Dienstag, 8. Dezember 2020

One Of Us

Wie wollt ihr in der Kirche eigentlich Weihnachten feiern und ein Kind in die Krippe legen, wenn auf der anderen Seite klar ist: Angesichts eures Umgangs mit den Verbrechen sexualisierter Gewalt könnt und wollt ihr das Kind gar nicht schützen? Glauben wir eigentlich wirklich: Gott ist einer von uns? Gedanken zu "One Of Us" von Joan Osborne.

Von Peter Otten

"Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand." "Gott liebt dich." "Jesus ist bei dir." Ich finde: Inzwischen klingen Sätze wie diese zynisch. Und doch sind es Dauerbrenner im Verkündigungssprech. Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand? Sag das mal einem Betroffenen von sexualisierter Gewalt, nach Jahrzehnten voller Vertuschung und falscher Versprechen von Kirchenleitungen. Gott liebt dich. Sag das mal einer vergewaltigten Nonne (und machen wir uns nichts vor: das wurde ihnen gesagt). Jesus ist bei dir. Was wohl eine Frau dazu sagt, der Männer in der Kirche sagen: Deine Berufung ist nur deine Einbildung.

Gott ist groß. Jajaja.


Der süße Gott der Nähe und der Liebe, der prächtige Gott der Herrlichkeit - immer noch geht das allzu leicht und bedenkenlos über die Lippen. Ohne darüber nachzudenken, ob das alles überhaupt noch trägt. Oder ob diese Erzählungen nicht doch eher Elemente eines Kartenhauses sind, ein Gebäude kurz vor dem Zusammenfall.

Gerade ist eine Zeit der Fragen. Und ein Freund erinnerte mich letzte Woche an dieses Stück Popmusik von Joan Osborne. Ein Stück, das fast nur aus Fragen besteht und von daher perfekt in eine Zeit voller Infragestellungen, Krisen und Umbrüche, kurz: in eine Zeitenwende passt. Und die Frage aller Fragen in diesem Stück ist in den Refrain gepackt: Was wäre, wenn Gott nicht der Gott der Floskeln und Kalendersprüche, der unbedachten Formeln und Beschwörungen wäre? Nicht der Gott des Establishments, der amtlichen Verkünder, der Institutionen? Nicht der Gott von Blattgold, Seide und Talaren, der allenfalls noch einen Draht zum Papst hat? Nicht der Gott der Gutachten und Spitzfindigkeiten, der Ämter und Dome. Sondern:

"Was, wenn Gott einer von uns wäre?

Nur ein Kerl, einer von uns?

Nur ein Fremder in einem Bus

der versucht nach Haus zu kommen?"

Ja, was wäre dann? Ich höre die Zeilen, und schon steigen Bilder in meinem Kopf hoch. All die kleinen täglichen Geschichten, Mini-Romane, Kurzgeschichten und kleinen Dramen: die Begegnungen auf der Straße, in der Bahn und in der Zeitung. Die Geschichten, die die Kinder aus der Schule mitbringen. Der todkranke Kater beim Tierarzt und die Familie, die sich um ihn sorgt. Die depressive alte Frau am Telefon. Die allein erziehende Blumenverkäuferin. Der Mann mit der scheppernden Lunge vor dem Geschäft. Der Künstler, der jetzt auf Hartz IV ist. Die Familie, die ihr eigenens Haus vermietet hat und wieder bei den Eltern einziehen muss. Das bleiche Kindergesicht hinter der Maske. Der namenlose Mann mit der Pudelmütze auf dem Neusser Platz. Und auch: das wieder und wieder missbrauchte Kind. Der Mann, die Frau, allein gelassen in ihren Erinnerungen und Traumata. Schnöde verachtet von den Kirche.

"Was, wenn Gott einer von uns wäre?

Nur ein Kerl, einer von uns?

Nur ein Fremder in einem Bus

der versucht nach Haus zu kommen?"

