Sonntag, 19. Januar 2014

Der König der Löwen

Foto: Sascha Erbach / pixelio.de
Manche Leute denken, wir hätten nicht viel Freude an den Dingen, die so passieren. Heute bekennen wir: das Gegenteil ist der Fall.

Von Peter Otten

Manche Leute schreiben uns. Oder rufen an. Oder treffen uns auf der Straße. Und dann sagen sie nach ein bisschen Austausch von Höflichkeit: "Hey, ihr seid immer so kritisch! Sehts doch mal positiver! Den Glauben! Die Kirche! Das Leben!" Stichwort Glaubensfreude und so weiter, versteht ihr? Und dann sagen sie, dass wir doch jetzt einen neuen Papst hätten, dass der Franz heißen würde - darüber müssten wir uns doch besonders freuen - und dass der Gebrauchtwagen führe und dass bald alle Menschen die Sakramente bekommen würden - und nun käme es drauf an, auf welcher Seite man stünde, auch wir. Und deshalb wollen wir an dieser Stelle offen bekennen. Wir sind keine Miesepeter! Und eine Freude haben wir, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen!

So lange es noch Menschen gibt, die solche Geschichten erzählen oder solche Fotos zusammenstellen, da haben wir viel Spaß. Aber noch an vielem anderen: zum Beispiel an Espressokannen, die man einfach auf den Herd stellt. An Laufschuhen mit Fußunterstützung. An einer Dorade, die gerade aus dem Backofen kommt, ihr versteht.Vor allem aber haben wir Freude an genialen Momenten oder Geistesblitzen. Zum Beispiel würden wir den, der zum ersten Mal Rollen unter einen Koffer geschraubt hat unbedingt für einen Nobelpreis vorschlagen. Und wenn wir uns auch weniger Musik-CDs als früher kaufen: das jeweils neue Werk von Van Morrison oder Morrissey kaufen wir uns trotzdem, weil - ach, kauft sie doch selber und werdet glücklich wie wir.

Letzte Woche erst waren wir echt überwältigt, als wir eine Einladaung aus unserem Briefkasten fischten. Jemand, den wir kennen feiert bald ein großes Jubiläum. Atemlos lasen wir in dem Schreiben Sätze wie diesen: "In seinem bewegten Leben suchte er nicht die Herausforderungen, die Herausforderungen suchten ihn." Wir nickten. Und wie wir nickten! Wir schlossen für einen Moment die Augen und das Bild eines schweigsamen Sherrifs stieg in unseren Gedanken auf: der Sherrif, der in eine Stadt hineinreitet und der mit den zu schmalen Schlitzen zusammen gezogenen Augen, denen nur der in all den Jahren verblichene Hut ein wenig Schutz vor der sengenden Sonne bietet, sofort die Lage peilt - nämlich wieder mal an einen Ort des Verderbens gerufen worden zu sein, in dem das Böse seine Schatten durch jede verwitterte Salontür hiaus auf die Straße wirft. Und dem nur er aufräumen kann, wieder und wieder und immer wieder, weil dies und nur dies seine Aufgabe ist, weil dies sein Schicksal ist, jahraus, jahrein... Könnt ihr uns folgen?

Und dann sprang uns die Überschrift an, elektrisierte uns, und unser Herz machte einen Hüpfer. Welchem Teufelskerl war es nur gelungen, in lediglich vier Worten die gesamte Grundüberzeugung des Jubilars, an die er gleichsam den Sinn seiner gesamten Existenz gebunden hatte zusammenzufassen? Da war ihm ein großer Wurf gelungen, das war uns sofort klar. Wir malten uns aus, wie er in seiner Studierstube gesessen haben musste, Stunde um Stunde, bis das Schreibtischlicht schon heruntergebrannt war und der gesamte Fußboden schon übersät mit sicher bis zum Anschlag vollgeschriebenem und zerknülltem Papier. Und wie er doch nicht aufgegeben hatte: Wie er es doch weiter probiert haben musste, weil er ahnte: Irgendwo da draußen musste es sein, das Wort, das alles auf den Punkt brachte, 25 Jahre, ach was: 80 Jahre Leben, Dienst, Aufgabe. Und wir fieberten und dachten, ach, wären wir doch dabei gewesen, als er kam, der Punkt der Erleuchtung, auf den er so gehofft, auf den er so hingearbeitet haben musste mit wie wir uns vorstellten fiebriger Konzentration und rot geränderten Augen. Und wie er dann einen Slogan raushaute, der auf demselben Niveau lag wie "Das Schweigen der Lämmer", "Die Macht des Schicksals" oder gar "Der König der Löwen", nämlich



Wir geben an dieser Stelle mal eine Frage weiter: Weiß jemand, wie der wichtigste Werbepreis Deutschlands, ach was: der Welt heißt und wie er verliehen wird? Und vor allem: kennt irgend jemand diesen Teufelskerl? Wir wollen ihn dafür vorschlagen. Und wenn er den Preis tatsächlich kriegt, dann könnt ihr uns glauben: Da hätten wir besonders viel Spaß.

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