Dienstag, 1. Juli 2014
Wenn ich Freiheit sage
Anlässlich aktueller Arbeitspapiere aus Rom begeht der Autor einen persönlichen Tabu-Bruch: Er empfiehlt die FDP.
Von Norbert Bauer
Manchmal habe ich die Sorge, dass ich in einen Text hineingehe und als jemand anderes herauskomme. So treibt mich dieses Mal um, nachher als FDP-Sympathisant gegrüßt zu werden, obwohl ich diese Partei noch nie gewählt habe. Mein Vater wohl auch nicht. Aber ich werde dieses Mal viel über Freiheit, bürgerliche Rechte, Liberalität und Selbstbestimmung schreiben, alles Schlagwörter, die zumindest im Parteiprogramm und auf Wahlplakaten der FDP populär sind. Auch alles Begriffe, die beim Tabu-Ratespiel dem Kandidaten helfen würde, den Begriff „westliche Gesellschaft“ zu umschreiben. Aber der Westen steht mit seinen (oft nicht eingelösten) Werten am Pranger. So empfahl sich Putin im Dezember bei einer Rede an die Nation als Schirmherr „traditioneller Werte“, da „in vielen Ländern heute die Normen von Moral und Sittlichkeit umgekrempelt werden.“ Noch radikaler ist die nigerianischen Terrorgruppe Boko Haram. Der Name ist Programm und bedeutet in örtlichen Dialekt schlicht „Westliche Bildung ist eine Sünde".
In die Reihe der West-Kritiker reiht sich auch der Vatikan ein, aktuell mit DIE PASTORALEN HERAUSFORDER-UNGEN IM HINBLICK AUF DIE FAMILIE IM KONTEXT DER EVANGELISIERUNG, einem Papier, mit dem sich die Bischöfe auf die außerordentliche Synode vorbereiten sollen. Das Papier stellt fest, dass die „Lehre der Kirche in ihrer eigenen menschlichen und christlichen Schönheit“ (13) nicht mehr von allen Gläubigen mit „Freunde angenommen“ wird. Die Ursache ist klar: das Naturrecht wird „von der gegenwärtigen Kultur nicht mehr als universal empfunden“ (25) und so kann nicht mehr verstanden werden, dass das „Band zwischen Liebe, Sexualität und Fruchtbarkeit... das Wesen der Ehe ist.“(26) Es sei sogar eine „praktische Opposition gegen das Naturrecht bezüglich der Verbindung von Mann und Frau“(27) aktiv, und wo ist auch klar: „Im politischen Bereich aber gibt es, besonders im Westen, eine wachsende Tendenz hin zur Anerkennung von Gesetzen, welche die Eintragung der Partnerschaften oder die so genannte Ehe zwischen Personen des gleichen Geschlechts vorsehen. Zur Unterstützung dieser Vorgehensweise werden Gründe der Nichtdiskriminierung genannt.“(111) Dass es bei der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften nicht nur um Nichtdiskriminierung geht, sondern vor allem um die Verwirklichung von Menschenrechten, scheint dem Heiligen Stuhl nicht präsent zu sein.
Dann überrascht es auch nicht wirklich, dass dieses vatikanische Arbeitspapier kritisch hervorhebt, dass heute „Menschenrechte allgemein als ein Verweis auf die Selbstbestimmung des Subjektes verstanden“ (23) werden. Es überrascht aber schon, dass dieses Dokument in der FAZ Beifall findet. Daniel Deckers klopft von Frankfurt aus Rom auf die Schultern, weil „die Kirche ihre über Jahrhunderte tradierten ‚regulativen Ideen’ über ein gutes und gerechtes Zusammenleben der Menschen nicht auf dem Altar etwa des westlichen Zeitgeistes opfern wird.“ Drei Tage später wird in der FAZ wieder gegen den Zeitgeist gewettert. Dieses Mal im Interview mit Pirmin Udressey, dem Chef der deutschen Piusbrüder. Für den einen mag z.B. die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften Ausdruck eines westlichen Zeitgeistes sein, für andere hingegen schlicht Umsetzung von Menschenrechten und Schutz vor Diskriminierung und Verfolgung.
Die Lektüre des in der liberalen FAZ gelobten römischen Arbeitspapieres lässt erahnen, warum gerade in Europa die katholische Kirche in der Defensive ist. Werte, die in Europa eine hohe Attraktivität haben und weswegen sich auch viele Menschen auf den Weg nach Europa machen, sind in der römisch-katholischen Kirche negativ konnotiert. „Vor allem im Westen wird eine Privatisierung des Lebens, des Glaubens und der Ethik unterstrichen: dem Gewissen und der individuellen Freiheit wird die Rolle einer absoluten Wertinstanz zugeschrieben, die Gut und Böse festlegt.“ (74) Ein bisschen FDP würde der Kirche an diesem Punkt schon gut tun, sicherlich auch die Lektüre von Ralf Dahrendorf, einem Liberaler, für den FDP immer mehr sein sollte als eine Steuersenkungspartei: „Wenn ich Freiheit sage, verstehe ich darunter zwei Dinge − einfach, wichtig, durchgängig von Bedeutung. Ich verstehe darunter erstens, dass der einzige gültige Maßstab, den ich bereit bin anzulegen an die Entwicklungen von Gesellschaften, die Lebenschancen von einzelnen Menschen sind. Der Einzelne und seine Chancen sind das, was zählt, wenn man versucht, gesellschaftliche Dinge zu prägen ... Und das Zweite ist, dass es unter allen Umständen mir richtig zu sein scheint, davon auszugehen, dass niemand von uns gültige Antworten auf alle Fragen geben kann, dass jede Antwort dem Verdacht unterliegt, sie könnte auch falsch sein, und dass wir daher jeden Grund haben, dafür zu sorgen, dass niemand in die Lage versetzt wird, seine eigene Antwort zum Dogma zu erheben, dass wir allen Grund haben, dafür zu sorgen, dass unsere Institutionen so bleiben, dass verschiedene unterschiedliche, auch gegensätzliche Antworten auf die Fragen der Zeit möglich bleiben. Freiheit ist eine Frage der Lebenschancen des Einzelnen und eine Frage der Offenheit der politischen Ordnung.“(1974 Akademie der Künste, München) Welche katholische Überschrift würde dieses liberale Bekenntnis wohl erhalten: „Hedonistische Kultur; Relativismus; Materialismus; Individualismus“? (15)
Und eine weitere Idee, ohne die die europäische Kulturgeschichte eine langweilige Veranstaltung geblieben wäre, wird durch INSTRUMENTUM LABORIS geschliffen. Und das stimmt mich wirklich traurig: „Im Hinblick auf eine mögliche pastorale Vorgehensweise wird es als wesentlich erachtet, den Jugendlichen dabei zu helfen, eine romantischen Vorstellung der Liebe zu überwinden.“(85) Aber ich befürchte, da kann sogar die FDP nicht weiterhelfen.
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