Freitag, 15. März 2013

Katholische Doppelbindung

Foto: Tommelomm/pixelio.de
Was passiert gerade mit den Katholiken? Da sagt jemand "Guten Abend!", "Gute Nacht!" und "Schlaft schön!" - und dies wird hymnisch als ein Zeichen für Bescheidenheit und Reformfreude gefeiert. Was passiert im katholischen Kosmos? Was sagt das über die Kirche? In den letzten Tagen wurde die Welt Zeuge eines wundersamen Schauspiels, das wie aus einem Historienfilm der fünfziger Jahre in die Jetztzeit gebeamt war. Da wurde ein archaisches Ritual der Kommunikation - ein rauchender Kamin - zu einer Art Gottesurteil aufgeladen. Da wurde ein Auswahlverfahren als demokratisches Verfahren sui generis gewürdigt - auch im seriösen Journalismus. Da inszenierte der Vatikan durch seine eigene Fernsehstation mit einem immensen medialen Aufwand eine Ikone nach der anderen für die Ewigkeit (die Himmelfahrt des Papstes in einem weißen Hubschrauber! im Kamera-Konvoi über die heilige Stadt! die Uhr schlägt acht! Einzug der alten Männer in die Sixtinische Kapelle! der Schwur auf das goldene Evangelium - wie stehts, nebenbei, eigentlich mit dem Schwurverbot Jesu in Mt 5,34?) - und schafft es zugleich, den Medienhype zu verachten - selbstverständlich den der 5000 akkreditierten Journalisten, nicht den eigenen. Was passiert also mit den Katholiken? Es zeigt vor allem, dass der katholische Double-Bind hervorragend funktioniert.
Denn niemand in der katholischen Welt findet darin etwas Widersprüchliches oder Merkwürdiges (in der nichtkatholischen übrigens schon). Auch nicht bei dem eigentlichen Scoop, der das Phänomen auf die Spitze treibt: Der neue Papst nennt sich Franziskus. Absolute Potestas einer Wahlmonarchie (Papst) und Institutionsverachtung inklusive institutionelle Armut (Franziskus) - auch das, so ist die Botschaft, geht im katholischen Kosmos offensichtlich problemlos zusammen. Papst Franz für die Deutschen. Papst Franzl für die Österreicher. Der König in der U-Bahn. Der Kaiser - okay, aber er trennt ja wohl den Müll. Unfehlbarer Papst - tja, aber er bezahlt seine Rechnungen persönlich. Und seht! Er hat sogar ein Portmonee. Der EKD-Ratsvorsitzende betont die Menschlichkeit des neuen Papstes. Was sagt das umgekehrt über die Kirche/ihre Strukturen eben auch aus?
Und im DLF sagte der Generalsekretär der ZDK Stefan Vesper auf die Frage des Moderators, ob aufgrund der kritischen Haltung des Papstes zur Legalisierung der Ehe von Homosexuellen in seinem Heimatland Argentinien („Teufelsmanöver“), er verstehe  nicht, warum die Frage, wie man zu gleichgeschlechtlichen Paare stehe und welche Rechte ihnen eine Gesellschaft einräumen wolle „plötzlich zum Referenzpunkt wird für die Beurteilung eines Menschen oder eines Politikers oder auch der Kirche. Warum dieses wichtiger sein soll als der Kampf gegen Korruption, der Kampf gegen die Todesstrafe, der Kampf für die Menschenrechte, für die Abschaffung der Folter und vor allem Dingen der Kampf dafür, dass mehr Gerechtigkeit herrscht. Ich meine da müssen wir ein bisschen auch die Proportionen wieder wahrnehmen.“ Müssen sich die Homosexuellen also nun hinten anstellen, weil ein Papst endlich engagiert über die Armen spricht? Seltsam.

"Die Doppelbindungstheorie", so heißt es bei Wikipedia, "beschreibt die lähmende, weil doppelte Bindung eines Menschen an paradoxe Botschaften oder Signale und deren Auswirkungen. Die Signale können den Inhalt der gesprochenen Worte betreffen, oder Tonfall, Gesten und Handlungen sein. (...) Sein Gegenüber steht nun vor der Wahl, welche der Botschaften er stärker gewichten soll, welcher Botschaft er Glauben schenken soll." Katholikinnen und Katholiken, die mit Abstand auf ihre Kirche schauen, sollte dieser Mechanismus geläufig sein. Doch insgesamt scheint es in diesen euphoriegeschwängerten Zeiten dringend an der Zeit, sich ihn allgemein in Erinnerung zu rufen. Der neue Papst heißt Franziskus. Auch er wird ahnen, was das bedeutet.

7 Kommentare:

  1. Sehr schön. Danke für den Zwischenruf. Was mir noch auffällt: ein 76 Jähriger Mann fährt auch mal Bus und Bahn. Und das ist eine Meldung wert. Merkt niemand, dass das viel mehr über die Kirche und ihre Hirten aussagt, als über den neuen Papst. Es ist tatsächlich für eine Organisation, die zumindest von ihren Priestern und Bischöfen erwartet, einmal am Tag zu beten "er stürzt die Mächtigen vom Thron,.... lässt die Reichen leer ausgehen" eine Meldung wert ist, dass ein Kardinal auch mal Bus und Bahn fährt.... Großartig.

