Namen mit jüdischen Wurzeln sind beliebt in Deutschland.
Benjamin, Noah, Hannah und Esther zählten 2017 zu den Top10 der Namen in
Deutschland. Ein jüdischer Namen findet sich nicht auf der Liste: Judas. Judas gibt es als Vornamen bei uns nicht. Judas
ist kein Namen. Judas ist ein Schimpfwort. Als Lothar Matthäus von Borussia
Mönchengladbach nach Bayern München wechselte, wurde er von den Gladbach-Fans
nur noch mit Judas begrüßt. Der SPD
Politiker Ibrahim Böhme wurde nach Bekanntgabe seiner Stasi-Tätigkeit zum „Genossen
Judas“
Judas und Verräter sind in unserer Sprache ein Synonym und
seine Geschichte allseits bekannt.
Dabei ist der biblische Befund über Judas gar nicht so
eindeutig.
Die Evangelien berichten sehr unterschiedlich über ihn. Während bei
Markus die Hohenpriester von sich aus Geld anbieten, fragt im Matthäusevangelium
Judas selbst nach einer Bezahlung. Bei Johannes ist von Geld hingegen gar nicht die Rede.
Im Markus-Evangelium küsst Judas Jesus vor der Gefangennahme, Johannes weiß gar
nichts von einem Kuss. Auch über das Ende des Judas gehen die Berichte
auseinander. Während er sich bei Matthäus noch vor dem Tod Jesu das Leben nimmt,
schreibt Paulus, dass Jesus nach seinem Tod den Zwölfen erschienen ist, also auch Judas, der dann noch gelebt haben
muss.
So vielfältig und unterschiedlich von Judas Handeln
berichtet wird, so wenig erfahren wir über seine inneren Beweggründe. Über die
Motivation, ihn auszuliefern, wird in den Evangelien nichts verraten. Es wird
noch nicht mal gesagt, dass er ihn verrät. Im griechischen Urtext wird das Verb
paradidomi verwendet – ursprünglich
ein ethisch neutraler iuridischer Terminus. „Als solcher beschreibt er den
Vorgang des Überstellens an eine behördliche Distanz, etwa an ein Gericht.“[1] Es ist in etwa das gemeint, worüber das Gericht im Fall des Katalanen Puigdemont verhandelt: Übergabe, Auslieferung. Paradidomi kann auch mit „verraten“
übersetzt werden. Mit dieser Übersetzungsmöglichkeit wird jedoch eine eindeutig
negativ konnotierte Variante gewählt. Die Bundesregierung würde sich gegen die
Nachricht wehren, sie habe Puigdemont an Spanien verraten. Die offizielle
Sprachregelung lautet auch hier „Auslieferung“.
Der negative Blick auf Judas ist verhängnisvoll. Während
Petrus, der Jesus dreimal verleugnete, zum Urgestein der Kirche wurde, wurde
Judas in der christlichen Rezeption zum Baustein des Antisemitismus, zum Prototypen des jüdischen Volkes, das
Jesus auf dem Gewissen hat.
Kein Wunder, dass Judas bei uns kein Vorname ist.
Für den israelischen Schriftsteller Amos Oz ist das anders.
Er hat seinem Sohn den Namen Judas gegeben, und sein Vater hieß auch schon so. Schon
als Jugendlicher hat sich der Jude Oz für Jesus interessiert. Vielleicht hatte
er dieses Interesse von seinem Großonkel Joseph Klausner geerbt, der als
Religions- und Literaturwissenschaftler zwei Bücher über Jesus verfasst hatte.
