Donnerstag, 9. April 2020

Murder Most Foul: Ein höchst übler Tod

Screenshot: Peter Otten
Murder Most Foul:
Der Tod ist zu nichts nütze. Karfreitagsgedanken. 

Von Peter Otten

Ende März hat Bob Dylan ein neues Lied veröffentlicht. "Murder Most Foul". Wobei: Es ist weniger ein Lied, eher schon eine Litanei, ein altmodischer Rap-Text, gewickelt in ein filigranes Seidenpapier aus wenigen Akkorden, hingestrichener Fidel und versonnenem scheuen Klavierspiel. Zu Beginn erzählt Bob Dylan von der Szenerie einer modernen Passion, die zugleich zu einen traumatischen Ereignis in der amerikanischen Geschichte geworden ist: der Mord am US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy.

"Es war ein dunkler Tag in Dallas, November '63
Ein Tag, der in Schande weiterleben wird
Präsident Kennedy kam an der Spitze heran
Ein guter Tag zu leben und ein guter Tag zum Sterben
Wurde wie ein Opferlamm zum Schlächter geführt
Er sagte: „Eine Minute, Jungs. Wisst ihr wer ich bin?“
„Natürlich wissen wir, wer du bist!“
Dann haben sie ihm den Kopf weggeblasen, als er noch im Auto war
Abgeknallt wie einen Hund im weiten Tageslicht
War eine Frage des timings, und das timing war richtig
Du musst deine Schulden bezahlen, wir sind gekommen, um sie einzutreiben
Wir werden dich mit Hass töten, ohne Respekt
Wir werden dich verspotten und schockieren und dir dabei ins Gesicht sehen
 

Wir haben schon jemanden hier, der deinen Platz einnimmt
An dem Tag, als sie das Gehirn des Königs wegbliesen
Tausende sahen zu, niemand sah was
Es geschah so schnell, so überraschend schnell

Genau dort vor aller Augen
Größter Zaubertrick aller Zeiten

Perfekt ausgeführt, geschickt gemacht
Wolfsmann, oh Wolfsmann, oh Wolfsmann heule
Trommelwirbel - es ist ein höchst übler Mord."


Aus dieser Passionszenerie heraus entwickelt Dylan eine höchst skeptische, ja trostlose Sicht auf die amerikanische Geschichte. In einem assoziativen Zitate- und Bildersturm erscheinen die Beatles, Scarlett O´Hara, Etta James und viele, viele andere Größen der anglo-amerikanischen Kultur- und Musikgeschichte. Doch Dylans Sicht bleibt ohne Trost:
 

"In den letzten fünfzig Jahren haben sie danach gesucht:
Freiheit, oh Freiheit, Freiheit über mir
Ich hasse es, es Ihnen sagen zu müssen, mein Herr:

Aber nur Tote sind frei."

Am Schluss bleiben nur noch die Lieder des amerikanischen Songbooks. Dylan reiht sie alle auf wie die Perlen von einem Rosenkranz. Doch die Musik bleibt ohne Resonanz. Selbst die amerikanische Nationalhymne zum Schluss. Ohne Echo bleibt das Hamlet-Zitat, mit dem alles begann: "Murder Most Foul - ein höchst übler Mord". Er hat zu nichts geführt, der Tod. Er war zu nichts nutze.

Ein höchst übler Mord bildet den Mittelpunkt des Karfreitags. Ein Mensch wird umgebracht. Begründungen dafür werden eilig gereicht, man kann sie bereits im Johannesevangelium nachlesen. Gotteslästerung. Enttäuschte Hoffnung. Amtsanmaßung. Störung der öffentlichen Ordnung. Theologisch: Der Gottessohn musste sterben, um die Welt mit Gott zu versöhnen. Nur ein toter Mensch ist ein freier Mensch.

