Dienstag, 4. Dezember 2018

Zu Asche, zu Staub

Screenshot: Peter Otten
Ich lebe im Dunkeln und tanze durch die Welt, die mir oft Heimat und Fremde zugleich ist. Auch ein Stück über Advent: Warten auf das Wunder, bis zuletzt, weil ich es doch auch nicht besser weiß: „Du bist dem Tod so nah, und doch dein Blick so klar, erkenne mich, ich bin bereit, und such mir die Unsterblichkeit.“

Zu Asche, zu Staub Zu Asche, zu Staub 
dem Licht geraubt
doch noch nicht jetzt
Wunder warten bis zuletzt
Ozean der Zeit
ewiges Gesetz
zu Asche, zu Staub 

zu Asche
doch noch nicht jetzt

 
Zu Asche, zu Staub
dem Licht geraubt
doch noch nicht jetzt
Wunder warten
doch noch nicht jetzt
Wunder warten bis zuletzt

 
Es ist wohl nur ein Traum
das bloße Haschen nach dem Wind
Wer weiß es schon genau?
Die Uhr an deiner Wand
sie ist gefüllt mit Sand
leg deine Hand in mein'
und lass uns ewig sein

 
Du triffst nun deine Wahl
und wirfst uns zwischen Glück und Qual
doch kann ich dir verzeihn
Du bist dem Tod so nah
und doch dein Blick so klar
erkenne mich
ich bin bereit 

und such mir die Unsterblichkeit

(Babylon Berlin. Original Motion Picture Soundtrack. BMG 2017.)

Das, was dem Licht geraubt wird zerfällt zu Staub. Das, was kein Licht bekommt stirbt. Licht und Leben bilden eine Schicksalsgemeinschaft. Das ewige Gesetz des Lebens ist aber die Verwiesenheit auf das Ende. Der Ozean der Zeit: Werden und Vergehen.

Kein Licht - kein Leben.

Wer das Video zu diesem Stück kennt, dem wird sein Thema noch eindringlicher erscheinen. „Zu Asche, zu Staub“ ist Teil des Endes der ersten Folge von „Babylon Berlin“, die vor einigen Wochen mit großer Resonanz in der ARD gelaufen ist, einer aufwändigen Krimiserie, die im Berlin der 20er Jahre spielt.


Wir sehen: Eine U-Bahn spuckt die Passagiere aus. Protestierende Arbeiter mit roten Fahnen springen eine Treppe hinauf. Im Gegenschnitt ein Varieté, das Moka Efti. Chanpagnerpyramiden. Frauen in Cocktailkleidern. Smokings. Die Kamera übernimmt die subjektive Perspektive von Menschen, die das Varieté betreten. Das Variteté: Markthalle und Theater, Fabrik und Bahnhof. Sehnsuchtsort. Der Weg dahin: Umstieg von der einen Welt in eine andere. Auf der Bühne: Gräfin Swetlana Sorokina alias Nikoros (gespielt von der famosen Severija Janušauskaitė), androgyn, mit Schnurrbart und Zylinder. Und immer wieder die Umschnitte aus dem Moka Efti in die düstere Berliner Welt: der drogensüchtige Kommissar auf der Toilette. Der falsche Priester. Ein Tatort mitten im Wald. Proteste, Demonstrationen, aufgebrachte Menschen, Gewalt, eine Frau, die einem Mann in die Augenschaut. Und dann immer wieder die wogende Menge im Varieté, tanzend und zuckend die Bewegungen der Sängerin nachahmend, in einer unterirdischen Höhle. Wogend, schwitzig. Eine Zwischenwelt, nicht mehr ganz im Licht, aber auch noch nicht ganz im Jenseits.

Das Video fokussiert also das Thema noch deutlicher. Was dem Licht entzogen ist stirbt. Und es scheint der Lauf der Zeit zu sein: Alles wird dem Licht entzogen, zu Asche und stirbt. Nicht umsonst erinnert diese Zeile „Zu Asche, zu Staub“ an die Verabschiedungsformel am Grab: „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.“An die Formel am Aschermittwoch: „Gedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst.“ Unangenehmes trauriges Thema, vielleicht die Herausforderung des Lebens: Nimm deine Endlichkeit an. „Die Uhr an deiner Wand, sie ist gefüllt mit Sand“, der verrinnt. „Es ist wohl nur ein Traum“- dass es anders sein könnte.