Joseph Klausner hat seinem Großneffen einen Rat gegeben. „Wann immer du eine
Kirche oder ein Kreuz siehst, sieh genau hin, denn Jesus war einer von uns,
einer unserer großen Lehrer, einer unserer bedeutendsten Moralisten, einer
unserer größten Visionäre."[2] Diesen
Rat „genau hinzusehen“ hat Oz mit seinem Roman „Judas“[3] vor drei
Jahren noch mal aufgegriffen. In einer Rede auf dem evangelischen Kirchentag
2017 erzählt Oz ergreifend, dass die Zweifel an der Darstellung Judas in den
Evangelien ihn zu diesem Buch motiviert haben. Warum hat es überhaupt den
Verrat gebraucht, fragt Oz: „Schließlich war Jesus in ganz Jerusalem
wohlbekannt. Er predigte auf den Straßen. Erst wenige Tage zuvor hatte er für
einen Skandal gesorgt, indem er die Tische der Geldwechsler umwarf, die den
Tempel entheiligten....Fest steht: Die Leute in Jerusalem kannten Jesus. Um ihn
festzunehmen, brauchten sie nicht Judas zu bezahlen. Jesus versuchte ja gar
nicht wegzulaufen.“[4] Für den
Schriftsteller Amos Oz stimmt die Story um Judas nicht. Für ihn ist Judas kein
Verräter, für ihn ist Judas, derjenige der mehr an Jesus glaubt, als alle
anderen, ja, sogar mehr als Jesus selbst. Deswegen drängt Judas ihn dazu,
endlich die Provinz zu verlassen und in Jerusalem zu zeigen, wer er ist.: „Du
musst nach Jerusalem gehen. Du musst in Jerusalem gekreuzigt werden – und zwar
nicht an einem ganz normalen Tag,
sondern sozusagen zur Hauptsendezeit: am Freitag, dem Vorabend des
Pessachfestes, wenn Hundertausende die Straßen von Jerusalem füllen, Juden und
Edomiter, Griechen und römische Soldaten und Pilger von allen Enden der Erde. Vor
den Augen all dieser Menschen musst du dich kreuzigen lassen. Sie alle werden sehen, wie Du heil und unversehrt
vom Kreuz steigst. Dann werden sie alle auf die Knie fallen und du wirst sagen,
liebt einander und damit beginnt das Himmelreich. Genau das musst Du tun; du kannst es. Zögere nicht,
glaub an Dich. Hast Du nicht auch Tote auferweckt? Bist Du nicht über Wasser
gelaufen? Du wirst vom Kreuz steigen und die Welt wird gerettet sein. Das wird
das ultimative Wunder sein.“[5] Damit
dieses Wunder geschehen konnte, hat Judas mit der Priesterschaft und den Römern
kooperiert. Er wollte sicher gehen, dass sein Plan aufgeht. „Das letzte Wunder,
nach dem kein einziges Wunder mehr nötig wäre.“[6] Aber auch bei Amos Oz geschieht dieses Wunder
nicht.
Der Karfreitag verläuft nicht anders als im Evangelium. Jesus
stirbt am Kreuz. Der Protagonist Judas erscheint aber in einem anderen Licht.
Er ist nicht der teuflisch besetzte, geldgierige Verräter. Er ist der, der „Jesus
von ganzem Herzen geliebt und an ihn geglaubt hat... der geglaubt hat, der Tod könne ihm nichts anhaben.“[7] Ob dieses
Judasbild stimmt, wissen wir nicht. Auch Amos Oz sagt, dass er nicht wisse, ob
dies die Wahrheit ist. Aber mit seinem Roman leistet er etwas ganz wichtiges.
Er bringt ein fest fixiertes Bild ins Wanken. Sein Roman zeigt auf
beeindruckende Weise, warum Literatur so wichtig ist: sie erlaubt und verlangt
zugleich, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Wer diesen Roman liest, wird
sein Urteil über Judas in Frage stellen.
Die Idee, die Amos Oz in seinem Roman verarbeitet hat die
Theologie auch schon diskutiert. Trotzdem hat der Roman und die Rede mich nochmal
neu nachdenken lassen – auch über diesen Karfreitag. Der Karfreitag mit einem
Todesurteil im Zentrum, wird zu einem Tag, an dem ich meine eigenen Urteile in
Frage stelle.
Die Bibelübersetzer haben dies auch getan. In der
Leidensgeschichte, die wir eben gehört haben, war Judas noch der Verräter. In
der neuen Einheitsübersetzung wird die Stelle anders übersetzt. Judas ist nicht
mehr der Verräter. Er ist, der, der ihn auslieferte. Schon ein Unterschied.
Karfreitag der Tag, an dem Urteile überprüft werden.
Trotzdem wird es noch lange dauern, bis Judas bei uns wieder ein normaler
Vorname wird. Vielleicht wird der Roman von Amos Oz, aber auch die neue
Übersetzung etwas dazu beitragen. Vielleicht auch dieser Karfreitag.
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