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  2. Auch Marcus Bussemer hat sich ein paar Gedanken dazu gemacht: http://bussemer.net/blog/2013/03/der-mit-dem-bus-fahrt/

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  3. Fühle mich auch etwas ertappt und bin dankbar für die kritische Sicht. Vielleicht zeigen die letzten Tage aber auch die große Sehnsucht vieler Katholiken nach positiven Symbolen, Gesten und Botschaften. Ich habe die Hoffnung, dass Franziskus seinem Namen gerecht wird und nicht nur persönlich einfach und bescheiden lebt, sondern dass er auch der Kirche insgesamt, der westlichen Welt nahebringt und in der kirchlichen Hierarchie zur Regel macht. Es ist verwegen, sich als Papst Franziskus zu nennen, es ist auch ein großes Versprechen für eine Neudefinition des Papstamtes. Ich hoffe er kann es einlösen.
    Beste Grüße Ansgar Kaufmann

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  4. Lieber Herr Kaufmann,

    "Hope beyond hope" - eine durchaus wichtige christliche und im Blick auf Ostern gerade wieder ins Blickfeld tretende Tugend. Hoffnung wider alle Hoffnung. Die Bibel ist voller positiver Symbole und Geschichten - zum Beispiel das großartige Magnificat, wo auch alle Kardinäle täglich beten: "Er stürzt die Mächtigen vom Thron und lässt die Reichen leer ausgehen", woran dankenswerter Weise schon Norbert Bauer erinnerte. Das darf doch keine progressive Sensation sein, dass ein Papst Anwalt der Armen ist! Nur dafür gibt´s doch überhaupt so etwas wie Kirche. Wenn das eine Sensation ist - dann sagt das nichts Gutes über die Kirche, auch nicht über unseren bedingungslosen Blick auf Arme und Benachteiligte.

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  5. Stimmt schon, was sagt ein solches Verhalten bzw. die Kommentierung eines solchen Verhaltens über die Kirche aus? Ich freue mich über solche Gesten, die mir zeigen, dass es auch menschlich in der Kirche zugehen kann, Guten Abend, Gute Nacht, Schlaft gut, sage ich zu vielen Menschen, die mir nahe stehen. Manch ein Bischof sollte sich daran eine Scheibe abschneiden und endlich mal Menschlichkeit und Seelsorge im Amt walten lassen und nicht Kirchenrecht vor alles stellen. Ich hoffe, dass es weiter menschelt in der Kirche, denn das ist es, was die Menschen brauchen.

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  6. Großartiger Kommentar: danke für Unbestechlichkeit und Klarsicht. Da könnten sich die ganzen Journalisten von Bild bis zur SZ ein ganz großes Stück abschneiden ...

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  7. Vielen Dank für diesen Kommentar und hier ein Beispiel von den Philippinen, was die angebliche "Option für die Armen" der kath. Kirche zu bedeuten hat:

    Im Jahr 2010 erklärte der Präsident der Philippinen, Benigno Aquino, es sei die Pflicht des Staates, Menschen Hilfe zu bieten, denen die finanziellen Mittel für Verhütung fehlten. Ein Vertreter der katholischen Kirche sagte, die Kirche werde alles tun, auch notfalls zu Straßenprotesten aufrufen, um diese Maßnahme zu verhindern.

    http://www.welt.de/welt_print/politik/article9920785/Aquino-kuendigt-kostenlose-Verhuetungsmittel-fuer-Arme-an.html

    "Die mächtige katholische Kirche führte in dem strenggläubigen Land einen regelrechten Kreuzzug gegen die Maßnahme, die unter anderem subventionierten Zugang zu Verhütungsmitteln, Aufklärungsunterricht in Schulen und eine bessere Versorgung Schwangerer und Mütter aus armen Familien vorsieht."

    http://www.taz.de/!107386/

    Im Dezember 2012 verabschiedete das philippinische Parlament dieses Verhütungsmittelgesetz und ließ sich auch vom erbitterten Kreuzzug der katholischen Bischöfe (die Philippinen sind zu 83 % katholisch) dagegen nicht beirren und auch nicht davon beeindrucken, dass zahlreiche Bischöfe auf der Zuschauertribüne des Parlaments anwesend waren.
    Die katholischen Bischöfe der Philippinen haben jetzt Klage gegen dieses Gesetz beim Verfassungsgericht der Philippinen eingereicht und im März 2013 einen Aufschub erzielt. Das Gesetz kann im Moment nicht implementiert werden. Dies wird von Bischof Arturo Bastes wie folgt bejubelt:

    "For me it's a good sign, a victory" .... He said he believed that Pope Francis, who was officially inaugurated on Tuesday, would be happy to hear of the delay."

    http://edition.cnn.com/2013/03/20/world/asia/philippines-health-law

    Mitglied der katholischen Bischofskonferenz und Prismas der Philippinen ist Luis Antonio Kardinal Tagle

    http://de.wikipedia.org/wiki/Luis_Antonio_Tagle

    der vor kurzem von den deutschen Medien als angeblich ach so entzückender Konklavebambino (Alter 55) und als papabile gehypt wurde.

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