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Von Peter Otten
40000 Reliquien von Johannes Paul II. soll Stanislaw Dziwisz, sein ehemalige Privatsekretär verwalten, schrieb der Bonner Journalist Wolfgang Thielmann anlässlich seiner Heiligsprechung in einem Kommentar für Zeit-online. Mit Blut, Stofffetzen und anderen Überresten habe er aus Krakau Priester in die Welt geschickt, „um das Feuer der Verehrung anzublasen“. Ein herrliches Bild. Tatsächlich hat Dziwisz in der Nähe von Wojtylas Geburtsort bereits ein großes Zentrum errichten lassen, wo es zukünftig um die Erinnerungsarbeit an Johannes Paul gehen wird. Und Thielmann vergisst auch nicht zu erzählen, wie es ist, wenn Päpste exhumiert und ihnen Wachsgesichter modelliert werden. Wie der eine Papst weichen muss, damit für den anderen ein Platz in der Nähe der vermuteten Gebeine von Petrus ist. Es gibt also auch nach dem Tod eine verblüffende diesseitige Konkurrenz um die Nähe zum Heiligen. Wie auch immer: Nach katholischer Lehre darf Johannes Paul II. und sein Vorvorvorgänger Johannes XXIII. fortan im Gebet angerufen werden, damit sie bei Gott ein gutes Wort einlegen, wenn´s nötig ist.
Ich weiß nicht genau, warum ich in diesen "heiligen Tagen von Rom" nach langer Zeit wieder an Gisela denken musste. Sie war die Mutter der ersten großen Liebe, die Annette hieß. Und bei seiner ersten Liebe vergisst man eben nichts.Wenn es gut läuft. Nicht die Liebe selbst, nein. Und bei Annette war auch die Mutter verehrungswürdig. Sie war ein Glücksfall. Ich erinnere mich an ihr heiseres Lachen, wenn sie ihre Patience zu Ende gelegt hatte, wo dann ihr schwarzer Schopf vor Vergnügen wackelte. Wenn sie „Oh Gott!“ sagte und „Nä!“, wenn der aktuelle Dorfklatsch wieder mal die kleine Dachwohnung erreicht hatte. Wo sie untergekommen war in einem Haus des Pfarrers. Nachdem ihr Mann sie aus seiner großbürgerlichen Welt entsorgt, in eine Welt mit Krankheit, Depression und Alkoholabhängigkeit entlassen hatte. In der die Tochter sie in einem unglaublichen Kraftakt an der Hand nahm und sie auch irgendwann wieder die Tochter, als sie wieder klar denken konnte. Ich erinnere mich, wie sie sonntags durch den Mittelgang in der Kirche ging, leicht gebeugt, mit ausholenden Schritten, im Popelinmantel und mit schwarzer Handtasche. Und in der Bank kniete, manchmal den Rosenkranz murmelnd. Und mit den stechenden Blicken der Leute in ihrem Rücken. Sie litt unter der Ausgrenzung, weil sie so subtil war. Und sprach doch nie darüber. Sie war der erste Mensch, der mir Bücher auslieh und uns ins Kino mitnahm. Sie ist längst tot, seit vielen Jahren schon.
„Setzt sich der Gedanke durch, dass Nächstenliebe keine Leichen braucht?“ schreibt Thielmann, nachdem er vom armen Papst Johannes in seinem Glassarg erzählt hat. Und von Padre Pio und dessen merkwürdigem Verhältnis zur Damenwelt. „Und der Glaube eigentlich auch nicht?“ Ach, Gisela! Du hast einem Siebzehnjährigen gezeigt, was Würde bedeutet. Ich kann mir keine bessere vorstellen als dich, wenn ich im Himmel mal einen Leumund brauchen sollte. „Du lieber Gott!“ würdest du sagen. „Mach kein Quatsch!“ Und: "Kinder, was ein Zirkus, du kannst es dir nicht vorstellen!" Mit dieser unfassbar rauen Stimme. Und eine von deinen langen Zigaretten anstecken. Den Rauch in die Wolken blasen. Und alles würde gut.
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