Dienstag, 10. Dezember 2019

He will see you through

Screenshot: Peter Otten
Auch das ist ja Glaube: Die Trostlosigkeit, die Monströsität, die Dunkelheit der Welt, deine eigene Dunkelheit - dem zu übergeben, der dich begleitet. Gedanken zu "He Will See You Through" von Rhiannon Giddens.

Von Peter Otten

Ein Freund schickte mir dieses Lied. Er hatte die Künstlerin Rhiannon Giddens kürzlich auf einem Konzert erlebt. Über dieses Stück habe sie gesagt: "Sometimes when times seem bleakest, it's the perfect moment to focus on that which is greater than yourself. - Manchmal, wenn die Zeiten am trostlosesten scheinen ist genau das der perfekte Augenblick sich auf das zu besinnen, was größer ist als du selbst."

Es ist kein Geheimnis: Die Welt ist voll von Trostlosigkeiten. Trostlosigkeit: Ein betörendes, trauriges Wort. Kein Trost, nirgends. Gibt es ein passenderes Wort, um existenzielle Leere, Grenzerfahrung, Sinnlosigkeit, Einsamkeit auf den Punkt zu bringen? Ein Ort ohne Trost, ein Mensch ohne Trost inmitten von Tränen - gibt es etwas Schwärzeres, Traurigeres?
 

Vor ein paar Tagen war in den Nachrichten zu hören, dass psychische Krankheiten inzwischen die dritthäufigste Ursache für Krankschreibungen ist. Ihr Anteil an allen Krankschreibungen hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Dazu gehören Anpassungsstörungen und Depressionen. Erschöpfungssymptome aufgrund von Überforderungserfahrungen. Auch das: Erfahrungen von Trostlosigkeit.

In diesem Moment der Trostlosogkeit singt Rhiannon Giddens ihren musikalisch an einen Gospel erinnernden Gedanken: Besinne dich auf das, was größer ist als du selbst. Ein etwas rätselhafter Rat. Was mag damit gemeint sein?

Das Lied beginnt mit dem Anschlag eines Tons auf dem Klavier. Der Ton gibt gleichsam einen Takt vor. Zu Beginn klingt er fordernd, herausfordernd. Später wird er an Weichheit gewinnen. Vielleicht der Takt des Tages. Der Takt meiner Gedanken und Aufgaben, Forderungen und Herausforderungen. Meiner To-do-Listen, der unbeantworteten und ungelesenen Korrespondenz. Der Takt des Tages, der mich forderd,überwältigt, traurig zurück lässt. Doch in den Takt hinein ein gewagter tröstender Rat:

"Wenn dein Weg voll Sorge ist

Wird er dich begleiten
Wenn du dich allein fühlst auf deiner Reise
Wird er dich begleiten
Amen."
 

Was ist es also, auf das du dich besinnen sollst im Augenblick der tiefsten Trostlosigkeit? Was ist größer als du selbst? Es ist ein anderer als du selbst. Hinter diesem Gedanken steckt die Erfahrung, vielleicht die Einsicht: Wenn ich an eine Grenze komme muss ich / darf ich lernen, diese Grenze zu akzeptieren. Klar: Das ist leichter gesagt als getan. Aber ist das nicht der Sinn von Religion, von Glaube: die Angst vor der eigenen Begrenzung verlieren lernen zu dürfen? Bedeutet Glaube nicht, einem anderen, der größer ist als ich, mein Leben und damit auch meine Begrenzung, meine Ängste, meine Überwältigungen, Mattigkeiten, Sackgassen übergeben zu können?

"Wenn du glaubst, die Welt dreht durch

Wird er dich begleiten
Wenns so aussieht, als sei das Ende da
Wird er dich sicher begleiten
Amen."

Heute haben wir an der Agneskirche ein großes Banner aufgehängt. Es bleibt dort am Turm vier Tage lang zu sehen. Das Banner erinnert an rund 36000 Menschen, die im Mittelmehr ertrunken sind. Ihre Namen sind, soweit sie recherchierbar waren dort aufgeschrieben. Aber auch die Namenlosen sind verzeichnet: 25.10.2015. Zwei Kinder, eine Frau.


Die Welt ist auch ein Ort der Verzweiflung. Kein Trost, nirgends. Wie aber kannst du mit dieser Trostlosigkeit fertig werden? Das Lied sagst: In dem du die Trostlosigkeit dem übergibst, der dich begleitet. Auch das ist ja Glaube: Die Trostlosigkeit, die Monströsität, die Dunkelheit der Welt, deine eigene Dunkelheit - dem zu übergeben, dem anvertrauen, der dich begleitet.

"All dein Silber und Gold

Wird nicht prächtiger strahlen
Als deine Seele
Amen."

Mit diesem warmen zuversichtlichen Bild endet das Lied. Ein anderer, der nämlich, der dich begleitet wird das schaffen, was du mit allem Geld und Gold selbst nicht schaffst: Deine Seele strahlen lassen. Ein anderer wird sich daran machen, die Trostlosigkeit, die Dunkelheit der Welt zu überwinden. Der Heiland. Advent wäre dann der anspruchsvolle aber tröstende Versuch, genau darauf zu vertrauen.

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