Wer schon mal erlebt hat, wie ein Mensch gestorben ist, dem ist das Sterbe-Bild des Johannesevangeliums sehr nah. Dort heißt es: "Und er hauchte seinen Geist aus." Irgendwann nämlich kommt das letzte Ausatmen. Bis dahin haben die Lungen es noch in einem letzten Reflex geschafft, Sauerstoff einzusaugen. Unregelmäßig und stoßweise. Doch irgendwann entweicht die Luft und mit ihr der Geist, also das, was den Menschen mit der Welt verbunden hat. Und dann ist da nichts mehr. Nur noch Stille.
 

Vielleicht kann der Karfreitag eine Kraft entfalten, wenn Menschen sich trauen, auf diese Stille zu warten, sie zu achten, ja ihr Respekt zu zollen. Den Augenblick aushalten, wo das Nichts eine fahle Leerstelle füllt und es nicht leichtfertig wegerklären. Auch nicht mit Ostern. Denn, da hat Dylan Recht: der Tod ist immer höchst übel. Er verbindet die Menschen und die ganze Schöpfung nämlich in dem Sinn, dass er keinen Sinn enthält als die Leere.Und diese Leere mit Sinn aufzuladen wäre zynisch in dem Sinn, auf den Dylan hinweist, als er sagt: Nur der Tote ist frei.

In der Corona-Krise unterliegen auch viele in der Kirche der Verführung, diese Totenstille zu zerplappern. Manche übertreffen sich in Nachforschungen, was ein Gott den Menschen vermeintlich mit dieser Herausforderung zu sagen habe. Andere vergleichen den Virus gar mit der Weise, wie die Propheten des Alten Testamentes zur Welt gesprochen haben. Dylan erzählt in seinem Text etwas anderes. Er gibt in seinem psalmenartigen Singsang Zeugnis von einer biblischen Karfreitagshaltung: Welche Knöpfe auf seiner Jukebox er auch drückt, welches großartige bedeutende Lied er auch vorschlägt - es bleiben Schweigen, Stille und Leere. Keine Resonanz. Sterbende Menschen in Heimen und Krankenhäusern, verzweifelte Ärztinnen und Ärzte und Pflegerinnen und Pfleger machen ja auch keinen Sinn. Und ihr Schicksal ist auch keine herbeibeschworene Chance für irgendetwas, das in der Zukunft liegen soll. Der psychotische Obdachlose auf den Stufen der Agneskirche, er macht keinen Sinn. Niemand, der leidet und stirbt macht Sinn. Außer, dass sie alle in aller Schärfe auf jenen Funken Nihilismus hinweisen, den auch Jesus in seinem Tod durchschritten hat, als er hinabstieg in das Reich des Todes. "Murder Most Foul" - der Tod ist höchst übel. So ist es. Es ist kaum zum Aushalten. Aber wir kommen nicht drumherum.

1 Kommentar:

  1. Es ist wirklich schade, dass ich erst heute auf diesen lesenswerten Beitrag gestoßen bin und nicht schon Karfreitag. Das hätte mir gerade dieses Jahr den tag spirituell angereichert. Und leider, und es ist nicht nur ein dahingesagtes leider, kannte ich den Dylan-Song auch noch nicht, den ich mir dann sofort angehört habe (ein Song, wie er nur von Dylan kommen kann). Er bietet wirklich die passende Folie, unter der der Gedanke des Aushalten-Müssens dessen, was kaum auszuhalten ist, freigelegt werden kann. Peter Otten trifft mit seiner Deutung für mich Sinn und Bedeutung des Karfreitags, weil er gegen die Versuchung spricht, in die Leere und Stille hinein schon alles vorschnell österlich aufzulösen. Und damit in den Tagen von Corona Feingespür für theologische Zeitgenossenschaft beweist. Liturgischer Ausdruck dessen könnte für mich der Verzicht der Kirche auf die Kommunionfeier sein (die in "normalen" Zeiten in Amtsblättern deutscher Diözesen als verpflichtend einzuhalten erninnert wird). Vlt. wäre das in der Tat für viele kaum auszuhalten, aber um das Aushalten-Müssen geht es an Karfreitag doch.

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