Aber: „Wer weiß es schon genau?“

Die Serie „Babylon Berlin“ ist natürlich auch eine Serie über die Fragilität der Weimarer Republik und die Ahnung, dass diese Brüchigkeit die anfällige erste Demokratie, die Freiheit, die Sehnsucht nach Autonomie des Menschen hinweggefegt und zu Asche und Staub zerfallen wird.

„Doch noch nicht jetzt. Wunder warten bis zuletzt.“ Hört man im Lied das lange Schlagzeugsolo, sieht man dazu im Video den stampfenden zuckenden Tanz – dann mag dieser Tanz so etwas wie ein Antanzen gegen den Tod, das Sterben, die Vergänglichkeit sein. Ein Protest. Zu Asche zu Staub. Doch noch nicht jetzt. Oder doch eher ein Hineintanzen in das unvermeidliche Sterben? Beides scheint möglich: „Leg deine Hand in mein, und lass uns ewig sein.“ Antanzen gegen den Tod. Hineintanzen in den Tod. Ewiges – Leben. Ewiger Tod. 


„Wer weiß das schon genau?“

Als ich das Lied vor über einem Jahr zum ersten Mal hörte, dachte ich sofort: das ist die Situation des modernen Menschen. Genauer: Es ist auch ein Lied über mich. Ich weiß es auch oft nicht genau. Meistens sogar. Ich bin auch geworfen zwischen Glück und Qual. Zwischen Ohnmacht und Erfüllung. Zwischen Autonomie und Fremdbestimmung. Zwischen Sehnsucht und Apathie, Aufbruch und Resignation. Zukunft und Gegenwart. Licht und Schatten. Zwischen Weltverständnis und Verzweiflung. Gesundheit und Krankheit. Ich erlebe mich selbst auch oft in einem Zustand des Dazwischen. Zwischen zwei Welten. Dazwischen. Mitten in der Ambivalenz. Das ist auch mein Ort: Mitten zwischen tanzenden zuckenden Menschen. Ambivalente Zwischenwelt, zwischen Himmel und Hölle. Zwischen Leben und Tod. Zwischen einer ablaufenden Uhr meines Lebens und der Sehnsucht nach Erlösung davon. Das Glück im Blick und die Qual im Nacken. Es ist ein Lied über die Uneindeutigkeit der Welt, die Segen und Fluch, Hölle und Paradies zugleich ist – und manchmal liegt nur ein Spalt dazwischen, ein Wimpernschlag. Es ist auch ein Lied über meinen Rausch, mein Antanzen gegen die Asche, gegen den Staub, gegen meine Vergänglichkeit. Es ist ein Lied über meine Suche nach dem Sinn, mein Fehlgehen, mein Suchen, das oft schwierig, mühsam und zweifelnd ist. Und nicht immer leicht. Das ist ein Lied von denjenigen, die rechts und links neben mir stehen und tanzen und zappeln. Ein Lied über die, die im Dunkeln leben. Die Dunkelheit des Lebens leben, ertragen.

Gibt es Hoffnung? Das Lied singt von Wundern, die bis zuletzt warten. Aber wann ist zuletzt? Darauf gibt das Video keine andere Antwort als das gemeinsame Tanzen. „Leg deine Hand in mein.“ Das Tanzen, adventlicher Ausdruck dieses Stückes. Das Tanzen ist das Warten auf das Wunder, ohne zu wissen, ob und wann es kommt.

Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf. Wir leben im Dunkeln und tanzen durch die Welt, die uns oft Heimat und Fremde zugleich ist.

Advent: Warten auf das Wunder, bis zuletzt: „Du bist dem Tod so nah, und doch dein Blick so klar, erkenne mich, ich bin bereit, und such mir die Unsterblichkeit.“

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