Screenshot: Peter Otten |
Von Peter Otten
Die diesjährige Kirchennummer der Stunksitzung hatte es in sich. Drei Mitarbeiter einer Reinigungsfirma sind damit beschäftigt, die Westfassade der Kölner Kathedrale von Taubenkot zu befreien. Die Dombauhütte macht Druck.Vergeblich. Es ist einfach zu viel, und es wird immer mehr: "Ich verstonn ja nit, wat dat soll. Jeiht doch sowiesu kinner mieh erinn in die volljekackte Kackkirche" sagt einer von ihnen. Normalerweise, so fährt er später fort, müssten vor jeder Kirche Warnhinweise stehen "wie bei einer Zerettepackung". Zwei Steinfiguren an der Fassade unterhalten sich derweil, was man denn geben solle, wenn jemand Oralsex beichte. "Keine Ahnung", sagt einer "ich gebe meinem Messdiener immer eine Packung Hanuta und eine Guthabenkarte von Nitendo." Auf den versöhnlichen Hinweis einer der drei Arbeiter, die Kirche wolle doch nun alles aufklären, sagt ein anderer, die Kirche untersuche sich halt selber, und deswegen nenne man die Kirche schon "die FIFA unter den Religionen." Man mache sich ja mitschuldig, wenn man Kirchensteuerzahle, erklärt der Vorabeiter. "Un mir maache uns uch mitschuldisch, wenn m´r dä Duuvedriss fottmaache, dat ess Vortäuschung falscher Tatsachen. Kutt nöher, ming Duuvefründe, kutt nöher! Un dann fangt ihr anh ze drieße, und dann drießt ihr in einer Tour, un drießt su lange, bess die bedrissene Kirche fott ess." Und die drei machen auch mit. In einem E-Gitarren-Gewitter gestalten sie mit Farbe die Domfassade zu einer Teufelsfratze um.
Am Anfang der Stunksitzungs-Geschichte vor mehr als 20 Jahren gab es die "Tünnes-am-Kreuz"- Nummer. Da war ein zentraler Inhalt des Christentums noch provokativ genug, um sich satirisch-deftig daran abzuarbeiten. Etwa zehn Jahre später eine Nummer mit Papst Benedikt und Kardinal Meisner im Doppelbett. Hier schienen wenigstens Äußerlichkeiten noch skurril genug für milden, in Teilen sogar fast liebevollen Humor. Doch wiederum zehn Jahre später ist die Kirche nicht einmal mehr gut genug für listige Späße. Sie hat abgewirtschaftet. Und selbst der "hillije Dom", auf den sich immer noch alle Kölnerinnen und Kölner - selbst Atheisten und Agnostiker - irgendwie einigen konnten wird gnadenlos zugekackt. Im E-Werk zu sitzen und das zu sehen, das war auch für mich kaum auszuhalten. Wenn selbst der Dom zugekackt wird und das alle, die um mich herum sitzen okay finden, und eine solche Pointe mit einem überwältigenden tosenden Beifall goutieren bedeutet das ja, dass von der "Street-Credibility" nichts mehr übrig ist. Die Kirche ist nicht nur in der Insolvenz. Sie ist auf dem Weg zur Müllkippe.
Bruche m´r nit. Fott domett.
Vor einigen Tagen lief dann der Film "Gottes missbrauchte Dienerinnen" auf Arte. Ein Film, der die Teufelsfratze auf dem angepinselten Dom in der Stunksitzung entgültig von der Narrenleine lässt. Eric Quintin und Marie-Pierre Raimbault erzählen von ehemaligen Nonnen aus Frankreich, wo der Priester Marie-Dominique in der von ihm gegründeten Gemeinschaft „Saint Jean“ jahrzehntelang junge Frauen vergewaltigen konnte, ohne dass die Kirchenoberen einschritten. Nonnen als Sexsklavinnen. Mit dem Wissen von Ordensoberen. Sexuelle Gewalt als Segensgeste heiliger Männer. Christiane Florin schrieb: "Gottes missbrauchte Dienerinnen" ist auch ein Film über die Abgründe an der Kirchenspitze. Er müsste alles ins Wanken bringen: das Machtgefüge, das Frauenbild, die lehramtlichen Aussagen zur Sexualität, die priesterliche Autorität, die Heiligkeit von Päpsten, das Gehorsamsideal der Orden und geistlichen Gemeinschaften." Und doch folgt das systemisch-Erwartbare: "Die französische Bischofskonferenz hat Empörung, Wut und Trauer kundgetan. Laut einer Meldung auf "katholisch.de" stellt die Familie des Gründers der Gemeinschaft vom Heiligen Johannes in einer Gegen-Untersuchung „die psychische Verfasstheit eines der mutmaßlichen Opfer in Frage“. Alles beim Alten also, da wankt nichts."
