Sonntag, 9. November 2014

Spür, was Liebe mit dir macht


Foto: Hendrik Lennarz
Dass Liebe etwas mit Leidenschaft zu tun hat merkt der, der das FC-Lied singt. Schwierig wird die Leidenschaft jedoch, wenn es nicht darum geht, den FC zu lieben - sondern den Nächsten. Genauer: den Nächstbesten.

Von Peter Otten

Neulich habe ich im Gottesdienst mit den Kindern und Erwachsenen das FC-Lied gesungen. Also genauer gesagt den Refrain. Dort heißt es – für die paar, die tatsächlich einem anderen Verein die Daumen drücken aus dem viel schöner klingenden Kölsch übersetzt: „Wir schwören dir hier auf Treue und auf Ehre. Wir stehen zu dir, FC Köln! Denn wir gehen mit dir wenn es sein muss durchs Feuer. Wir halten immer nur zu dir – FC Köln.“ In der Kirche kam jedenfalls ein stattlicher Chor zusammen. An dem Sonntag gings nämlich um die Nächstenliebe . Jesus hatte eines Tages bekanntlich gesagt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Und da fangen die Probleme ja schon an: Was soll das denn sein, die Liebe? Da gibt’s ja eine Reihe von Vorschlägen. Sie werden gesungen, getextet, gedichtet und sogar wissenschaftlich aufbereitet. Und reichen von sagen wir mal Helene Fischer („Atemlos durch die Nacht! Spür was Liebe mit uns macht!“) bis Benedikt XVI. („Deus est Caritas!“) – um mal ungefähr die Bandbreite abzustecken. Da lagen wir mit dem FC-Lied ganz gut im grünen Bereich. Denn da geht es um einige Ingredienzien der Liebe, bei denen sich Benedikt und Helene vermutlich sogar weitgehend einig wären: um Treue, um Zusammenhalt und um die Zusage, einem anderen unter allen Umständen beizustehen. Ohne diese Leidenschaft kommt die Liebe eben in keiner ihrer vielen Gestalten aus, ob sie nun atemlos daher kommt oder im Mantel der barmherzigen Zuwendung. Aber nun sagt Jesus ja leider nicht: „Liebe den FC oder Mami und Papi wie dich selbst!“– sondern den Nächsten. Was so viel heißt wie den Nächstbesten, also den, der sich gerade in deiner Nähe befindet und jedenfalls nicht nur den, den du dir aussucht. 

Das haben die Kinder und auch die Erwachsenen bei einem kleinen Tanz schnell kapiert, bei dem sie ihre Plätze wechselten und nach jeder Strophe neben jemand anderem - Fremden - standen. Das ist dann schon schwieriger auszuhalten – und hier kann Leidenschaft anstrengend werden: denn plötzlich geht’s nicht nur um Mami und Papi und den FC (wobei: auch die Liebe zu Mami und Papi kann auf die Probe gestellt werden – von der Liebe zum FC ganz zu schweigen). Sondern um den lästigen Bettler vorm REWE oder den Flaschensammler, der auf deine Bierflasche starrt, damit er sie einkassieren kann. Oder schlicht um den, der plötzlich deine Aufmerksamkeit will, obwohl du ihn eigentlich blöd findest und schon immer blöd fandest.

Jesus hat den Satz übrigens aus dem Alten Testament zitiert (Lev 19,18). Dort steht vorher noch, dass man den Bruder (und sicherlich auch die Schwester) nicht hassen, kein Lügner sein und sich auch keinesfalls rächen soll. Das alles steht da natürlich nicht zufällig. Sondern es zeigt, nun ja: leidenschaftlich, was diese ominöse Nächstenliebe, die zu einer Art Markenkern der christlichen Religion geworden ist tatsächlich meint. Und jetzt? Man könnte es so sagen: Spür, was Liebe mit dir macht.

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