Freitag, 8. Mai 2015

Du sollst scheitern können

Foto: Peter Otten
Die katholische Kirche hat ihr Arbeitsrecht geändert. Dennoch bleiben für Mitarbeitende mit bischöflicher Beauftragung besondere Loyalitätsverpflichtungen bestehen. Begründet werden sie mit der Nähe zum Verkündigungsauftrag. Aber könnte es nicht sein, dass es die Kirche ist, die ihre Loyalitätsverpflichtungen gegenüber Mitarbeitenden, gegenüber ihren Mitgliedern verletzt? Denn wenn die scheitern scheitert auch die Kirche.

Von Peter Otten

Die katholische Kirche hat ihr Arbeitsrecht geändert. Ein Verstoß gegen Loyalitätsobliegenheiten, zum Beispiel zivile Wiederheirat nach einer Ehescheidung oder das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft führt nicht mehr automatisch zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, auch nicht für katholische Mitarbeitende - wenngleich sie als letzte Konsequenz für niemanden gänzlich ausgeschlossen wird. Allerdings gibt es Ausnahmen: "Pastoral-katechetische und bischöflich besonders beauftragte Mitarbeiter unterliegen erhöhten Loyalitätsbindungen, in diesen Fällen wird ein schwerer Loyalitätsverstoß von Gesetzes wegen unwiderlegbar vermutet", so Kardinal Rainer Woelki in einem Interview mit katholisch.de. 

Für ReligionslehrerInnen, Pastoral- und GemeindereferentInnen ändert sich denzufolge nichts, womöglich auch nicht für andere Mitarbeitenden, die ein Diözesanbischof qua seiner Amtsautorität zukünftig dieser Grupierung zurechnet. Warum eigentlich nicht? Dieser Personengruppe bleibt, sofern sie eine (Wieder-)heirat nach eigener geschiedener Ehe bzw. geschiedener Ehe der / des neuen Partners / Partnerin wünschen der dornige recht selbstentblößende und mitunter unwürdige Weg eines Annulierungsverfahrens an einem kirchlichen Ehegericht. Wegen jener "erhöhten Loyalitätsbindungen" gegenüber ihrem Dienstgeber.

Nun könnte man auf die Idee kommen, dass nicht der Dienstnehmer, die Dienstnehmerin - und dieser Logik folgend nicht der getaufte Katholik oder die Katholikin -  die Loyalitätspflicht gegenüber dem Dienstgeber verfehlt. Sondern umgekehrt: die Kirche einer Art "Loyalitätspflicht" (einen besseren Ausdruck finde ich nicht) gegenüber ihren Mitgliedern, ja sogar gegenüber Gott selbst nicht genügt. Die Spur legt der Salzburger Dogmatiker Hans-Joachim Sander mit seinem Hinweis, dass das Scheitern (nicht nur aber auch) in der Ehe theologisch leider noch nicht genügend durchdacht worden sei. Seine Gedanken, die in einem lesenswerten Vortrag enthalten sind, den er auf einem Forum bei der Trierer Synode gehalten hat gehen wie folgt (alle Zitate sind diesem Vortrag entnommen, Ergänzungen in Klammern und kursive Hervorhebungen von mir): 

"Das Scheitern von Ehen (ist) auch so bedrängend für die Kirche, weil sie jenseits dessen, was sich die Ehepartner schuldig geblieben sind, damit konfrontiert wird, was sie selbst Gott schuldig geblieben ist", sagt Sanders. "Sie ist ihm schuldig geblieben, dass er woanders präsent ist, als dort, wo ihn die Kirche mit ihrer Verweigerung des Scheiterns feststellen will. In jeder gescheiterten Ehe entsteht deshalb für die Kirche ein Andersort – eine Heterotopie – gegenüber den Utopias, an die sich Gott in Partnerschaften binden will. An diesem anderen Ort findet sie (die Kirche) ihre eigenen Defizite und dem darf sie nicht ausweichen. Entsprechend sind Heterotopien (Anders-Orte) entscheidende Größen für eine Theologie des Scheiterns."

