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Theater in der Kirche: Die "Rheinischen Rebellen" spielen ihr
Stück über die Zehn Gebote und machen ein Gotteshaus lebendig.
Ein schwarzes Fünfeck. Darin große Sitzblöcke für die
Zuschauer. Ein Raum im Kirchenraum. Zelt im Kirchenzelt. Die Seitenwände werden
sich im Laufe der zweieinhalb Stunden immer wieder öffnen. Sie geben dann für
die Dauer einer Szene den Blick frei auf für den einen vertrautes, andere
irritierendes Kircheninterieur und rahmen es neu: Altar und Ambo, Orgel und
Beichtstuhl, und immer wieder schroffe kiesige Betonwände, roter Ziegelboden.
Die Zuschauer drinnen, „eine Gemeinschaft auf Zeit“, die Schauspieler
drumherum. Dann geht es los. Und zuerst erzählen die jungen Schauspieler etwas
von sich: „Ich glaube an Gott“, sagt da einer, „aber ich glaube nicht an
irgendwelche Schriften. Der Glaube ist etwas, was einen am Leben erhält, was
aber schnell in Fanatismus umschlagen kann.“ Marie ist evangelisch, „weil es im
Pass drin steht“. Sie glaubt nicht an Gott, sagt sie, erst recht nicht an
Religion. „Das sind zwar alles wunderschöne Geschichten. Aber letztlich Mittel
zum Zweck.“ Herbert hat sich informiert.
Er weiß, dass der Kirchenaustritt 30 Euro kostet. Daher stand er vor der
Entscheidung: „Trete ich aus der Kirche aus oder kaufe ich mir eine neue
Badehose?“ Gelächter. „Sofatexte“ nennt Regisseurin Anna Horn diese Monologe,
die das Stück genauso strukturieren wie die Songs und Choreographien. „Sie sind
hier auf dem Sofa entstanden, wo wir sonntags zusammensaßen und Interviews
geführt haben.“ Um sich dem Thema zu nähern, es einzukreisen, ein Pack-an zu
bekommen.
Die Theatergruppe „Rheinische Rebellen“ wurden im August 2008 am Kölner Schauspiel
gegründet. Seitdem können sich jedes Jahr im August, zu Beginn einer neuen
Spielzeit, Jugendliche zwischen 15 und 23 Jahren bei der Truppe bewerben. In
diesem Jahr sind es 17. Und dann entsteht wieder ein neues Stück. Die Rheinischen
Rebellen verstehen sich als ein eigenes Theater im Theater, bei dem das Prinzip
gilt, dass jeder das in die Truppe einbringt, was er oder sie am besten kann: Schauspiel,
Musik, Tanz, Inszenierung, Ausstattung, Dramaturgie oder Regieassistenz. Dabei
erarbeiten sie sich alles selbst: Sie entwickeln Ideen und Szenen, schreiben,
proben und spielen, nähen und schneidern, singen und tanzen. Klassisches „Work
in Progress“. In ihren eigenen Produktionen geht es um sie selbst, ihre
Wünsche, ihr Quartier, ihre Stadt, ihre Wurzeln. Da liegt das Thema Religion
eigentlich auf der Hand: Denn ihr Thema ist ja auch vor allem Orientierung. Szene für Szene werden die Gebote beleuchtet, eins nach dem anderen untersucht, auseinander
genommen. Flüchtig auf Pappe gekritzelt werden sie dann hochgehalten,
nacheinander. Nichts ist mehr übrig von in Stein gemeißelten Gewissheiten. Eine
Frau singt „One“, einen Song von Aimée Mann in ein Mikrofon: „Die Eins ist die
einsamste Zahl, viel schlimmer als die Zwei. Eins kommt raus, wenn man Zwei
teilt.“ Ist ein Gott wohl einsam? Ist „ein Gott“ überhaupt eine kluge Idee? Währenddessen
werden an einem anderen Fenster Gewehre verteilt. Keine anderen Götter neben
mir! Und doch gibt’s sie zuhauf: Schönheit, Perfektion, Konsum.
