Mittwoch, 9. April 2014

Touch them, God!

Foto: Peter Otten
Die katholische Kirche spricht wieder über Liebe, Sex und Zärtlichkeit. Doch ihr Sprechen bleibt verdruckst, verkopft und voller Tabus. Dabei sagt die Bibel doch dauernd: "Touch me, God!" Was wäre eigentlich schlimm daran, nähme man das ernst?

Von Peter Otten

Es gibt Menschen wie Milka Reich, die sich Berührerinnen nennen. Sie berühren Menschen, die niemanden haben, der sie anfasst oder streichelt. Milka Reich tut dies gegen Geld. Sie lebt davon. 150 Euro kosten bei ihr zum Beispiel zwei Stunden. So war vor einigen Tagen in der Süddeutschen Zeitung zu lesen. „Ich hatte am Anfang sofort das Gefühl, ich habe eine Nische besetzt“, hat sie dort gesagt, „Wellness wollen meine Kunden nicht und eine Prostituierte wollen sie auch nicht.“
 

Nach einer Umfrage möchte jeder Dritte in Deutschland mehr berührt werden. Was aber, wenn man niemanden hat, der dies tun könnte? Einen Freund? Eine Freundin? Dann gehen manche Menschen halt zu Berührerinnen wie Milka Reich oder besuchen Kuschelparties. Menschen aus allen Schichten und Ecken tun dies. Einsame, aber auch Menschen, die in Beziehungen leben, die aber auch nicht immer verhindern, dass sich Körperkontakt verflüchtigt. Man sagt: Der Berührungssinn ist der erste Sinn, der sich bei einem Embryo entwickelt. Und der letzte, der vergeht, bevor ein Mensch stirbt. Wird ein Mensch angefasst, rasen Nervenimpulse durch den Körper. Berührungen stabilisieren den Herzschlag. Angeblich geben Restaurantgäste, die von der Bedienung am Arm berührt werden, mehr Trinkgeld. Berührungen wirken wie Antidepressiva. Viele Menschen hungerten körperlich, war zu lesen. Und es gehe dabei nicht immer um Sex. Denn angeblich suchten die Menschen bei zwei Dritteln aller One-Night-Stands schlicht jemanden, der sie - berührt. Und besonders wichtig seien die Berührungen beim Aufwachen.

Da fällt uns etwas ein: „Ich bin gekommen, meine Schwester, liebe Braut, in meinen Garten. Ich habe meine Myrrhe samt meinen Gewürzen gepflückt; ich habe meine Wabe samt meinem Honig gegessen; ich habe meinen Wein samt meiner Milch getrunken. Esst, meine Freunde, und trinkt und werdet trunken von Liebe!“ Das steht nicht in dem Erotikbestseller „Shades Of Grey“. Sondern im Hohenlied der Liebe. Dort geht es um nichts anderes als Berührungen, Liebkosungen, Leidenschaft, Erotik und, ja natürlich: Sex - mit Bildern und in einer Sprache, die Funken schlägt, die anmacht. Die Logik dahinter: Wenn Gott, wie die Bibel sage, Eifersucht entwickeln könne, dann „kann er auch Freude an der Liebe und Lust an der Geliebten empfinden“, schreibt der Theologe Rüdiger Bartelmus „und auch der Mensch kann und darf die Liebe genießen, „solange die Lust währt“. Das heißt doch: Gott streichelt und umgarnt die Menschen. Also tut bloß dasselbe!

Auch die katholische Kirche spricht in letzter Zeit wieder vermehrt über Liebe, Eros - und Sex. Die Uni Osnabrück wollte von den SeelsorgerInnen im Erzbistum Köln sogar neulich im Rahmen einer Untersuchung wissen, ob sie ihr Sexleben okay finden und ob sie in einer stabilen Beziehung leben. Doch meistens klingt das, was das Lehramt sagt immer noch seltsam verdruckst, zum Beispiel so: „Eine entsprechende Gemeinschaft zwischen Mann und Frau“ dozierte Bischof Rudolf Voderholzer neulich bei einer Katechese „existiert in der personalen Begegnung zweier selbständiger Menschen, deren gegenseitige freie Hingabe sich in Zeichen und Gesten der Liebe und der Freundschaft ausdrückt.“ Uff! Warum kann sich nicht einer von denen mal hinstellen und sagen: "Leute, wenn ihr wissen wollt, wie Gott ist - dann flirtet rum!" Wäre das mit dem Blick auf den biblischen Befund so abwegig? Oder nehmen wir den Chefredakteur der KNA Ludwig Ring-Eifel, der gestern in einem Kommentar für katholisch.de eine Szene in einer lateinamerikanischen Taufe beschrieb: "Als jetzt in Argentinien das Kind eines lesbischen Paares getauft werden sollte, stimmte der Bischof zu. Das lesbische "Mütterpaar" (sic!) küsste sich nach der Taufe noch in der Kathedrale vor laufenden Kameras. Das typisch Katholische an der Szene: Da die Kirche nur die Sünde, nicht aber den Sünder verdammt, muss sie wohl auch dies in Demut und Barmherzigkeit (!) aushalten." Abgesehen davon, dass dies wieder ein schönes Beispiel dafür ist, wie Franziskus´ Bild von der Barmherzigkeit langsam aber sicher zu einer nichtssagenden Floskel verkommt: Sollte an diesem Kuss ernsthaft etwas falsch sein? Sündig gar? Kaum zu glauben. Man seufzt, klappt die Bibel zu und denkt: Touch them, God! Berührerinnen (und Berührer) hätten in der katholischen Kirche gut zu tun.

1 Kommentar:

  1. Das scheint mir noch ein weiter Weg zu werden, bis sich Kirchenleute berühren (lassen) und wieder (die Menschen) berühren. Das leere Phrasengedresche ist sicher eines, die eigene Unsicherheit drückt sich vermutlich darin aus. Das berufspathetische Betroffensein und der Nähe-Distanz-Dualismus mag das andere sein.
    Auf dem Weg zum körperlichen Berühren liegt sicher noch manches Leid, manche Leiche, mancher Leib-Feind. Und oft genug weiß ich nicht zu sagen, was mich an kirchlichen Äußerungen noch berühren sollte. Da ist es schon fast etwas Besonderes, wenn ich mich noch aufrege. :-)
    Danke für diese Gedanken, es bewegt sich was, das ist zumindest wahrnehmbar.

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