Was machen wir nur mit diesem Befund? Womöglich gibt es ja die, die darauf gewartet haben, dass die Welt die Kirche auf den Müllhaufen der Geschichte entsorgt. Christinnen und Christen könnten dann eine Art Märtyrerrolle einzunehmen und die Kirche als Gemeinschaft der Herausgerufenen in dem Sinne sein, dass sie aus der widerständigen ignoranten Welt eben herausgerufen sind, quasi: Im nächsten Jahr halt nicht mehr auf die Stunksitzung gehen. Sondern zur Domsitzung.
"Wer schreibt, der bleibt." So zitiert Christiane Florin ihre Oma und liefert mit dieser Feststellung die Begründung, warum sie der Kirche verbunden bleibt: "Ich bleibe erst einmal schreibend, redend, widersprechen, analysierend, konfrontierend." Wer schreibt, der bleibt. Wer schreibend, redend, nachdenkend, analysierend und konfrontierend bleibt, der arbeitet an der Kultur. Ich bin kein Kultuwissenschaftler, aber das habe ich verstanden: Kultur entsteht ja ganz vereinfacht gesprochen, wenn sich eine Gemeinschaft / Gesellschaft über Basisannahmen verständigt, die in Werte und Normen gerinnt und durch Zeichen, Symbole und Rituale greifbar werden. Müsste nicht tatsächlich der Schrecken über die Verbrechen und den hilflosen Umgang der Verantwortlichen mit ihnen nicht tatsächlichzu einem grundsätzlichenNachdenken über die Kultur (in) unserer Kirche führen? Müssen wir nicht ganz grundsätzlich über Haltungen nachdenken? Sie infragestellen, verändern? Und was könnten Elemente einer Haltungsänderung sein? Dazu gäbe es sehr viel zu sagen.
Drei Elemente - Ergebnisse gemeinsamen Nachdenkens - will ich mal nennen. Erstens: Vom (Besser-)Wissen zur Erfahrung. Die von der Kirche sind nicht länger die, die von vorneherein besser wissen als alle anderen, was gut für ein "gelingendes", "sinnvolles" Leben ist ("ohne Gott ist der Mensch nur Staub"), sondern sie sind die, die in größtmöglicher Offenheit Erfahrungsräume öffnen. Zweitens: Vom Satz zum Verstehen, das bedeutet, sich vom Vorgesetzten, Behaupteten zu veranschieden und mit den Menschen zusammen dahinter zu steigen. Und drittens: Weg vom Gehorsam hin zum Vertrauen. Ich traue dir das Gute, das Heil zu.
Was jetzt auf dem Spiel steht: Der notwendige Wandel in der Kirche darf nicht weiter wie in einer Apotheke verstanden werden. Da sind auf der einen Seite die Apotheker, die die riesigen geheimnisvollen Schubladen mit den Heilspräparaten verwalten. Und da sind die PTAs, die den Auftrag bekommen, in den Schubladen wichtige aber womöglich verloren gegangene Pflaster, Säfte und Tinkturen zu suchen und wiederzufinden. So wird es nicht funktionieren. Jedenfalls ist das kein Kulturwandel, wie ich ihn verstehe. Ein kluger Mensch hat neulich etwas sehr Beeindruckendes gesagt. Er konnte das sagen, weil er es mit seiner Biographie bezeugt. Er sagte: "Warum werden von 100 Alkoholikern nur fünf gesund? Weil 95 wollen, dass es ihnen ein bisschen besser geht." Ein bisschen besser ist aber kein Kulturwandel.
Ich merke an mir selber, dass ich sehr müde werde, weil es in der Kirche so schleppend weiter geht. Ist der Stillstand nicht auch fehlendes Gottvertrauen? Was ist mit der großartigen Freiheitserzählung der Israeliten, dem Auszug aus Ägypten und dem Durchzug durch Rote Meer? Kulturwandel, so sagt Matthias Sellmann sinngemäß, verlangt ein Zweifaches, wenn er gelingen soll: Den Willen und Impulse zur Veränderung von oben, die Motivation von unten. An dieser Freiheitsgeschichte des Exodus, die in allen Kirchen am Osterfest wieder zu hören sein wird ist beides enthalten, und ihre Wirkung ist bekannt.
Wer schreibt, der bleibt. Ich bin sehr dankbar über diesen geschenkten Gedanken. Auch ich möchte schreibend bleiben, weil ich an das Heil einer segensreichen Kultur in der Kirche glaube, ja, weil ich sie ja schon selbst so oft in meinem Leben segensreich erfahren habe. Ich möchte schreibend bleiben, aber gerade weiß ich wirklich nicht, wie lange das noch geht.
Man könnte die drei Thesen auch kompakt zusammenfassen mit: toxische Männlichkeit überwinden.
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