Von Norbert Bauer
Während die Bundeskanzlerin durch Gewissensentscheidung die „Ehe für alle“ ermöglicht, plädieren die Bischöfe für eine „Kirche für alle“: „Wir können und dürfen es uns also gar nicht mehr erlauben, dieses Kirche sein an einige wenige zu delegieren.“ Die Befürworter der „Ehe für alle“ betonen, dass sie keine Abwertung der traditionellen Ehe sei. Das Plädoyer für eine neue Form der Kirche, kommt jedoch nicht ohne den Jargon der Abwertung aus.
Besonders prägnant gelingt dies Christian Henneke, der seit seinem Buch „Kirche, die über den Jordan geht“ jenseits der universitären Lehrstühle zum Stichwortgeber neuer Kirchentwicklung geworden ist. In seinem Beitrag „Kirchenentwicklung im Kraftfeld von Taufpartizipation und Leadership“* verabschiedet er sich „von der letztlich bevormundenden Versorgungskirche ... die im europäischen Kontext neoliberal zu einer Dienstleistungskirche umgerechtfertigt wurde.“
Ich sehe schon das zustimmende Kopfnicken. Denn für wen sind „Bevormundung“ und „neoliberal“ nicht auch Begriffe, die aus dem katholischen Wörterbuch gestrichen werden sollen? Die kirchlichen Reaktionen auf die „Ehe für alle“ deuten zumindest darauf hin, dass „Bevormundung“ der Grundton kirchlichen Selbstverständnisses bleiben wird.
Bei „neoliberal“ wäre ich hingegen gerne zustimmend dabei, wenn damit kritisiert würde, dass junge gut ausgebildete Fachleute sich auch beim Arbeitgeber Kirche mit Zeitverträgen von einer Projektstelle zur nächsten hangeln müssen. Henneke meint offensichtlich jedoch etwas anderes. Für ihn scheint Kirche dann neoliberal zu sein, wenn sie über professionelles Personal verfügt, die notwendigen Reformen im Wege stehen: „Und in der Tat - er (der Hl. Geist) gibt sich alle Mühe und macht sehr deutlich, dass weniger Geld und weniger Priester und Hauptberufliche die Chance zu jener pastoralen Bekehrung bieten, die überfällig dran ist.“
Auch wenn ich kein Wirtschaftsexperte bin, frage ich mich, ob diese Konversion nicht selbst Züge neoliberalen Handelns offenbart. Die neoliberale Kehrtwende zeichnet sich dadurch aus, dass der Staat sich zurückzieht, und die Bürger handeln. Gewiss, die Parallele "Christen und Bürger" wird der sakramentalen Wirklichkeit von Kirche nicht immer gerecht. Aber Henneke selbst nimmt für sein Zukunftsbild von Kirche Anleihen in der Zivilgesellschaft und lobt dort das Community Organizing. Stimmt. Urban Gardining ist eine wunderbare Angelegenheit, zeigt aber auch, dass Ehrenamt vor allem ein bürgerlich Ding ist. Aus einer „Kirche für alle“ wird eine „Kirche von Wenigen.“
Bevor weiter von real existierenden Kirchenbildern euphorisch Abschied genommen wird, sollte zumindest bedacht werden, was damit aufgegeben wird. Ich bin zumindest froh darum zu wissen, dass neben dem täglich trainierten Taufbewusstsein in meiner Kirche noch andere Kompetenzen anzutreffen sind. Ich bin erleichtert, dass kriselnden Ehepaaren bei einer katholischen Eheberatung professionell geholfen werden kann. Ich schätze es, dass in unmittelbarer Nachbarschaft der freiwilligen „Willkommensinitiative St. Gereon“ die Caritas im „Therapiezentrum für Folteropfer“ traumatisierten Flüchtlingen Unterstützung anbietet. Ich bin Lehrern, Priestern und Pastoral- und Gemeindereferenten dankbar, die neben ihrer Begeisterung noch theologisches Fachwissen mitbringen. Es ist erstaunlich: während kirchliche Vertreter von den muslimischen Verbänden fordern, ihre Imane an den Universitäten ausbilden zu lassen, gerät theologisches Expertenwissen innerhalb der Kirche immer weiter unter Verdacht.
Nein ich verschließe nicht die Augen vor der kirchlichen Wirklichkeit in Deutschland. Auch ich sehe, dass die Kirchen nicht mehr so voll sind. Aber ist dies das Kriterium?
Ein viel besseres Kriterium schlägt Matthias Sellmann vor. „Pastorale Leidenschaft will nicht als erstes, dass alle in die Kirche kommen, sondern dass alle zu sich und zum Gemeinwohl kommen, zu ihrer Größe, ihrer Aufgabe, ihrer eigenen Lebensmaxime. Nicht die religiöse Rekrutierung, nicht einmal die Sicherung der eigenen Tradition steht im Vordergrund, sondern die Sicherung der Säkularität.“* Wenn ich diesen Maßstab wähle, fällt der Vergleich zu den oft gepriesenen Kirchen des Südens gar nicht so schlecht aus: denn die Kirchen leisten mit ihren professionellen und finanziellen Ressourcen einen wichtigen Beitrag zu einem im Vergleich zu vielen anderen Ländern einigermaßen sicheren Sozialstaat. Und sie leistet noch etwas: mit ihrem gut ausgebildeten theologischen Personal trägt sie zu einem Religionsfrieden in dieser Gesellschaft bei, denn wer Theologie ernst nimmt, fördert auch den Mut, den (eigenen) Glauben kritisch zu hinterfragen. Keine schlechte Haltung für eine Gesellschaft, die darauf angewiesen ist, dass mit unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen produktiv umgegangen werden muss. Auch das ist ein Dienst an der Gesellschaft, die Kirche zu leisten vermag.
Wenn Kirche ein Gewinn für Gesellschaft sein kann, verliert die Negativvokabel „Dienstleistungen“ den aktuell so anrüchigen Beigeschmack. Diese Dienstleistungen sind für viele Menschen in Deutschland auch Grund, weiterhin Kirchensteuern zu bezahlen, sogar dann, wenn sie diese selbst nur selten in Anspruch nehmen.
Klar kann man über Kirchensteuer und vor allem die Zuteilung diskutieren. Aber genauso wie im Staat geben Steuern der Kirche die Möglichkeit, verlässlich Gemeinschaftsaufgaben zu finanzieren. Wenn Steuereinnahmen zurückgehen, muss sich auch die Kirche in den Wettbewerb von Spendenakquise und Stiftungen begeben. Und dann ist sie endgültig im neoliberalen Paradies angekommen.
* Christian Hennecke, Kirchenentwicklung im Kraftfeld von
Taufpartizipation und Leadership, Pastoralblatt 2016/3, 79-86
Ich unterstütze die Ehe für alle auf jeden Fall.
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