Montag, 16. April 2018

Katholisches Aschenputtel

Bei seiner Buchpräsentation in Köln  der Psychiater Lütz diagnostiziert in der Kirche eine schuldbeladene Grundstimmung. Man könne jeden Bischof nachts wecken und der würde sofort ein Referat über die Schuldgeschichte der Kirche halten können. Mit seinem neuen Buch will Lütz den Bischöfen wieder einen guten Schlaf ermöglichen. Ich befürchte aber, dass dies nicht so leicht möglich ist. Denn Lütz erweist sich als katholisches Aschenputtel.

Norbert Bauer

Jetzt hat Manfred Lütz sein aktuelles Buch auch in Köln vorgestellt. Musste er eigentlich nicht mehr, denn dank seiner hartnäckigen Journalistenkontakte ist „Die geheime Geschichte des Christentums“ durch zahlreiche Interviews selbstverständlich auf dem Sachbuchlistenplatz 1 gelandet.  Trotz des großen Erfolgs  blieben bei der Buchpräsentation zahlreiche Plätze im Kinosaal des Museum Ludwigs frei.  
Damit alle Anwesenden wissen, wie Manfred Lütz dieses Buch geschrieben hat, eröffnete er den Abend im Helmut-Markwort-Style, der ja mit seinen „Fakten, Fakten, Fakten“ bekannter Weise eine neue Stufe des deutschen Qualitätsjournalismus eingeführt hat.  Um die Fakten zu „Der Skandal der Skandale“ zu recherchieren, musste Lütz nicht selbst in die Archive steigen. Sein Buch ist eine Volksausgabe von Arnold Angenendts  „Toleranz und Gewalt[1], das mit seinen 800 Seiten und 3000 Anmerkungen für seinen Friseur nicht lesbar sei. Lütz hat dieses dicke Buch des emeritierten Kirchenhistorikers gelesen. Vieles von dem, was er bei Angenendt gelesen habe, sei für ihn völlig neu gewesen, obwohl er fünf Jahre Theologie studiert habe. Deshalb habe er dieses Buch jetzt schreiben müssen. Ich habe auch Theologie studiert. Für mich war nicht alles neu. Auch für meinen Vater nicht. Und der hat 30 Jahre vor mir Theologie studiert. Während unseres Studiums haben wir aber auch gelernt, die Fakten einzuordnen.

