Screenshot: Peter Otten |
Von Peter Otten
Ain´t talking, just walking. Als ich das Lied zur Vorbereitung auf den Abend nun wieder und wieder hörte und zugleich ins Deutsche zu übersetzen versuchte, habe ich gedacht: Dylan findet hier Worte für ein Lebensgefühl von Menschen, die ich kenne. Die - zum Teil gezwungenermaßen - eine unverbundene fast schon überindividualisierte Existenz leben müssen. Wach werden - walking – aufstehen – walking - Zähne putzen - walking – frühstücken – walking - in der KVB stehen - walking – arbeiten – walking - einkaufen - walking … and not talking. Durch eine Welt, die es immer schwerer fällt zu entschlüsseln. Gesetzmäßigkeiten zu entdecken oder gar zu verstehen. Sie gar zu gestalten. Walking wie ein Sisyphos, jeden Tag einen Stein auf einen Berg rollend wenigstens mit der Ahnung: er kommt doch wieder zurück.
Ich habe dieses Motiv in Dylans Text gesehen. Er beschreibt die Welt als einen Unort, bestimmt von Gewalt, Rachsucht, Gnadenlosigkeit, für die er eindringliche Bilder findet, die wie apokalyptische Stationen an einem postmodernen Kreuzweg wirken. „Hast du einmal verloren gibt es keine Gnade.“ Und der Erzähler schreitet, spaziert durch diese Un-Welt, dieses Outback, ironischerweise angetrieben vom federnden Rhytmus der Musik.
Aber in „Ain´t talink, just walking“ beschreibt Dylan mit dem Motiv "Walking, not talking" auch eine eigene Haltung, die ich religiös nennen würde: Der Erzähler ist nicht nur mechanischer "Walker", sondern Dylan zeigt hier quasi auf der Rückseite zugleich die Figur des heimatlosen Pilgers ohne Obdach, einer Figur, die in unzähligen Dylan-Songs auftaucht. Die Haltung des Suchenden auf der Suche nach irgendwas: einer Rast, einem Ort, Heimat vielleicht, einer "Stadt ohne Schweineaugen". Die Suche nach etwas, das aus sich heraus Bestand hat, nach Transzendenz, etwas, das jenseits des Sisyphos-Berges liegen muss und der unstillbaren Hoffnung, dass es das einfach geben muss. Aber Dylan macht auch klar: ich finde das nur in der Haltung des "Walkers", desjenigen, der unterwegs ist und seine Welt, auch wenn sie ein unverständlicher Unort ist durchmisst. Diese Haltung ist nicht statisch, sondern dynamisch.
„Ain´t talking, just walking" ist natürlich voller biblischer Anspielungen. Das Lied beginnt im Garten Eden und endet in dem Garten, in dem Jesus begraben wurde. Es geht um den Kampf Jakobs mit Gott ("und einer schlug mich von hinten"), es geht um die rauhe Schwarz-Weiß-Sprache der alttestamentarischen Psalmen. Drei Motive möchte ich kurz herausgreifen:
Das Lied beginnt also im Garten Eden, der hier jedoch als „mystic garden“ vorgestellt wird und damit schon nicht mehr als reines Paradies. Zweifellos bereits in der zweiten Zeile eine Anspielung auf die Vertreibung: Blumen hängen zerstört in den Reben, die Quelle ist zwar noch frisch und kristallen, aber auch bereits Ort eines Kampfes - unschwer eine Anspielung auf Gen 32, 23ff.. Hier beginnt die Pilgerreise des Lebens. Sie ist ohne Alternative. Und Dylan schildert die Welt, die er ab sofort betritt, in düsteren Farben. Das Helle ist lediglich Erinnerung, beispielsweise ein Mädchen, das er mal verlassen hat. Ansonsten ist der Weg voll Düsternis. Paradox scheint da geradezu der wiederkehrende Refrain, wie in einer Litanei: „Mit brennendem Herzen, immer noch voller Verlangen“ ist der Walker unterwegs, so habe ich "Heart burnin´, still yearnin" mal übersetzt. Das brennende Herz und sein Verlangen scheint wie der Treibstoff der Reise, die damit zu einer Pilgerreise wird, auf dem Weg zu einem Sehnsuchtsort. Wo auch immer der sein wird.