Was wäre dann? Würdest du ihn sehen wollen? Fragt Joan Osborne. Wäre mir überhaupt klar, dass, wenn ich den Kater, die Familie, die sich um ihn sorgt, die depressive Frau am Telefon, die Blumenverkäuferin, den lungenkranken Mann, den Künstler und all die anderen Menschen anblicke: Wäre mir überhaupt klar, dass ich in das Gesicht Gottes blickte? Und was würde dann passieren? Was würde das ändern? Wäre dieser Blick auszuhalten? Und ganz ehrlich: Wäre mir dann nicht eine Welt erträglicher ohne diesen nervigen aufdringlichen Gott? Ist eine Welt, eine Kirche mit einem eingehegten Gott nicht angenehmer?

Vor einiger Zeit hat mich jemand gefragt: Wie wollt ihr in der Kirche eigentlich Weihnachten feiern und ein Kind in die Krippe legen, wenn auf der anderen Seite klar ist: Angesichts eures Umgangs mit den Verbrechen sexualisierter Gewalt könnt und wollt ihr das Kind gar nicht schützen?

Ich finde, diese Frage ist berechtigt. Sie liegt geradezu auf der Hand. Wie kann ich Weihnachten feiern, wenn ich nicht bereit bin, den Fremden im Bus, den Mann mit der scheppernden Lunge, das blasse Kindergesicht, den missbrauchten, traumatisierten und verletzten Menschen wirklich anzuschauen? Hat Gott einen Namen? Trägt er womöglich ihre Namen?

Weihnachten ist das Fest, an dem sich der Fremde im Bus neben mich setzt. Der Mann mit der scheppernden Lunge mir seine Geschichte erzählt. Das blasse Kindergesicht seine Angst loswerden will. Das Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche geachtet werden will. Es ist das Fest, in dem der Andere mir in seiner Herrlichkeit gegenübertritt. Was sonst sollte sonst mit so einem rätselhaften Satz gemeint sein: Gott kommt zur Welt? Und wenn das so ist: Wie wirst du ihn ansprechen? Was wirst du ihm sagen? Wirst du dich vor ihnen niederknien? Im Advent bleibt noch ein bisschen Zeit zum Nachdenken.

4 Kommentare:

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  3. ich bin von meinem Vater und meinem Mann sexuell, physisch und psychisch missbraucht worden. Das weiß ich heute - mit über 60 Jahren. Das wusste ich viel zu viele Jahre nicht. Erst mit über 50 Jahren habe ich verstanden, was mir passiert ist. So lange habe ich an mir gezweifelt, dass mit mir was nicht stimmt, weil ich mit meinem Vater nicht alleine in einem Raum sein konnte, weil ich ihn nicht Vater nennen konnte. So viele Jahre habe ich an mir gezweifelt, weil ich meinen Mann nicht das geben konnte, was er "brauchte". In all diesen vielen Jahren war mir der Glaube an Gott - so wie es im Ps 23 steht -Stock und Stab, Halt und Stütze. Der Glaube war mir Stütze und Halt, weil ich dort spürte: ich darf so sein wie ich bin. Mein Herz wird ruhig, wenn ich bete, wenn ich Gott all die Selbstzweifel erzähle. Und ich bekomme die Kraft, um noch einen weiteren Tag dieses Elend zu ertragen. Das möchte ich niemals missen!
    Für mich grenzt die Diskussion und 1000faltigen Betroffenheitsbekundigungen von (sexualisiertem) Missbrauch in der Kirche an ein Sündenbock-Finden-Verhalten. Wenn es wahr ist, dass in jeder Schulklasse in Deutschland mindestens 4 Kinder/Jugendliche sitzen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, dann ist das nicht nur ein Problem der Kirchen. Dann ist das zuallerst ein Problem der Gesellschaft. Seit ich offen gesprochen habe über das, was mir zugestoßen ist, gelte ich nicht nur in meiner Herkunftsfamilie als "Schwarzes Schaf". Kaum einer mag mir zuhören, mag es mit mir aushalten und ertragen, was ich erleben musste. Lieber wird totgeschwiegen, weggeschaut ... und auch gesagt: "Das kann nicht wahr sein, das bildest du dir ein".
    In meinen Augen hat die gesamte Gesellschaft ein Problem mit dem Hinschauen und Zuhören und adäquat Handeln und Helfen - nicht nur die Kirchen.
    Und weil ich so viel Kraft und Mut im Gebet gefunden habe, versuche ich heute den Menschen in den Gemeinden, in denen ich als Pastoralreferentin arbeite, zuzuhören, genau hinzuschauen und Gott als jemanden glaubwürdig zu vermitteln, der selbst dann da ist, wo sonst niemand mehr da ist. Für mich ist Gott jemand, der mich nicht ausnutzt, sondern der ein Ohr und ein Herz für mich hat. In der Kirche finde ich die Ruhe und Kraft, die ich brauche. Im Gespräch mit anderen Christinnen und Christen erfahre ich immer mehr von der Größe und Weite dieses Gottes. Das möchte ich nicht missen.
    Man kann angesichts der fürchterlichen Taten einiger VertreterInnen von Kirche aus der Kirche aussteigen ....kann ich angesichts der fürchterlichen Taten in meiner und so vieler anderer Familien auch aus der Gesellschaft aussteigen?
    Ich kann nur - weil ich dieses Unrecht sehe und höre - mithelfen, dass jedes einzelne gesühnt wird. Ich kann mithelfen, dass Kindern und Jugendlichen geglaubt wird, was sie erzählen und dass sie Hilfe erfahren und nicht so wie ich über 40 Jahre sich selbst überlassen werden, bis sie begreifen, was man ihnen angetan hat.

