Montag, 10. Januar 2011

Wir sind nicht Opfer

Nun hat auch der Hamburger katholische Weihbischof Joachim Jaschke die geistlichen Autoritäten des Islam aufgefordert, "sich nicht nur von der Gewalt zu distanzieren, sondern auch scharf zu verurteilen, was hier geschieht". Wen auch immer Jaschke - andere auch - mit "geistliche Autoritäten" meint - Distanzierungen und Verurteilungen gab und gibt es längst, in der Vergangenheit nicht immer registriert von der Presse. Jörg Lau wies in der "Zeit" nun aber zu Recht darauf hin, wie problematisch diese reflexhafte Aufforderung ist.
Es sei absurd, von unbescholtenen Muslimen nach jedem Anschlag die Distanzierung von Gewalttaten zu fordern, die sie niemals gebilligt hätten. Leider geschehe das auch jetzt wieder. Ist also der, der sich nicht sofort geflissentlich distanziert oder zu lautstarker Verurteilung schreitet, ein stillschweigenden Dulder? Mit solchen "kenntnisfreien Forderungen" jedenfalls mache man die Wohlwollenden indirekt zu Geiseln jener Dschihadisten, so Lau. Da ist was dran. Isolde Charim jedenfalls weist in der taz daruf hin, dass die Kampflinie nicht etwa zwischen den Religionen verlaufe, sondern zwischen jenen, die eine plurale Gesellschaft und jenen, die eine einheitliche Gesellschaft wollten, letztlich zwischen ethnisch-religiösen "Säuberungen" und Demokratie. Deshalb sei es so wichtig, dass Muslime und Christen - aber auch Atheisten vergisst sie nicht - gemeinsame Sache machten, etwa gemeinsam demonstrierten, "nicht weil sie sich so lieben, sondern weil Demokratie die einzige Chance ist, solchem Wahnsinn Einhalt zu gebieten." Demokratie aber beinhalte, neben Rechtsstaat und Menschenrechten, auch die Forderung, unsere Identitäten - auch und gerade die religiösen - anders bewohnen. Und wie bewohnen? Auf jeden Fall anders als durch Verallgemeinerungen und Abgrenzungen. Das wird noch eine Menge Gehirnschalz benötigen auf Seiten der Religionen.

Ein erster Schritt wäre schon mal, Begriffe sorgfältiger zu verwenden. Einer dieser Begriffe lautet "Christenverfolgung". Verfolgung - gerade für deutsche Ohren ein gewaltiges Wort, seine Verwendung bedarf einiger Sorgfalt. Charim meint dazu: "Wir christlichen Opfer" erlaubt - auch wenn die realen Opfer andere sind - uns erlaubt es, Muslime nunmehr "unschuldig" abzulehnen. Denn damit lehnt nicht mehr ein Mitglied der Mehrheit eine Minderheit ab. Die Ablehnung erfolgt nun aus der Opferposition. Der gängige Muslimhass lässt sich darüber rationalisieren und legitimieren. Dieser hässliche Muslimhass, der mit dem Hautgout des Rassismus versehen war, ist nun gewissermaßen exkulpiert. Er hat eine reale Begründung und eine sachliche Rechtfertigung bekommen, die uns alle betrifft: die Christenverfolgung."

Kopten sind in erster Linie christliche Staatsbürger Ägyptens, als solche werden sie diskriminiert und marginalisiert - auch durch ihren Staat, der auch Gewalt, gar Totschlag gegen sie nicht verhindert, vielleicht sogar duldet. Das zu sehen und zu benennen - auch durch christliche Autoritäten bei uns - nähme schon mal tüchtig ideologischen Druck aus dem Kessel. Übrigens auch bei Christen in Deutschland und Europa. Wenn Attentate wie das in Alexandria dazu führen, dass Christen auch bei uns eine Opferposition einnehmen, dann haben islamische Terroristen eines ihrer Ziele erreicht.

1 Kommentar:

  1. "Die Erfahrung der letzten zwei Jahrhunderte hat die orientalischen Christen aber gelehrt, dass westliche Mächte sie oft missbrauchten, um eigene Interessen zu fördern, und sie in Zeiten der Not wiederum hemmungslos ihren politischen Zielen opfern. Die amerikanische Invasion im Irak hat eben erst vorgeführt, welche destabilisierende und damit für das Überleben der christlichen Minderheit fatale Wirkung ein westlicher Eingriff in der Region haben kann." ist heute in einem klugen Beitrag der nzz zu lesen (http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/heimatlos_zwischen_osten_und_westen_1.9043106.html) Die Äußerungen, die aktuell bei uns im Westen nach dem Attentat in Alexandria zu lesen sind, dienen auch mehr der vermeintlichen Selbstvergewisserung als der Unterstützung der Betroffenen. Im schon erwähnten Beitrag der nzz von Jürg Bischoff erfährt der Leser neben einer differenzierten Betrachtung der komplexen Situation (nicht nur der ) Christen im Orient auch Beispiele eines gelingenden Miteinanders der Religionen: "So hat Libanon das Fest von Mariä Verkündigung zum öffentlichen Feiertag gemacht mit der Begründung, die Mutter Jesu werde sowohl von Christen wie Muslimen verehrt." Aber solche Beispiele sind wohl manchen nicht so willkommen, zerstören sie doch ein Weltbild, in dem die Christen sich jetzt allzu gerne als Opfer sehen.
    Norbert Bauer

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