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von Norbert Bauer
Bob Dylan hat sich Freitag zu Wort gemeldet. Er, der ansonsten fast jeden Tag mit seinen Konzerten vor seiner Gemeinde steht, hat den Fans einen bisher unveröffentlichten Song geschenkt. Der SZ-Autor Willi Winkler vergleicht „Murder most foul“ mit einem Rosenkranz. Die 17 Minuten Musik konnten bei mir auch dank Dylans Stimme zumindest eine vergleichbare Wirkung erzielen. Der Literaturnobelpreisträger hat auch noch einige wenige Worte an seine Fans gerichtet: „Stay safe, stay observant and may God be with you.“ Der Segen der Kunst.
Ein anderer alter Mann hat am Freitag auch einen Segen gesprochen. Papst Franziskus, der ähnlich wie Dylan Tag für Tag Audienz hält, hat den Segen Urbi & Orbi gespendet - allein auf dem Petersplatz stehend. Der Papst, der sonst gerne die Nähe zu den Menschen sucht, hält Abstand.
Ein einnehmendes Bild, eine beeindruckende Botschaft: ich stehe hier genau so allein wie Ihr, die Ihr seid Wochen alleine in euren Wohnungen sitzen müsst. Ich bin jetzt bei Euch, die Ihr jetzt isoliert in den Krankenhäusern mit dem Tod ringt. So sehen Trostbilder aus, die zugleich ermutigen. Wahrscheinlich wird es nur wenige geben, die sich diesen Bildern entziehen können.
Der Papst hat auch gesprochen, und genauso wie die Bilder haben seine Worte viele Menschen berührt. Ich habe den Text noch einmal nachgelesen. Auch schriftlich können die Worte des Papstes überzeugen, vor allem die Passage, in der er betont, dass sich niemand alleine retten kann und dabei ausdrücklich die hervorhebt, die jetzt besonders viel leisten, von den Ärzten bis hin zu den Reinigungskräften.
Zwischendurch aber wechselt der Papst den Ton. Aus Trost und Ermutigung wird Anklage und Anschuldigung. „In unserer Welt, die du noch mehr liebst als wir, sind wir mit voller Geschwindigkeit weitergerast und hatten dabei das Gefühl, stark zu sein und alles zu vermögen. In unserer Gewinnsucht haben wir uns ganz von den materiellen Dingen in Anspruch nehmen lassen und von der Eile betäuben lassen. Wir haben vor deinen Mahnrufen nicht angehalten....“ Abgesehen davon, dass die Formulierung „von deinen Mahnrufen“ die Möglichkeit suggerieren könnte, bei Corona hätte doch Gott seine Hände im Spiel, frage ich mich, ob jetzt die Zeit der Schuldzurufe ist und ob dies tatsächlich das ist, was Kranken und Sterbenden, Ärztinnen und Pflegern hilft. Katholischen Trost gibt es offenbar nicht ohne Tadel.
Dabei ist dem Papst natürlich zuzustimmen: die Welt ist nicht in Ordnung. Für Kriege, Armut, Vertreibung, und ebenso für die Klimakatastrophe sind Menschen verantwortlich. Aber hat der Zustand der Welt zwingend zur Corona - Krise geführt? Ist Covid-19 und Klimakatastrophe irgendwie dasselbe? Jetzt ist nicht die Zeit für allgemeine Anklagen. Genaue Ursachenforschung ist vielmehr gefragt. Bei der Pest wurde, wie man viel später herausfand, der Erreger von Flöhen auf Menschen übertragen. Wissenschaftler vermuten heute, dass der Corona-Erreger auf einem Wildtiermarkt in China auf einen Menschen übertragen wurde. Eine starke, trotzdem noch vorsichtig formulierte Hypothese. Der Papst geht aber weiter und nutzt die Corona-Krise um der Welt mit ihrem Zeitgeist grundsätzlich ins Gewissen zu reden. Dabei erklingt der gewohnte kirchliche Sound, mit dem permanenten Pessimismus-Bass gegenüber der Gegenwart, der Moderne. Diese alleine kann jedoch nicht verantwortlich für Covid-19 sein. Seuchen gab es schon, bevor ich für 39€ nach Mallorca fliegen konnte.
Vielleicht ist es umgekehrt? Vielleicht können wir gerade dank der Moderne mit ihrer Medizin, mit ihren Wissenschaften, mit ihrem Transportwesen die berechtigte Hoffnung haben, dass weitaus mehr Menschen gerettet und geheilt werden können als bei den Pandemien der Vergangenheit. „Um den Schwierigkeiten zu trotzen“ braucht es mehr, als die „Erinnerung unserer älteren Generation wachzurufen“. Es braucht vor allem auch die wissenschaftliche Kompetenz des Fortschritts. Ich weiß, auch diese Perspektive ist einseitig und vernachlässigt die Schattenseiten moderner Errungenschaften. Aber warum werden die Erfolge des Fortschritts bei katholischen Zeitdiagnosen so gerne verdrängt? Warum gewinne ich bei katholischer Gegenwartsanalyse immer so schnell der Eindruck, als wäre es früher besser gewesen?
Schade, dass Franziskus das großartige Bild und die schönen Worte auf dem Petersplatz mit seiner eindimensionalen Gegenwartsschelte unterlaufen hat. Denn wir brauchen Mut und Trost in diesen Wochen. Wir brauchen Bob Dylan und Papst Franziskus und die vielen Männer und Frauen, denen es mit ihren Lieder und Worten gelingt, das zum Ausdruck bringen, was die Engel im Evangelium so gerne sagen: Fürchtet Euch nicht.
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