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Was Sie schreiben berührt und bestürzt mich sehr. Sie haben recht: Die Gesellschaft hat insgesamt ein Problem mit dem aufmerksamen Hinschauen und Zuhören und mit dem adäquaten Handeln. Und wer wollte bestreiten, dass das Verbrechen sexualisierter Gewalt nicht nur auf die Kirchen beschränkt ist. Und es stimmt ja auch: Die meisten Felder (Sport, Freizeit, Schule, Musik) sind noch gar nicht im Focus oder beginnen erst langsam in den Focus zu rücken. Ich glaube aber, dass es in den Kirchen im Bezug auf sexualisierte Gewalt einen Unterschied in der Betrachtung geben muss. Nämlich der religiös-spirituelle Kontext von Übergriffigkeit, Machtmissbrauch und sexueller Gewalt. Dieser Kontext dient(e) ja zum einen zur Autorisierung dessen, was beispielsweise Kleriker Menschen angetan haben. "Ich darf das, weil Gott es so will." Und dieser Kontext sorgt auch für eine moralische Fallhöhe, die noch mal anders ist als in der Schule oder im Sport. Denn die Kirchen beanspruchen für sich, im Namen Gottes zu sprechen und zu handeln. Katholisch gesprochen ist die Kirche ja Sakrament göttlichen Heilshandelns. In ihr wird die Zuwendung Gottes über menschlich fassbare Grenzen hinaus real fassbar. Deswegen wären die Kirchen meines Erachtens ohne dass man sie beispielsweise staatlicherseits zwingen müsste aus ihrem eigenen Selbstverständnis heraus allein verpflichtet, die Verbrechen aufzuklären, die Betroffenen zu entschädigen und alles dafür zu tun - auch strukturell - dass diese Verbrechen möglichst aufhören. Leider passiert das aber nicht. Die Kirchen reden immer noch um den heißen Brei herum. Flüchten sich in spiritualisiertes Sprechen. Ich habe großen Respekt vor dem, was Sie tun. Menschen eine Stimme geben. Sie stellen sich - so verstehe ich Ihre Worte - mkompromisslos an die Seite dieser Menschen. Ich wünschte, die Machthaber in den Kirchen täten das auch.

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