Samstag, 26. Mai 2018

Azzurro

"Azzurro"-Himmel enden nirgends. Gekürzte und leicht geänderte Ansprache  zur Trauerfeier von P.

Von Peter Otten


Azzurro 

Das ganze Jahr such' ich den Sommer
und jetzt auf einmal ist er schon da.

Sie ist runter ans Meer gefahren
ich bin alleine hier in der Stadt,

über den Dächern hör ich's zischen
ein Flugzeug fliegt wohl gerade weg.

Azzurro, himmelblau,

der Nachmittag ist viel zu blau und zu lang für mich.
Ich merke, ich krieg' hier nichts mehr auf die Reihe,
so ohne dich.

Und beinah, beinah steig' ich dann in den Zug
und komme, komme zu dir,
doch in meinen Gedanken
fährt der Zug der Sehnsucht andersrum.


Um das, was Adriano Celentano hier singt, darum geht es heute. Denn wer von Ihnen würde nicht gerne heute in den Zug steigen und P. hinterherfahren? Aber das genau geht nicht. Es geht nicht einmal „beinahe“, es geht gar nicht. Oder auch: Bei wem von Ihnen fährt der Zug der Sehnsucht nicht andersherum? Konkret: P., komm du doch zurück! Doch auch das geht - nicht.

Wem gehört das Himmelreich? Wer wem gehört der Himmel, von dem das Lied singt, er sei zu sehr „azzurro“, dass es für einen allein zu blau, zu viel ist?

Klar, werden Sie sagen. Er gehört uns. Oder er hat uns gehört. Wir dachten, ein bisschen lebten wir mit P. im Himmel. Er war doch mein Sohn – an ihn durfte ich das Leben weitergeben. Er war doch mein Bruder – und hat mir die Welt gezeigt, als ich klein war. Er war mein Mann – mit dem mein Leben rund und schön war. Er war doch mein Vater. Einen besseren findest du nicht. Er war doch mein Opa. Und hat mit mir uns meinen Autos gespielt. Das ist doch der Himmel. Himmelblauer geht es nicht.

 P. ist jetzt weg. Es fällt schwer, für alles danke zu sagen, denn dann spüren wir ja nur noch mehr die Endgültigkeit des Abschieds. Ich lade Sie dennoch ein, es zu versuchen.
Vielleicht fällt es leichter zu sagen: Danke, dass es dich gibt. Denn es geht ja auch darum: Was bleibt von P. ? Und zwar für alle Zeit? Was bleibt, über das auch der Tod keine Macht hat? Es bleibt, was Sie in Ihnen und anderen von ihm finden. Prägungen. Charaktereigenschaften. Es bleibt, woran Sie sich erinnern, weil es ja auch für Sie eine Rolle spielt. Es bleibt, was bleibt: Ohne Vater keinen Sohn, keine Tochter, keinen Enkel. Es bleibt, wenn Sie sich fragen: Was hätte P. in dieser Situation gesagt, gedacht, geraten? Es bleibt, wenn Sie spüren: in mir ist noch ganz schön viel von ihm da. Wer sich erinnert, der steht auf gegen das Nichts, die große Leere. Über das, was in Ihnen bleibt, über die Erinnerung also hat auch der Tod keine Macht.


Wem gehört das Himmelreich also? Gehört es nun nach P.s Tod nicht mehr Ihnen?  Das Evangelium, das ich gerade gelesen habe gibt klare Hinweise:

Glücklich sind die, die arm sind vor Gott – das sind die, die sich selbst nicht absolut setzen, die nicht immer sagen: ich bin der Wichtigste. Die einen Blick für den Anderen haben. Denen gehört das Himmelreich.

Glücklich sind, weil sie traurig sein können und Tränen vergießen, weil sie ja spüren, dass sie lieben können.
 

Glücklich sind die, die keine Gewalt anwenden. Die nicht immer sagen: ich habe Recht und du nicht.
 

Glücklich sind die, die wollen, dass es gerecht ist, dass nicht immer der gewinnt mit dem größten Portmonné oder der lautesten Stimme.
 

Glücklich sind die, die ein reines Herz haben. Die also ihr Herz sprechen lassen können und es manchmal auch auf der Zunge tragen. Die Gefühle haben und sie zeigen können.
 

Glücklich sind die Barmherzigen, also die, die auch mal Fünfe gerade sein lassen können. 

Glücklich sind die, die den Frieden wollen.

Wenn ich so also ein bisschen so wäre und du auch, wenigstens ein Stück – wäre das nicht himmlisch? Wäre das nicht der Himmel? Wäre das nicht „azzurro“? Sie haben mir viel vom Verstorbenen erzählt, das „azzurro“ war. P. hatte viel von dem, was Jesus im Evangelium aufzählt. Nicht alles, Gott bewahre, aber doch schon ganz schön viel. Deswegen ist das ja so schlimm, dass er nun fehlt. Aber Sie sind da. Und Sie merken doch in Ihrem Leben an vielen Stellen: Das mit dem Himmel, das ist doch kein theoretischer jenseitiger Gedanke. Und das will auch das Evangelium sagen, das ich Ihnen heute mit auf den Weg geben will: „Azzurro“, der Himmel hat doch schon längst begonnen, nämlich da, wo einer da ist, der mich glücklich macht, weil er liebt, gerecht ist, Gefühle zeigt und Fünfe gerade sein lässt. Sie können, wenn Sie einander anschauen – und in der Erinnerung auch P. anschauen – glücklich sein, denn der Himmel hat schon längst unter Ihnen begonnen. Wem also gehört also das Himmelreich? Na, Ihnen natürlich.
 

Keine Ahnung, ob das hier und heute ein Trost ist. Sie sind einander der Himmel – aber nun ohne P. Das ist richtig schwer. Aber P. hat alles gegeben, was er konnte, dass Sie einander weiter den Himmel offenhalten können. Das übrigens und nichts anderes ist das Gedankenexperiment der Auferstehung: einander den Himmel offenhalten und merken, dass der Himmel auch in der existenziellen Krise, in der Katastrophe offen bleibt.

Das Evangelium endet mit einem Versprechen: "Euer Lohn im Himmel wird groß sein." Ihr Lohn war und ist, dass Sie erleben, wie Menschen einander glücklich machen. Mit P. -und nun ohne ihn. Jeder Mensch, der das lebt, der den Himmel aufhält, der ist doch nicht verloren! Erst recht nicht vor Gott. Dies so zu sehen verlangt Vertrauen. Gott sieht und würdigt jeden, der so lebt wie Sie und wie P. Das ist unser Glaube. „Azzuro“-Himmel sind sind endlos. Sie beginnen dort, wo das Glück beginnt, für das Menschen einstehen. Und der „Azzurro“ – Himmel endet nirgends, er hat keine Grenze, auch für P. nicht. Das ist unser Glaube, das ist unsere Hoffnung. Nicht mehr, aber immerhin. P. ist nun ganz und gar in diesem azurblauben Himmel aufgestiegen, ist eins geworden mit dem Glück, das in seinem und Ihrem Leben begann und nun im grenzenlosen Himmel, im grenzenlosen Glück, dass Menschen Gott nennen aufgeht. Nicht verloren geht, aber - "azzurro" - vollendet wird.

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