Foto: Peter Otten |
Vielleicht geht die Angst. Wegen des Traums, der Erinnerung
an die, die mit dir an dem Tisch sitzen. Gedanken zu „Triduum. Drei Mal Heilig“
von Bruder Stephan OSB und „This Dream Of You“ von Bob Dylan
Von Peter Otten
Es ist Nacht. Draußen ist es schwarz. Die Wolken und dazwischen
das Tintenfaßblau. Du kannst nicht schlafen. Du bist schon ganz schwer eingeschlafen.
Oder war es vielleicht sogar anders: Du
wolltest gar nicht einschlafen? Denn morgen wartet etwas auf dich: Etwas
Schwieriges. Etwas Unangenehmes. Etwas sogar, das dir Angst machen kann. Etwas wartet
auf dich, was du am liebsten überschlagen möchtest wie ein paar Seiten in einem
Buch.
Wie lange kann ich in diesem Café Nirgendwo bleiben / Ehe
die Nacht zum Tag wird / Ich frage mich warum ich solche Angst vor dem
Morgengrauen habe.
Mir scheint, Bon Dylan könnte genau das meinen in seinem
Song „This Dream Of You“. Das Gefühl, das ich selbst jedenfalls gut kenne: In
der Nacht bleiben zu wollen. Sich in der Nacht einrichten. Es ist ja kein
unwirtlicher Ort. Dylan singt immerhin von einem Café. Und vor meinem inneren Auge
erscheint eines von den Cafés aus unzähligen amerikanischen Spielfilmen: Kaputtes
Lichtband über dem Fenster. Vierertische an einem Fenster. Eier mit Speck rund
um die Uhr. Kellnerinnen, die wortlos Filterkaffee nachschenken. All you can
drink. Café Nirgendwo. Ein Ort, wenigstens zum festhalten. Ein Ort, wenigstens
um seine Hände an dem warmen Porzellan zu wärmen. Ein Ort zum in die Nacht starren.
Wenigstens in die Nacht.
Ich frage mich, warum
ich solche Angst vor dem Morgengrauen habe.
Dieses Gefühl bringt Dylan sehr ausdrucksstark ins Bild. Und es
kontrastiert, wie so oft bei ihm, sehr stark mit der tänzelnden, vielleicht nicht
gerade heimeligen, aber lockenden Musik. Dieses Gefühl, in einem namenlosen
Café an einem namenlosen Ort zu sitzen und die Zeit mit Hilfe einer namenlosen
Tasse Kaffee festhalten zu wollen. Die Schattenwelt als eine unangenehme und
gleichzeitig willkommene Welt.
Ich schaue weg, aber
ich sehe es immer noch / Will es nicht glauben, glaub es immer noch / Schatten
tanzen auf der Mauer / Schatten die alles zu wissen scheinen.
Wohin mit meiner Angst? Den Schatten? „Wohin soll ich mich
wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken?“ Noch fühle ich mich sicher in
diesem Café Nirgendwo. Eine Fensterscheibe liegt zwischen den Ängsten und mir. Hält
die alleswissenden Schatten fern.
Bin ich zu blind zum
Sehen? / Gaukelt mein Herz mir was vor? / Zu spät, um jetzt aufzuhören, wenn
auch all meine Freunde weg sind.
Wie komme ich bloß da raus? Wie geht das? Wo alle Freunde
weg sind? Nur ich und das Café und die Fensterscheibe dazwischen? „This Dream Of You“ ist wie eine modern Ölbergszene. Die
Szene, mit der in dieser Woche der Karfreitag beginnt. Jesus mit seinem Freundinnen
und Freunden im Garten. Jesus allein mit seinen Ängsten mitten in der Schwärze
der Nacht. Niemand da. Nicht mal mehr eine Fensterscheibe dazwischen. Keine
wärmende Tasse für die Handflächen. Nicht einmal das.
Nichts.
Das Bild, was ab heute vierzehn Tage lang in St. Gertrud
hängt hat Bruder Stephan aus Maria Laach vor Kurzem geschaffen. Triduum. Drei
Mal heilig. Der Titel ist eher zufällig entstanden und verweist natürlich auf
die drei Tage, die wir in dieser Woche feiern: Gründonnerstag, Karfreitag,
Ostern. Drei Tage voller existenzieller Dynamik. Gemeinschaft. Abschied.
Einsamkeit. Sterben. Das Nichts. Hoffnung. Stephan hat das Bild in der
Auseinandersetzung mit seinem Vater geschaffen. „Triduum. Dialog mit meinem verstorbenen
Vater. Einer meiner Vorbilder. Er hat mein Format weit & groß gemacht.“ Ich entdecke Weite und Größe in dem Bild. Der Querbalken ist
größer als der Längsbalken. Beide verwandeln die Kreuzform. Ausgebreitete Arme.
Wie Flügel. Eines großen Vogels. Ein Drache, den der Wind ergreift. Ich sehe aber auch: Querbalken / Querformat und Längsbalken
/ Längsformat – wie ein Tisch, nein: Wie eine große Tafel. Ich sehe Gewusel an dieser
Tafel, auf dieser Tafel. Vielleicht Lebensspuren von Menschen, die sich dort
manifestieren? Eingeritzt wie auf einem Tisch in der Schule: Ich war hier. Oder:
Paul liebt Gerrit. Oder: Mann, ist der Lehrer doof.
Die Szene von Bob Dylan, die uns in die mutterunselige
Einsamkeit eines verlassenen Tisches im Café Nirgendwo führt wird wie mit einer
Klammer mit einer anderen Szene zusammengehalten, die sich freilich nur erahnen
lässt:
Alles, was ich habe
und weiß / Ist dieser Traum von dir / Der mich weiterleben lässt
Ein Gegenüber. Im Leben. An der Seite. Am Tisch. Jemand, der
das Nirgendwo zu einem Irgendwo macht. Jemand, der aus dem Traum aufsteigt. Aus
der mahlenden Erinnerung bereits gelebten Lebens. Und die Szene am Ölberg, die Szene vollständiger Einsamkeit und
der Verängstigung Jesu im Garten mitten unter abwesenden Freunden wird wie mit
einer Klammer mit einer anderen Szene zusammengehalten. Ebenfalls einer Szene am
Tisch. Gemeinsames Essen. Abendmahl. Teilen von Brot, Wein und anderen
Habseligkeiten. Stilles Geschenk geteilter Zusammenkunft. Gemeinschaft.
Alles, was ich berühre
scheint zu verschwinden / Wohin ich mich auch wende, du bist immer da / Ich
lauf dieses Rennen weiter bis zu meinem irdischen Tod / Ich verteidige diesen
Platz bis zu meinem letzten Atemzug.
Die Melancholie des Lebens besteht ja darin, dass du nicht für
dich behalten kannst, was du liebst. Wenn du das versuchst, verschwindet es ja
gerade. Du weißt das ja. Das ist das Bild im Café Nirgendwo. Du wirst das Café
betreten. Müssen. Den Ölberg. Immer wieder. Aber vielleicht
geht die Angst. Wegen des Traums, der Erinnerung an den einen, die vielen, die
mit dir an dem Tisch sitzen. Wertvolle Erinnerung. Die dich weiterleben lässt.
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