrolle, und so wundert es auch nicht, dass für ihn die journalistische Aufarbeitung des Limburger Bauherrenmodells nichts weiteres als eine Rufmordkampagne ist. Klar, die böse Presse drischt wieder auf die Kirche ein, so wie sie es auch schon beim Missbrauchskandal getan hat. „Missbrauchte Pressefreiheit lässt sich nicht mehr unterscheiden von einer Diffamierungs-Lizenz, mit der man scheinbar legal all diejenigen Personen und Glaubensgemeinschaften ihrer Ehre und Würde beraubt, die sich dem totalitären Herrschaftsanspruch des Neo-Atheismus und der Diktatur des Relativismus nicht fügen“ schrieb Erzbischof Müller 2010. Eins übersieht der Medienwächter jedoch bei seiner kulturpessimistischen Wehleidigkeit: Die aufmerksamen Journalisten der FAZ, der SZ oder des Kölner Stadtanzeigers sind keine Atheisten. Genauso wie die kritischen Parlamentsreporter in Berlin überzeugte Demokraten sind, sind die für kirchliche Angelegenheiten zuständigen Korrespondenten überzeugte Katholiken. Auch die Betreiber dieses Blogs. Diese Beobachtung müsste Kardinal Müller zu Denken geben.
"Der totalitäre Herrschaftanspruch des Neo-Atheismus". "Die Diktatur des Relativismus". Das muss man sich ja mal auf der Zunge zergehen lassen.
AntwortenLöschenHier zur Erinnerung die Definition lt. bpb:
Totalitarismus
[lat.] T. bezeichnet eine politische Herrschaft, die die uneingeschränkte Verfügung über die Beherrschten und ihre völlige Unterwerfung unter ein (diktatorisch vorgegebenes) politisches Ziel verlangt.
Ich sehe nicht wirklich, dass die Totalitäre Einheitspartei die Religions-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit aus der Verfassung getilgt hat, die Jugend zweimal wöchentlich zu Neoatheistischen Volksbildungsstunden traben muss, und die Neoatheistischen Umerziehungslager voll sind voll helden- und märtyrerhhaften aufrechten Katholiken, die sich widerständig betätigt haben.
Mal abgesehen davon, dass jede Religion einen Anspruch darauf stellt, dass sich der Gläubige bis in privateste Bereiche (Geburtenkontrolle, anyone? Beichtpflicht?) ihren Normen unterwirft - und die katholische Kirche im Laufe ihrer Geschichte stark daran gearbeitet hat, diese Normen auch über politischen Einfluss durchzusetzen. It's a case of the pot calling the kettle black...