Freitag, 18. April 2014
Mein Vertrauter ist nur noch Finsternis
Mit Wolfgang Herrndorf Karfreitag verstehen
Eine Predigt von Norbert Bauer
Ich kann gut Karfreitag feiern. Ich bin bewegt und gerührt von der Inszenierung der kargen Kirche, dem leeren Tabernakel, dem tristen Altar. Aber wäre ich das auch, wenn ich den Karfreitag nicht im Laufe meines Lebens immer wieder neu als Akt eines dreitägigen liturgischen Dramas erlebt hätte, bei dem schon 32 Stunden nach dem Tod die Auferstehung und das pralle Leben gefeiert wird? Finde ich vielleicht deswegen die trostlose Ästhetik des Karfreitags faszinierend, weil dahinter das Osterfest um so heller aufstrahlen kann? Kann ich nur deswegen „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ singen, weil ich schon am nächsten Abend wieder „Das Grab ist leer“ singen kann? Wie wäre es für mich, wenn nach dem Karfreitag wieder ein Karfreitag und dann noch ein Karfreitag kommen würde?
„Einer ihrer letzten Sätze, an den ich mich erinnere, geäußert auf einer der letzten Klassenbesprechungen: “Jesus hat die Welt erlöst, das ist bewiesen.” Auf meine Frage “Wie?” erhielt ich nie eine Antwort.“
Dies ist ein Zitat aus „Arbeit und Struktur“ einem der bewegendsten Bücher, das ich in seit langen gelesen habe, verfasst von Wolfgang Herrndorf, der mit seinem Roman „Tschick“ einen Bestseller schrieb. „Arbeit und Struktur“ ist ein Tagebuch, zunächst geschrieben als Blog im Internet. Dort endet das Tagebuch mit der schlichten Nachricht: „Wolfgang Herrndorf hat sich am Montag, den 26. August 2013 gegen 23.15 Uhr am Ufer des Hohenzollernkanals erschossen.“
Wolfgang Herrndorf hat sich selbst mit 48 Jahren das Leben genommen. Er litt an einem unheilbaren Gehirntumor. Vier Monate nach seinem Tod ist sein Blog als gedrucktes Buch erschienen. Auf vierhundert Seiten protokolliert der Autor sein Leben von der Krebsdiagnose bis kurz vor seinem Tod. Etwa dreieinhalb Jahre. Ich habe das Buch beinahe an einem Tag gelesen. Dabei nahm mich der Autor mit hinein in eine mir fremde Welt der Aussichtslosigkeit, und zwar einer doppelten Aussichtslosigkeit. Die erste: Die Ärzte schenken Herrndorf von Anfang an keine Hoffnung. Jede Hoffnung auf Heilung durch neue Medikamente wird durch die nächste computertomographische Aufnahme wieder zerstört. Eine zweite Aussichtslosigkeit durchzieht das Buch: Herrndorf verweigert sich jedem Trost durch eine Hoffnung auf ein Jenseits. Bei der Lektüre des Buches habe ich immer wieder gedacht: Das ist ein Karfreitagsbuch, und zwar eines Karfreitags, der ohne Ostern auskommt. Und gerade deswegen fordert es unsere Theologie, unseren Glauben zweifach heraus.
Zweimal spielen in Herrndorfs Tagebuch Gebete eine Rolle. Einmal formuliert er selbst ein Gebet, kurz nachdem er seine Krebsdiagnose erfahren hat: „Gib mir ein Jahr, Herrgott, an den ich nicht glaube, und ich werde fertig mit allem. (geweint)“ Er kann nicht an Gott glauben, muss trotzdem zu ihm beten, zu ihm rufen, sogar mit dem ehrfurchtsvollen Titel: Herrgott. Und dabei weint er, vielleicht auch über den Verlust der „religiösen Trostlandschaft“ (Anna Katharina Hahn). Das ist die erste immerwährende Herausforderung: warum stirbt ein Mann in der Mitte seines Lebens? Warum muss ein Mann, 45 Jahre alt, Gott darum bitten, wenigstens noch ein Jahr leben zu können? Herrndorf stellt sich die Frage nicht. Krebs kann passieren, sagt er. So sind menschliche Körper gebaut. Für den, der an Gott glaubt, ist die Frage jedoch nicht egal. Er kann das Leid der Welt nicht gleichgültig hinnehmen, auch nicht mit der österlichen Perspektive, denn „die Auferstehung hebt das Ärgernis des Todes nicht auf“ (Karl Lehmann).
