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Von Peter Otten
Der Sommer geht seinen Gang. Deutschland ist Fußballweltmeister. Noch Jahre später werden wir einander fragen: "Wo warst du eigentlich damals während der ersten Halbzeit beim Brasilienspiel?" (Ich: in netter Gesellschaft mit einem mir unbekannten englischen Drink) Oder: "Wo hast du dich in die Verlängerung des Endspiels hineingezittert?" (Ich: vor der Kölner Kneipe Lapidarium am Eigelstein) Und sonst so? Köln hat einen neuen Erzbischof. Und bevor jemand fragt: Ich saß an jenem Freitag, als der „dicke Pitter“ vom Dom aus die Nachricht in die ganze Stadt hinein gongte im Café vom Museum für Angewandte Kunst. Im Gespräch mit einer hinreißenden Agnostikerin. Sie erzählte anschaulich und, ja, auch überzeugend, dass ein Mensch auch ohne Gott ein sinnvolles Leben führen kann. Und dabei noch ein Segen für die Welt ist. (Sie machte sich nebenbei nicht viel aus Fußball, glaube ich. Aber sie leitete einen virtuellen Chor im Internet! Verrückt oder? Eine Geschichte, die an anderer Stelle unbedingt erzählt werden muss.)
Und dann kam Ende Juli noch die aktuelle Mitgliederstatistik der katholischen Kirche in Deutschland rein. 180000 Katholiken sind übers Jahr weg. Das ist ein Drittel der Menge, die am Brandenburger Tor der deutschen Fußballnationalmannschaft beim Gaucho-Tanz zusahen. Ist das viel oder wenig? In Köln strichen sich 17000 aus der Statistik aus. Das ist um im Bild zu bleiben die Südkurve und ein bisschen von der Gegengerade im Rheinenergie-Stadion. Ist das viel oder wenig? Die meisten Kommentatoren waren sich einig. Eigentlich ist das verdammt viel: „Der hohen Austrittszahl müssen wir begegnen“, sagte Kardinal Reinhard Marx, und er klang ein bisschen hüftsteif wie ein Politiker, „indem wir immer wieder versuchen, auf allen Ebenen Vertrauen zu schaffen durch gute und überzeugende Arbeit.“ Mal ehrlich: Kann man das noch hören?
Peter Sloterdijk schrieb in seiner "Kritik der zynischen Vernunft", Kommunikationsmangel, Kommunikationsvortäuschung und Kommunikationsverweigerung seien „geradezu die Kennzeichen des modernen Machtzynismus, der Werte wie Liebe, Wahrheit, Authentizität“ seinem „Macht- und Profitwillen“ unterordnet. Kommunikationsvortäuschung, that´s it! Oder? Denn wer ist "wir"? Was bedeutet "auf allen Ebenen"? Was bedeutet "Vertrauen schaffen"? Und was ist um Himmels Willen "gute und überzeugende Arbeit"? Egal. Es reicht, wenn es nebulös bleibt. Es reicht, wenn wir übereinander sprechen statt miteinander. So bleibt ja noch genug Barmherzigkeitsrhetorik gegenüber Homosexuellen, Betroffenheitslyrik gegenüber Frauen und Geschiedenen - und eine merkwürdige Haltung, die besagt, dass das Produkt eigentlich supertoll sei - man es nur noch besser rüberbringen müsse. Vielleicht durch Milde und Volkstümlichkeit: "Mein Name ist Woelki. Ich ben ne kölsche Jung."
Ich bin auch sonst nicht schlecht.
Letzte Woche hat der Abtprimus der Benediktiner Notker Wolf einer österreichischen Kirchenzeitung ein Interview gegeben: „Manche fragen: Warum hat der Papst noch keine Strukturen verändert? Strukturen haben noch nie Leben erzeugt! Was wir brauchen, ist ein neuer Umgang miteinander.“ Der Satz ist verräterisch. Meint er Strukturen im allgemeinen Sinn? Meint er kirchliche Strukturen? Strukturen geben (Rechts-)Sicherheit - unabhängig von Menschen und Zeiten und subjektiven (Macht)-Interessen. Was bedeutet "ein neuer Umgang miteinander"? Dazu könnte zum Beispiel ein Mensch, der, sagen wir, seit drei Jahren auf ein Ergebnis seiner Eheannulierung wartet - ohne beispielseise überhaupt jemals über eine zeitliche Perspektive des Verfahrens informiert zu werden - womöglich Auskunft geben. Er würde diesen Vorschlag womöglich zynisch finden. Oder eine Religionslehrerin, die jedes Quartal damit rechnen muss, dass die Veränderung ihres Personenstandes auffällt.
Und sanktioniert wird.
Aber Strukturen haben ja noch nie Leben erzeugt.
Ich habe in diesen Sommertagen zum ersten Mal die heiß ersehnte neue Platte von Morrissey in das CD-Fach meines Computers geschoben. „World Peace Is Non Of Your Business“ heißt sie in einer herrlichen political incorrectness. Mr. Morrissey, der Meister des Zynismus singt zwischen girrenden spanischen Gitarren über einen Stierkämpfer, dem alle den Tod wünschen, weil natürlich alle wollen, dass der Stier überlebt. Oder in einem herrlichen Walzer, der jede Hochzeitsfeier schmücken würde über die Braut, die man doch bitte den Gang runter kicken möge, weil sie ihren Mann eh nur zum Sklaven macht. Zynismus, Ironie, Sarkasmus at its best - weil wenigstens in einer aufregenden Weise sexy. Aber dann gibts da auch noch Track 8. „Kiss Me A Lot“ heißt der. „Ob im Knast, im Mausoleum, im Schlachthof, im Pfarrgarten oder im Garten hinterm Haus deiner Mutter – wann oder wo ist egal. Für mich entscheidend ist, dass du da bist. Und dass du mich häufig küsst.“ Eine großartige scheppernde springende Tanznummer. Überzeugende Arbeit, Mr. Steven Patrick Morrissey. Und ein überzeugendes völlig ironiefreies und gar nicht zynisches Glaubensbekenntnis, ein bekenntnis zum Leben noch dazu.
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