Der Bornheimer Bestsellerautor lädt zu seinen Buchpräsentationen gerne Prominenz ein. In Berlin war es Gregor Gysi und Jens Spahn. In Köln Volker Beck, Jürgen Becker und Günther Wallraff. Prominent sind auch die Kronzeugen bei seinem Unterfangen, dem „Zerrbild des Christentums“ (14)eine neue Geschichtsschreibung entgegenzusetzen, z.B. beim Stichwort Toleranz.Als Kronzeugen benennt er den „Habermas-Schüler Rainer Forst“(42). Für Manfred Lütz ist klar: „Toleranz ist eine christliche Erfindung.“(35) Rainer Forst, Professor für Politische Theorie in Frankfurt, hat 2003 eine umfassende Studie zur Geschichte und Gehalt des Toleranzbegriffes vorgelegt. Demnach ist das  Christentum tatsächlich eine Quelle für Toleranz. Er widmet dem „Janusgesicht der christlichen Toleranz“ aber ein eigenes Kapitel und er betont darüber hinaus, es sei ein Fehler „zu glauben, die Toleranz sei ein ureigener Besitz des Christentums.“ Wer Toleranz als christliche Erfindung definiert, verkennt die Komplexität des Begriffes, „nicht zuletzt wegen der vielen historischen Schichten, die sich in ihm abgelagert haben.“  Wer bei Forst nachschaut, für den ist schnell klar: Der Befund von Lütz ist zumindest unterkomplex. 
Im praktischen Leben nimmt Lütz es mit der Toleranz  nicht so genau. Bei der Buchpräsentation freute er sich, dafür gesorgt zu haben, dass die FAZ eine kritische Rezension vom Netz genommen habe und beklagte sich bitterlich über eine Besprechung im Domradio.
So sehr Lütz Toleranz exklusiv für das Christentum reklamiert, so sehr hinterfragt er die christliche Urheberschaft bei den Kreuzzügen. Denn die Päpste hätten sich bei der Legimitation der Kreuzzüge nur auf die Makkabäer Bücher bezogen: „Allerdings gab es für diesen neuen Weg nur einen Bezug aus dem Alten Testament. Das neue Testament schwieg.“(74) Was immer Lütz damit für die Urheberschaft der Kreuzzüge andeuten will: bei seinem Theologiestudien hätte er auch mitbekommen können, dass AT und NT untrennbar zur christlichen Offenbarungsgeschichte gehören. 
Vollkommen absurd wird es, wenn Lütz meint, bei „dem Kriegsaufruf ‚Gott will es so’ konnte sich niemand auf Jesus Christus berufen.“ (80) Genau das ist aber geschehen. Worauf haben sich die Päpste und Kreuzfahrer denn berufen, wenn nicht auf Jesus Christus, wenn sie während ihres Feldzuges täglich die Hl. Messe gefeiert haben? Hatten sich die Kreuzfahrer etwa ein Kleeblatt auf ihre Kleidung genäht? 
Die Kirche hat nicht nur „die Toleranz erfunden“, sondern überraschenderweise auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Lütz liefert auch hier wieder eine überraschende Differenzierungen und lässt zugleich seine Qualitäten als Kabarettist erkennen:Leider „brachte die Reformation für die Rolle der Frau so manchen Rückschritt“(253), denn „während im Übrigen der Katholizismus eher agrarisch geprägt war, wo Mann und Frau aufs Feld gingen und beide dann zu Hause wirkten, neigte der Protestantismus ...aber eher zu einem patriarchalen Gesellschaftsmodell, das  noch im 19. Jahrhundert die protestantischen Bürgerfrauen eher ins Haus verbannte, während der Mann die hochangesehene Gewerbsarbeit außer Hause verrichtete.“ (254)  Nicht nur hier wendet Lütz das Aschenputtelprinzip auf seine persönliche Kirchengeschichte an. Das schlechte, der Protestantismus, kommt ins Kröpfchen, das gute, die katholische Kirche ins Töpfchen.  Besonders auffallend und ärgerlich wird die Methode bei seiner Darstellung der Rolle der Kirchen während der Zeit des Nationalsozialimus. Die katholische Kirche war schon seit dem Biskmarckchen Kulturkampf im Widerstand erprobt - die evangelische Kirche hingegen für die neue Ideologie anfällig. „Allerdings muss zur Ehre der vielen deutschen protestantischen Märtyrer gesagt werden, dass sie ihren Widerstand oft einsam und alleine, ohne Kirche, ganz auf sich gestellt sozusagen, umso heldenhafter neu erfinden mussten.“(212) Die Rollen sind klar verteilt: Die Katholische Kirche ist ein Corps des organisierten Widerstands, während die evangelische Kirche ihren Widerstandskämpfer keine Rückendeckung gab. Vielleicht sollte sich Herr Lütz mal mit Nikolaus Groß beschäftigen, der zwar 2001  als Märtyrer selig gesprochen wurde, aber bei seinen Kampf gegen den Nationalsozialismus erhielt der KAB-Funktionär keinerlei Unterstützung seitens der Amtskirche. Enttäuscht kam er immer wieder von Gesprächen mit Bischöfen zurück: „Sie haben schon wieder gekniffen.“ Daher analysiert sein Sohn Alexander treffend: „Im Hinblick auf die Position der Kirchenleitung sind die christlichen Widerstandskämpfer nicht aus einem Gehorsam, sondern aus einem Ungehorsam heraus in der Widerstand gegangen.“ 1944 wurde Nikolaus Groß festgenommen. Während der Haftzeit erhielt er keinerlei Unterstützung seitens der Kirche. Nach dem Todesurteil bittet seine Ehefrau Elisabeth den Nuntius um Unterstützung. „Für jedes gütige Wort, das Eminenz für meinen Mann einlegen, bin ich mit meinen sieben Kindern aus tiefsten Herzen dankbar.“ Der Nuntius ließ ausrichten:„Für die Leute vom 20. Juli kann der Nuntius nichts tun." Was Lütz über Bonhoeffer schreibt, trifft auf jeden Fall auf Nikolaus Groß zu: er wurde von seiner Kirche allein gelassen. Das entsprach offensichtlich auch der grundsätzlichen Linie der deutschen Bischöfe, die noch 1935 an Hitler schrieben: „Wir Bischöfe, auf deren Gewissen die Aufsicht über die katholischen Verbände liegt, verbürgen uns, daß diese katholischen Verbände keine politischen, oder gar, was Wahnsinn wäre, dem jetzigen Regiment feindlichen Tendenzen pflegen.“ Rückendeckung für Widerstandskämpfer sieht anders aus.

Lütz ging es seinen Buch darum, der „Skandalgeschichte des Christentum vorurteilsfrei mit dem Skalpell der Wissenschaft zu Leibe zu rücken.“ (14) Die Lektüre, aber auch der Vergleich mit der Vorlage zeigt, dass er offensichtlich das Skalpell zu tief angesetzt und nur das herausgeschnitten hat, was in seine Agenda passt: von der Geschichte der Katholischen Kirche ein anderes Bild zu zeichnen. 
Bei der Buchpräsentation wurde leidenschaftlich diskutiert. Dennoch war sich Lütz am Ende des Abends sicher, dass es auch seinen prominenten Gesprächspartnern nicht gelungen sei, Einwände gegen sein Buch zu formulieren. Der Moderator Martin Stankowski zog ein ganz anderes Resümee. Bei der Diskussion seien offensichtlich zwei unterschiedliche Darstellungen des Christentums präsent gewesen. Und den Kabarettisten Jürgen Becker erinnerte die Rhetorik Manfred Lütz an ein altes Sprichwort: „Wenn der Bauer nicht schwimmen kann, ist grundsätzlich die Badehose schuld.“








[1]Ich habe mich beim Lesen gefragt, worin die im Buch erwähnte wissenschaftliche Mitarbeit  von Arnold Angenendt bestanden hat.

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