Beim zweiten Gebet greift Herrndorf auf ein altes zurück. Unvermittelt erwähnt Wolfgang Herrndorf, dass er einen Psalm liest, den Psalm 88. Er geht nicht näher darauf ein, aber ich ahne, warum er als bekennender Atheist diesen Psalm nennt: Der Psalm 88 ist ein Dokument, ein Gebet der Hoffnungslosigkeit, ein Klagepsalm wie so viele in der Bibel, aber im Gegensatz zu den anderen wendet sich die Situation des Klagenden in diesem Gebet nicht zum Guten. Ganz im Gegenteil: Beginnt der Beter noch vertrauensvoll mit dem Ruf „O HERR, du Gott meines Heiles“ so bricht im Laufe des Gebetes die pure Verzweiflung durch: „Ich bin wie ein Mann, dem alle Kraft genommen ist.... Auf mir lastet dein Groll und mit all deinen Wogen drückst Du mich nieder.... Du hast mir entfremdet Freund und Gefährten, mein Vertrauter ist nur noch die Finsternis.“ Mein Vertrauter ist nur noch die Finsternis – so endet ein Gebet der Bibel. Die Bibel ist ein Zeugnis des überlieferten Glaubens, aber auch, und das machte den Reichtum der Bibel aus, der erfahrenen Gottesfinsternis, wie in diesem Psalm 88 oder auch im Markusevangelium, nach dem Jesus am Kreuz geschrien hat: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen...?
Entsprechend unseren christlichen Deutungskategorien bleibt der Beter im Psalm 88 beim Karfreitag. Für ihn gibt es nicht noch irgendwie einen positiven Schluss. Da sind keine Spuren im Sand. Es wird nicht noch irgendwie Ostern. Vielleicht greift der krebskranke Schriftsteller gerade deswegen auf diesen Psalm zurück, weil der Psalmbeter oder die Psalmbeterin vor 2500 Jahren genauso empfunden hat wie er heute. Der Psalmbeter erkennt kein Heil mehr, genauso wenig wie der Schriftsteller auf seine Frage, wie Jesus denn die Welt geheilt eine Antwort erhalten hat. Gerade deswegen ist diese Frage an Karfreitag so aktuell, denn für viele Menschen ist die Welt eben nicht heil. Ich denke an eine junge Frau, die nach einem monatelangen Aufenthalt in der Psychiatrie wieder nach Hause kann, aber nach einer Woche wieder zurück musste und nun auf unbestimmte Zeit in der geschlossenen Abteilung sein wird. Ostern? Oder ich denke an die Tausenden afrikanischen Flüchtlinge, die ihr Ostern in Europa erhofft haben, aber ihren Karfreitag im Mittelmeer fanden.
Das ist die zweite Herausforderung, eine Herausforderung an unsere Glaubens- und Gebetssprache. Behaupten wir in unseren Kirchen nicht zu oft das Heil, erreichen dabei aber die Menschen nicht, die dieses Heil nicht erfahren? Wir verkürzen unsere reiche biblische Überlieferung, die die Erfahrung der Gottesfinsternis, des Unheils wie z.B. im Psalm 88 zu integrieren versteht und so auch Worte vorhält, für die, die keine Hoffnung haben. Bezeichnenderweise ist Psalm 88 auch im neuen Gotteslob nicht abgedruckt. Dort finden sich nur die Gebete mit einem happy end.
Ich werde heute in dieser Ansprache nicht noch versuchen, irgendwie einen positiven Schluss zu finden, sondern hinweisen auf die Kreuzverehrung. Vor diesem ergreifenden Ritual beten wir heute den Psalm 88. Dann verbeugen wir uns vor dem toten Jesus und richten unseren Blick auf sein Leiden. Ich lade Sie ein, diesen Blick auf das Leid heute auszuhalten und nicht am Kreuz vorbei schon auf das leere Grab zu schauen. Halten wir den Blick aus mit den Menschen, die ihren persönlichen Karfreitag schon lange aushalten müssen und für die noch lange kein Ostern ist.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Vielen Dank für diesen Beitrag, der mir sehr geholfen hat bei einer Vorbereitung für Karsamstag
AntwortenLöschenhttp://bibliologberlin.wordpress.com/2014/04/20/zwischen-karsamstag-und-ostern/