Sander stellt also fest: In der Ehe als Utopie können nicht nur die Ehepartner scheitern, sondern auch die Kirche selbst. Was aber geschieht, wenn eine Ehe gescheitert ist? Nach Sander geschieht Verzeihung: "Wer dem Leben verzeihen kann, dass es das Versprechen auf lebenslange treue Partnerschaft nicht halten konnte, lässt die Ohnmacht zu, ohne die dem Leben einer Ehe nicht zu trauen ist. Wer dieses Verzeihen leben kann, wandelt die Ohnmacht in der Ehe zu einer Kraft, die auch über die vorzeitige Beendigung einer Ehe, also ihr Scheitern, sich entfalten kann." Und dann, so Sander "stellt sich ebenfalls für die Kirche die Frage: Wie kann sie sich verzeihen und wie können die betroffenen Ehepartner ihr (der Kirche) verzeihen, dass das kirchliche Versprechen dann im Zerbrechen der Ehe zerbricht? Das ist keine unwesentliche Frage, auch wenn sie kaum gestellt wird. Sie zeigt auf, dass die Kirche nicht souverän über die Sakramente herrschen kann. Sie kann sie allein empfangen und weitergeben. Aber eine Garantie kann nicht sie abgeben. Darum ist das Scheitern auch für die Kirche in Bezug auf die Sakramente von elementarer Bedeutung." Die Logik ist: Das Versprechen von Unauflöslichkeit ist sakramental gesehen ein kirchlich vermitteltes Versprechen, das im Scheitern der Ehe ebenfalls zerbricht. Nach Sander gilt dann im Blick auf Jesu Wort der Unauflöslichkeit: "Unauflöslichkeit besteht nicht darin, dass katholisch geschlossene Ehen lebenslängliche Verkettungen darstellen. Sie besteht vielmehr darin, dass dort, wo Ehen nicht mehr zu leben sind, die Partner das Heil nicht verlieren, das ihre gescheiterte Ehe dargestellt hat. Es ist über ihr Scheitern hinaus bei ihnen präsent."

Unauflöslichkeit wäre so verstanden "eine Beschreibung des Prozesses, dem Menschen nicht ausweichen können, wenn Gott sie verbunden hat. Menschen können nicht trennen, was Gott verbunden hat; sie können es nur – im Modus von Ressentiment, Revanche und Rache – in sein Gegenteil verkehren und sich damit immer tiefer in eine Gewalt verstricken, die sie einander antun. Darum sollen Menschen nicht trennen, was Gott verbunden hat. Aber Gott kann es" - weil er in Sanders Logik im Kreuzesgeschehen das Scheitern anerkannt hat.

Somit könnte die Kirche den Menschen, die nach einer gescheiterten Ehe erneut heiraten zusagen "dass Gott ihnen mit ihrer früheren Ehe heilvoll verbunden bleibt", so Sander. Und könnte man so betrachtet nicht sagen: Bleibt die Kirche dann nicht  ihren Mitgliedern und Mitarbeitenden gerade diese ungeheure Loyalitätszusage Gottes schuldig? "Wegen Gottes Fähigkeit, scheitern zu können und entsprechend von Beziehungen, die nicht mehr heilvoll sind, abzurücken, muss die Kirche nicht darauf bestehen, dass das nur im Leben dieser ersten Ehe möglich ist", so Sander. "Es ist ebenso möglich, die Trennung von dieser Ehe so zu leben, dass sie  über das hinauskommen, was sie dort einander schuldig blieben. Die Kirche muss deshalb etwas nicht tun, was in diesem Zusammenhang überaus prekär werden kann: auf ihrer religiösen Position beharren und eine unauflösliche Macht herausstellen. Sie kann auch (aufgrund ihres eigenen Scheiterns und des Scheiterns Gottes) darüber sprachlos bleiben und die Ohnmacht teilen. Das wäre eine Brücke für ihre Glaubenswahrheit von der Unauflöslichkeit der Ehe: die Ohnmacht derer teilen, die an ihrer Ehe scheitern." 

Am Ende des Gedankengangs kann man also zu verblüffenden Ergebnissen kommen: (In der Ehe) scheiternde Menschen bedürfen gerade nicht der Barmherzigkeit der Kirche. Und nicht der Dienstnehmer oder die Dienstnehmerin und (in dieser Logik) nicht der von den Sakramenten ausgeschlossene Katholik oder die Katholikin verweigert Loyalität - sondern es wäre die Kirche selbst. Jedoch in der Heterotopie, im Andersort der gescheiterten Ehe läge gar ein Ort der Prophetie, von göttlichem Heil.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen