Screenshot: Peter Otten |
Von Peter Otten
Der Trauer Raum geben, Trost spenden, sich erinnern, Abschied nehmen und Hoffnung haben – das ist eine kulturelle Leistung. Es gibt unterschiedliche Arten, das zu tun. Sich zum Beispiel im Rahmen eines Gottesdienstes zu versammeln ist eine mögliche und gute Form. Trauer zu empfinden und zuzulassen – damit geht jeder Mensch anders um. Wie auch immer aber ein Mensch damit umgeht, eines bleibt doch gleich: Wenn ein Mensch geht, bleiben andere Menschen anders zurück. Wenn ein Mensch geht, geht immer auch ein Stück der Identität von denen, die bleiben. Wenn die Mutter, die Großmutter geht, gehen die Wurzeln, aus der das Kind, das Enkelkind lebt. Und die eigene Rolle als Sohn oder Enkel verändert sich.
Wenn ein Mensch stirbt, verunsichert dies aber auch in gewisser Weise das eigene Leben. Denn im Tod eines Menschen wird auch die eigene Vergänglichkeit jäh ein bedrängendes Thema. Übrigens ist aus diesem Grund eine Trauerfeier vor allem für die wichtig, die zurückbleiben. Es geht plötzlich auch ums Erinnern daran und den Umgang damit, dass das eigene Leben vergeht. Was bleibt von mir? Was trägt? Wenn alles vergänglich ist? Augenblick, verweile doch! Aber der Augenblick verrinnt. Das ist einerseits gut – wenn Dinge im Leben bedrücken, Angst machen. Es ist gut, wenn eine Krankheit vorbei ist. Aber ist es auch gut, wenn eine Liebe verblasst? Die Schönheit verstirbt?
Diesem eigentlich paradoxen Gedanken – nichts bleibt, nicht der schöne Augenblick, aber auch nicht das Schlechte - geht Kohelet nach. Alles hat seine Zeit. Das ist ein Kerngedanke. Und dann kommt die Aufzählung der Dinge, die ein Leben ausmachen, strukturiern, füllen: Geburt und Tod, Aussaat und Ernte, Krankheit und Heil, Lachen und Weinen, Krieg und Frieden, Suchen und Finden, Lieben und Hassen. Jahreskreis und Lebenskreis. Das ist gut so, sagt Kohelet. Das Gute hat seine Zeit und das Schlechte auch. Kohelet beschönigt in seinem Text das Leben nicht. Er vergisst nicht, dass das Leben mühsam ist, dass Beziehungen zu anderen Menschen auch schwierig sind. Dass das Leben, das Zusammenleben mit anderen Menschen herausfordernd ist. Aber er sieht auch, dass es gute Zeiten gibt. Jede Zeit hat ihre Berechtigung, Kennzeichen des Lebens ist seine Buntheit. Und im Grunde ist der Text auch ein Portrait eines Menschenlebens: Alles hat seine Zeit in mir, in dir, in der Verstorbenen: Lachen und Weinen, Schönes und Schwieriges, Ecken und Kanten, Talente und Fehler, Tolles und Nerviges. Alles hat seine Zeit und seinen Platz. Und das ist gut so, das darf so sein.
Und doch: Was hat das alles für einen Sinn? Wenn nichts bleibt? Wenn das, was ich an mir mag immer wieder von dem abgelöst wird, was ich an mir blöd finde? Wenn dem, was ich an dir bewundere immer von dem abgelöst wird, was mich an dir nervt? Was macht das für einen Sinn? Manch einen führt diese Frage in die Verzweiflung.
Nicht so Kohelet. Sein entscheidender Gedanke ist: Wäre es schlimm, wenn die Vergänglichkeit selbst vergänglich wäre? Er sagt: „Ich habe erkannt, dass alles, was Gott macht immerfort sein wird. Dem ist nichts hinzuzufügen und nichts wegzunehmen.“ Etwas lyrisch ausgedrückt meint das: Die Vergänglichkeit darf vergänglich sein. Und du, und ich, wir brauchen keine Angst davor zu haben. Warum? Kohelet sagt: „Alles hat Gott schön gemacht zu seiner Zeit.“ Da steht nicht: Du hast schöne Augen. Du hast tolle Talente. Nein. Kohelets großartiger Gedanke ist: Da gibt es einen, der alles schon in sich angenommen und aufgenommen hat, was ich in meinem Kleingeist, in meiner menschlichen Beschränktheit und in meiner Kontingenz niemals annehmen und aufnehmen kann.
Womit wir beim letzten Punkt wären, weswegen wir heute hier sind: Um einander folgende Hoffnung wenn wir können vertrauensvoll auszudrücken: Es ist okay, dass alles seine Zeit hat – und vergeht. Es ist okay, dass ich alt und schwach und unansehnlich und nervig werde. Und mir muss das keine Angst machen. Es ist okay, dass die Verstorbene gegangen ist. Und es ist auch okay, wenn ich selbst irgendwann gehe. Und es muss mir keine Angst machen. Im Angesicht der Angst vor der Vergänglichkeit, der Vergeblichkeit erzählt uns Kohelet von Gott, der alles immer schon schön gemacht hat. Die Vergänglichkeit darf ruhig vergänglich sein.
Es gibt einen Swingklassiker, bekannt geworden durch die Andrew-Sisters: Bei mir bist du schön. Der erste Refrain geht so:
Bei mir bist du schön, please let me explain
'Bei mir bist du schön' means you're grand
Bei mir bist du schön, again I'll explain
It means you're the fairest in the land
Bei mir bist du schön, bitte lass mich erklären
´Bei mir bist du schön´ bedeutet: du bist großartig
Bei mir bist du schön – ich erklärs gern nochmal
Es bedeutet, du bist der Anständigste im ganzen Land.
Nichts anderes bedeutet die Idee von Auferstehung, Erlösung, Leben nach dem Tod. Dass da einer das sagt, was Menschen nicht zu sagen schaffen: Bei mir bist du schön. Und warst es immer und wirst es für immer sein.
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