Von 1962 bis 1965 wurde die Kirche St. Gertrud von Gottfried Böhm gebaut, mitten in eine Häuserzeile in der Krefelder Straße im Kölner Agnesviertel.
Parallel zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Ein Bau der Gegensätze: Der schwere
dunkle Beton faltet sich in der Höhe zu einer lichten Zeltdecke auf. Modernität
in einer Zeit großer Veränderungen, aber auch enttäuschter Hoffnungen. Nur
sechzehn Jahre bestand St. Gertrud als selbständige Pfarrei, dann wurde sie
wieder mit St. Agnes, inzwischen mit zwei weiteren Pfarreien zusammengelegt.
Heute finden nur noch manchmal Gottesdienste in der Kirche statt. Trotzdem
fordert die Architektur die Gemeinde und das Viertel heraus, nach wie vor. Und
so entstand die Idee von „sankt gertrud: kirche+kultur“. „Darunter verstehen wir ein weit gefasstes
kulturelles Netzwerk“, sagt Kurt Koddenberg, der von Seiten der Gemeinde das
Projekt leitet. „Gemeinsam mit verschiedenen Akteuren und Institutionen soll sich
die Kirche zu einem Ort entwickeln, an dem Menschen existenzielle
Fragestellungen aufgreifen und sich künstlerisch mit ihnen auseinandersetzen.“
Wie geschaffen für das Projekt der Rheinischen Rebellen: „Mich hat
interessiert, was junge Menschen heute glauben. Und ob so etwas wie die zehn
Gebote für sie noch eine Rolle spielen“ sagt Anna Horn, die Regisseurin.
Das tun sie, aber anders. Hier werden keine
Katechismuszeilen deklamiert. Nachrichten werden vorgelesen: In China, beim
Handyzulieferer Foxcom, springen Mitarbeiter vor Erschöpfung aus dem Fenster.
In Bangladesch verbrennen Mitarbeiter in einer Textilfabrik. „Für mein iphone,
für meine Turnschuhe – ist das unterlassene Hilfeleistung?“ Du sollst doch nicht stehlen. Einer zieht
ratternd einen Schlagstock an der Kirchenwand entlang. Im Dunkeln werden
Menschen an Hundeleinen geführt. Szenen, die an Menschenhandel und Folterkeller
erinnern. Im vernebelten Kircheneingang bedrängt jemand eine Frau. Du sollst
nicht töten. Nach bildenden Künstlern und Musikern haben nun also junge
Theaterschauspieler diesen „Resonanzraum St. Gertrud“ entdeckt. An den
Wochenenden traf man sich, um zu diskutieren, zu reden, das Stück zu
erarbeiten. Oft stundenlang, bis in die Nacht hinein. Es sei ein Prozess
gewesen, die Gebote zu durchleuchten, erzählen sie nach dem Spiel. Anstrengend,
aufregend sei es gewesen, vor allem eine Auseinandersetzung mit sich selber.
„Eindrücklich war es“, erzählt Miriam, „wenn man früher kam, und es war noch
still, und da war man selber allein mit diesem Raum. Das hatte was Befreiendes.
Und der Körper wirkt verletzlich“ sagt sie auch, „vor dieser Betonwand. Man
muss aufpassen, es ist immer noch ein heiliger Ort, nicht irgendein Ort. Es ist
ein besonderer Ort von Gemeinschaft. Wo etwas gewachsen ist.“
Nämlich eine wuchtige Collage aus Monologen, Gesprächen,
Gesang und Tanz, voll jungem Sturm und Drang, rau und intensiv, provokant und
ungeschützt, aber auch berührend, anklagend und mitunter voller grimmigem Witz.
Sie endet, als sich zwei Schauspieler auf zwei Sitzblöcken gegenüber stehen.
Zwischen ihnen eine dunkle Untiefe. Assoziationen an den Durchzug durchs Rote
Meer. Glaube bedeutet wohl Vertrauen, auch in ein Gegenüber. Dann reicht man
sich die Hände.
Die nächsten Aufführungen sind am 30. und 31. März um 19:30
in St. Gertrud, Krefelder Str. 45. Das Stück ist auch erschienen in Publik-Forum 6/2013
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