Hiermit kann man den Text als einen Hoffnungstext lesen. Denn wie beschaffen der Sehnsuchtsort sein kann, wird in dieser Strophe angedeutet:
"Ich seh die Himmel hell und Feuerräder
Ruhm und Ehre scheinen nie zu enden
Das Feuer verlöscht, aber das Licht stirbt niemals.
Wer sagt, dass ich nicht himmlische Hilfe bekomme?"
Dieses Stück erinnert an Ezechiel 1,4ff. Ezechiel beschreibt in dieser berühmten Szene eine Gotteserscheinung: einen offenen Himmel, der von vier engelsgleichen Wesen mit Rädern aus Feuer eingerahmt ist. Wenn Gott kommt, scheinen Ruhm und Ehre endlos. „Das Feuer verlöscht, aber das Licht stirbt niemals", schreibt Dylan. Eine entscheidende Ableitung aus dieser Szene, finde ich. Denn sie ist sehr bei meiner eigenen Erfahrung: wenn ein großes Gefühl von Enthusiasmus, beispielsweise eine Euphorie, das Feuer des Anfangs verstrichen ist – was ist dann? Mag auch das Feuer ausgehen - das Licht stirbt niemals, sagt Dylan sehr klug dazu. Die Sonne geht auf, auch ohne deine Hilfe, und keine destruktive Kraft der Welt kann das verhindern. Vielleicht ist das eine Botschaft im Advent: das Kerzenlicht, die stille leise Flamme mag mich trösten, dass ich nicht verzweifeln muss, wenn ich das große Rad nicht immer alleine drehen kann, weil meine Kraft nicht reicht. Das Licht stirbt niemals. Es gibt womöglich einen anderen, der dafür sorgt.
Und dann als drittes das großartige Motiv in der vorletzten Strophe:
„Als ich in den geheimnisvollen Garten komme
An einem heißen Sommertag, über heißen Sommerrasen:
„Entschuldigen Sie, meine Dame,
es ist niemand hier. Der Gärtner ist fort.”
Ist es zu gewagt, diese Szene, mit dem das Lied ans Ende kommt, als seine Anspielung auf die Osterszene zu lesen, wie sie Joh 20, 11ff. beschreibt? Maria von Magdala muss erkennen, dass sie Jesus, den sie für den Gärtner hält, nicht festhalten kann.
Aber wo ist er? Wenn er fort ist?
Bob Dylan gibt in "Ain´t talking" möglicherweise eine Antwort. Immerhin endet sein Lied mit einem fast fröhlichen Durakkord. „Mit brennendem Herzen, immer noch voll Verlangen.“ (Der Refrain, den wir als Treibstoff der Pilgerreise identifiziert haben erinnerte mich übrigens an die Emmausgeschichte: "Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns sprach?") Er ist in mir, in meinem brennenden Herzen, in meinem Verlangen nach Leben, Trost, Gemeinschaft, deiner Zuwendung, deiner Antwort. Er ist in dir, in deinem brennenden Herzen, in deinem Verlangen nach Trost, Gemeinschaft, meiner Zuwendung, meiner Antwort. In meiner, in deiner unbehausten Pilgerfahrt. Er ist selbst ein unbehauster Pilger wie du, wie ich, und mir und dir darin womöglicher gleicher als niemand sonst.
Leicht bearbeiteter erster Teil von "Mit Bob Dylan durch den Advent", gesprochen am 29.11.2016 inSt. Gertrud, Köln. "Ain´t Talking" erschien auf dem Album "Modern Times" im Jahr 2006.
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